»Es geht nicht besser und nicht schlechter«, sagte sie. »Er hat heute nacht wieder gehustet, als ob er seine Seele von sich geben wollte. Er hustet, er spuckt, der gute Monsieur, daß es ein Jammer ist. Wir fragen uns, ich und mein Mann, wo er die Kraft hernimmt, so zu husten. Es zerreißt das Herz. Was für eine verdammte Krankheit hat er! Gar nicht, ganz und gar nicht gut geht es! Ich hab immer Angst, er liegt eines Morgens starr und stumm in seinem Bett. Er ist wahrhaftig blaß wie ein wächserner Jesus! Oh je, ich sehe es, wenn er aufsteht, sein armer Leib ist klapperdürr. Und er riecht schon nicht gut, nee, wahrhaftig nicht! Das ist ihm piepe, er läuft herum und verbraucht seine Kräfte, als ob er noch Gesundheit zu verkaufen hätte. Dabei behält er trotzdem den Kopf oben und jammert niemals! Aber wahrhaftig, unterm Boden wär ihm wohler, er leidet ja zum Steinerbarmen! Ich möcht's nicht haben, unser Interesse wär's nicht. Aber gäb er uns auch nicht, was er uns gibt, ich hätt ihn doch lieb: 's ist nicht aus Berechnung, wahrhaftig nicht! Ach, großer Gott, so 'ne verfluchten Krankheiten kriegen doch nur die Pariser! Wo nehmen sie die nur her? Armer junger Mann! Es kann kein gutes Ende nehmen. Das Fieber, wissen Sie, das höhlt ihn aus, das schmeißt ihn um! Er hat keine Ahnung; er denkt gar nicht dran, Monsieur. Er merkt reinweg nichts. Na, nu flennen Sie mal nicht, Monsieur Jonathas! Das ist doch sicher, wenn er nichts mehr auszustehen hat, ist er glücklich. Spendieren Sie doch eine Andacht von neun Tagen für ihn! Ich habe schöne Heilungen dadurch gesehn, und ich tät selber 'ne Kerze zahlen, um so 'nen sanften Monsieur, so 'n friedliches Schaf zu retten.«
Raphaels Stimme war zu schwach geworden, um gehört zu werden: er mußte also dieses fürchterliche Geschwätz über sich ergehen lassen. Dann aber riß ihn die Ungeduld aus dem Bett. Er stand plötzlich an der Schwelle und rief Jonathas zu: »Alter Schurke, willst du unbedingt mein Henker sein?« Die Bäuerin glaubte ein Gespenst zu sehen und entfloh.
»Ich verbiete dir«, fuhr Raphael fort, »über meine Gesundheit irgend besorgt zu sein.«
»Ja, Monsieur le Marquis«, erwiderte der alte Diener und wischte sich die Tränen ab.
»Und du tätest sogar gut daran, von jetzt ab nicht ohne meinen ausdrücklichen Befehl hierherzukommen.«
Jonathas wollte gehorchen; aber bevor er ging, warf er dem Marquis einen treuen, mitleidvollen Blick zu. Raphael las sein Todesurteil darin. Mit einem Schlag wurde ihm seine wahre Lage bewußt; entmutigt setzte er sich auf die Schwelle, kreuzte die Arme über der Brust und ließ den Kopf hängen. Jonathas näherte sich erschreckt seinem Herrn.
»Monsieur?«
»Geh! geh fort!« schrie der Kranke.
Am Morgen des nächsten Tages war Raphael auf die Felsen geklettert und hatte sich in eine mit Moos gepolsterte Senke gesetzt, von wo aus er den schmalen Weg sehen konnte, auf dem man vom Bade aus zu seiner Behausung gelangte. Am Fuße des Felsens sah er Jonathas, der schon wieder mit der Auvergnatin sprach. Eine boshafte Macht ließ ihn das Achselzucken, die verzweifelten Gebärden, die erschreckende Einfalt dieser Frau verstehen und trug ihm durch den Wind und die Stille sogar ihre unseligen Worte zu. Von Entsetzen erfaßt, floh er auf die höchsten Gipfel der Berge und blieb dort bis zum Abend, ohne die düsteren Gedanken vertreiben zu können, die verhängnisvoll durch die grausame Teilnahme, deren Gegenstand er geworden, in seinem Herzen erwacht waren. Mit einem Mal stand die Auvergnatin selber vor ihm wie ein Schatten im abendlichen Dämmer; mit der wunderlichen Phantasie des Dichters wollten ihm die schwarzen und weißen Streifen ihres Rockes wie die dürren Rippen eines Gespenstes anmuten.
»Lieber Monsieur, jetzt kommt der Abendtau. Wenn Sie hier oben bleiben, geht es Ihnen wie der faulen Birne, die in den Dreck fiel. Kommen Sie mal nach Hause! Das ist nicht gesund, den Tau einzuatmen. Und dabei haben Sie seit dem Morgen noch nichts gegessen.«