»Wo haben Sie Medizin studiert?«
»Ich habe den Bakkalaureus im Schießen bei Lepage in Paris gemacht und den Doktor bei Grisier, dem König des Floretts.«
»Der letzte Grad fehlt Ihnen noch, studieren Sie das Gesetzbuch des guten Tons, und Sie werden ein vollkommener Edelmann.«
Jetzt verließen die jungen Leute, teils lachend, teils schweigend, das Billard. Die anderen Spieler wurden aufmerksam und ließen ihre Karten im Stich, um Zeugen eines Streits zu sein, der sie angenehm kitzelte. Raphael stand inmitten dieser Versammlung von Feinden allein da; er gab sich Mühe, kaltes Blut zu bewahren und nicht die geringste Unbesonnenheit zu begehen; aber als sein Gegner sich eine sarkastische Bemerkung erlaubte, die in einer äußerst schneidenden und witzigen Form eine grobe Beleidigung verbarg, antwortete er ihm ernst: »Monsieur, es ist heutzutage nicht mehr gestattet, jemandem eine Ohrfeige zu geben, aber ich finde kein Wort, um ein so erbärmliches Benehmen wie das Ihre zu brandmarken.«
»Genug! genug! Sie können sich morgen erklären!« riefen einige junge Leute und trennten die Streitenden.
Raphael galt als Beleidiger. Als er den Salon verließ, war vereinbart, daß man sich in der Nähe des Schlosses Bordeau, auf einer kleinen Bergwiese, treffen wollte, die unweit einer neuen Straße gelegen war, auf welcher der Sieger Lyon erreichen konnte. Es blieb Raphael nichts übrig, als entweder das Bett zu hüten oder die Bäder von Aix zu verlassen. Die Gesellschaft triumphierte. Am nächsten Morgen gegen acht Uhr traf Raphaels Gegner in Begleitung von zwei Zeugen und einem Wundarzt zuerst an Ort und Stelle ein.
»Der Platz ist gut; das Wetter ist famos, um sich zu schlagen!« rief er fröhlich. Er blickte auf das blaue Himmelsgewölbe, das Wasser des Sees und die Felsen, ohne einen Hauch von Zweifel oder Besorgnis. »Wenn ich ihn an der Schulter treffe«, fuhr er fort, »schicke ich ihn dann wohl für einen Monat ins Bett, nicht wahr, Doktor?«
»Mindestens«, erwiderte der Wundarzt. »Aber lassen Sie die kleine Weide da in Ruhe; sonst ermüden Sie Ihre Hand und haben Ihren Schuß nicht in der Gewalt. Sie könnten Ihren Gegner töten, statt ihn zu verwunden.«
Man hörte das Rasselns eines Wagens.
»Da ist er!« sagten die Zeugen. Bald sah man auf der Straße einen vierspännigen Reisewagen, der von zwei Postillionen gelenkt wurde.
»Sonderbare Art!« rief Valentins Gegner. »Er will sich auf der Reise töten lassen.«
Bei einem Duell wie beim Spiel haben auch die geringsten Nebensächlichkeiten auf die Phantasie der Teilnehmer, die am Erfolg ihrer Sache stark interessiert sind, großen Einfluß; der junge Mann erwartete daher mit einer gewissen Ungeduld die Ankunft dieses Wagens, der auf der Straße hielt. Zuerst stieg der alte Jonathas schwerfällig aus, um Raphael beim Aussteigen zu helfen; er stützte ihn mit seinen schwachen Armen und entfaltete dabei die peinliche Sorgfalt eines Liebenden für seine Liebste. Die beiden verloren sich dann auf den Fußwegen, die die Landstraße von dem Kampfplatz trennten, und kamen erst lange nachher wieder zum Vorschein: sie gingen langsam. Die vier Zuschauer dieser seltsamen Szene waren tiefbewegt, als sie Valentin, auf den Arm seines Dieners gestützt, heraufkommen sahen; bleich und erschöpft kam er mühsam näher, hielt den Kopf gesenkt und sprach kein Wort. Man konnte die beiden für zwei Greise halten, die in gleichem Maße zerrüttet waren: der eine durch die Zeit, der andere durch den Geist; dem einen stand sein Alter auf seine weißen Haare geschrieben, der jüngere hatte kein Alter mehr.