»Oh, wie gut, daß ich das alles gesehen habe!« rief Pauline und knüllte die Seide von Raphaels Bettvorhängen in ihrer Hand. »Wenn ich einschlafe, werde ich in Gedanken hier sein. Ich werde deinen lieben Kopf auf diesem Kissen vor mir sehen. Sage mir, Raphael, es hat dich niemand bei der Einrichtung deines Hauses beraten?«
»Niemand.«
»Ganz sicher? Hat gewiß keine Frau . . .«
»Pauline!«
»Oh, ich bin furchtbar eifersüchtig! Du hast einen guten Geschmack. Ich will morgen ebenso ein Bett haben wie deines.«
Raphael war trunken vor Glück, er umarmte Pauline.
»Oh, mein Vater, mein Vater!« rief sie.
»Ich will dich nach Hause begleiten; ich will so selten wie möglich ohne dich sein.«
»Wie du lieben kannst! Ich wagte es dir nicht vorzuschlagen . . .«
»Bist du denn nicht mein Leben?«
Es wäre ermüdend, all dieses entzückende Liebesgeplauder wortgetreu aufzuzeichnen, dem der Ton, der Blick, eine unbeschreibliche Gebärde allein Wert verleihen. Valentin begleitete Pauline bis zu ihrem Hause und kehrte dann zurück, das Herz voller Freude, wie der Mensch hienieden nur empfinden und ertragen kann. Als er in seinem Lehnstuhl am Kamin saß und an die plötzliche und völlige Erfüllung all seiner Hoffnungen dachte, drang ihm ein Gedanke in die Seele, eisig wie der Stahl eines Dolches, der die Brust durchbohrt; er sah nach dem Chagrinleder, es war etwas kleiner geworden. Er stieß den großen Lieblingsfluch der Franzosen ohne die jesuitischen Weglassungen der Äbtissin [Fußnote] von Andouillettes aus, ließ den Kopf in den Stuhl zurücksinken und blieb reglos liegen; seine Augen waren auf eine Rosette gerichtet, aber er sah sie nicht.
»Großer Gott!« rief er aus. »Alle meine Wünsche, alle! Arme Pauline!«
Er nahm einen Zirkel und maß, wieviel Leben ihm der Vormittag gekostet hatte.
»Mir bleiben kaum noch zwei Monate!« stöhnte er.
Kalter Schweiß brach aus seinen Poren; dann gab er plötzlich einem unaussprechlichen Wutanfall nach, ergriff das Chagrinleder und rief: »Was bin ich für ein Narr!« Er eilte hinaus, lief durch die Gärten und warf das Leder in einen tiefen Brunnen. »Und nun komme, was mag!« rief er. »Zum Teufel mit all diesem Unsinn!«
Raphael überließ sich also dem Liebesglück und lebte Herz an Herz mit Pauline. Ihre Hochzeit, durch Schwierigkeiten verzögert, die zu erzählen sich nicht lohnt, sollte in den ersten Tagen des März gefeiert werden. Sie hatten sich geprüft, zweifelten nicht aneinander, und da das Glück ihnen die ganze Tiefe ihrer Neigung enthüllt hatte, waren nie zwei Herzen, zwei Naturen so völlig eins, wie sie es durch ihre Liebe waren. Je vertrauter sie einander wurden, desto mehr liebten sie sich, beide in gleicher Reinheit und gleicher Zartheit, gleicher Wollust, der süßesten Wollust, der Wollust der Engel; keine Wolke trübte ihren Himmel; die Wünsche des einen waren das Gesetz des anderen. Da sie alle beide reich waren, gab es für sie keine Launen; die sie nicht befriedigen konnten, und daher hatten sie überhaupt keine Launen. Ein erlesener Geschmack, Gefühl für das Schöne, wahre Poesie lebten in der Seele der Braut; sie verachtete den teuren Flitterputz der Frauen, und ein Lächeln ihres Geliebten schien ihr schöner als alle Perlen von Ormuz; Musselin und Blumen waren ihr reichster Schmuck. Pauline und Raphael flohen überdies die Welt, die Einsamkeit war für sie so hold, so freudenvoll! Die Müßiggänger sahen das schöne, heimliche Paar jeden Abend in der Italienischen oder der Großen Oper. Wenn auch anfangs allerlei übler Klatsch in den Salons verbreitet wurde, ließ der Strom der Ereignisse, der Paris durchflutete, zwei harmlose Liebesleute bald in Vergessenheit geraten; schließlich war es für die Prüden eine Art Entschuldigung, daß ihre Hochzeit angekündigt war, und da ihre Dienerschaft zufällig verschwiegen war, strafte sie keine zu scharfe Bosheit für ihr Glück.