Ob er nun, von den Kämpfen dieses langen Tages erschöpft, nicht mehr die Kraft besaß, benebelt von Wein- und Punschdünsten, seinen Verstand zu meistern, oder ob er sich, durch den Blick auf sein Leben erregt, unmerklich am Strom seiner Worte berauscht hatte, jedenfalls war Raphael außer sich und geriet in Rage, als hätte er Sinn und Verstand verloren. »Zum Teufel mit dem Tod!« schrie er und fuchtelte mit dem Leder in der Luft herum. »Jetzt will ich leben! Ich bin reich, ich habe alle Tugenden. Nichts kann mir widerstehen. Wer wäre nicht gut, wenn er alles kann? Holla, Heda! Ich habe mir 200 000 Livres Jahreseinkommen gewünscht, ich werde sie haben. Respekt vor mir, ihr Schweine, die ihr euch auf diesem Teppich wälzt, als wäre es ein Misthaufen! Ihr gehört mir, seid mein vortrefflicher Besitz! Ich bin reich, ich kann euch alle kaufen, selbst den Deputierten, der dort schnarcht. Auf, auf, ihr Lumpengesindel der vornehmen Welt, auf die Knie! Ich bin der Papst!«
Raphaels Geschrei, das bis dahin im Basso continuo des allgemeinen Schnarchkonzerts untergegangen war, fand plötzlich Gehör. Die meisten Schläfer fuhren hoch und stießen laute Verwünschungen aus; sie erblickten den Störenfried, der auf unsicheren Beinen schwankte, und überschütteten seinen lärmenden Rausch mit einem Konzert von Flüchen.
»Schweigt!« rief Raphael. »Hunde, kuscht euch! – Émile, ich habe Schätze, ich werde dir Havannazigarren schenken.«
»Ich höre dich«, antwortete der Dichter, »Fœdora oder der Tod! Nur immerzu! Diese Zierpuppe Fœdora hat dich betrogen. Alle Weiber sind Evastöchter. Deine Geschichte ist nicht im mindesten dramatisch.«
»Ah! Du hast geschlafen, du Duckmäuser?«
»Nein . . . Fœdora oder der Tod! Ich hab's begriffen!«
»Wach auf!« rief Raphael und berührte Émile mit dem Chagrinleder, als wolle er ein elektrisches Fluidum auf ihn einströmen lassen.
»Donnerwetter!« rief Émile, stand auf und packte Raphael mit den Armen, »denke doch daran, Freundchen, daß du mit anrüchigen Frauenzimmern zusammen bist.«
»Ich bin Millionär!«
»Wenn du auch kein Millionär bist, betrunken bist du todsicher.«
»Trunken von Macht! Ich kann dich töten! Schweig, ich bin Nero! Ich bin Nebukadnezar!«
»Aber Raphael, wir sind in schlechter Gesellschaft, du solltest endlich Ruhe geben, aus Achtung vor dir selbst.«
»Mein Leben ist ein zu langes Schweigen gewesen. Jetzt will ich mich an der ganzen Welt rächen. Ich werde mich nicht damit vergnügen, elende Taler zum Fenster hinauszuwerfen, ich werde meine Zeit nachahmen, sie konzentrieren und Menschenleben und Menschengeist und Menschenseelen verprassen. Das ist doch ein Luxus, der nicht armselig ist, was? Das ist der Überfluß der Pest! Ich werde mit dem gelben, blauen und grünen Fieber kämpfen, mit Armeen und Schafotten. Ich kann Fœdora haben. Aber nein, ich will Fœdora nicht, Fœdora ist meine Krankheit, mein Tod! Ich will Fœdora vergessen.«
»Wenn du mit deinem Geschrei nicht aufhörst, trage ich dich in den Speisesaal.«
»Siehst du diese Haut hier? Das ist das Vermächtnis Salomos. Salomo gehört mir, dieser lumpige Pedant von einem König gehört mir! Arabien und Peträa dazu. Das ganze Universum gehört mir. Du gehörst mir, wenn ich will. Du, wenn ich will, nimm dich in acht! Ich kann deine ganze Journalistenbude kaufen, und du wirst mein Lakai. Dann mußt du mir Couplets dichten und meine Papiere ordnen. Lakai! Lakai! – das heißt: ›Es geht ihm gut, weil er an nichts denkt.‹«
Bei diesen Worten schleppte Émile Raphael in den Speisesaal.
»Schön, du hast recht, Freundchen, ich bin dein Lakai. Aber du sollst Chefredakteur einer Zeitung werden, schweig! Benimm dich gesittet, aus Rücksicht auf mich. Hast du mich lieb?«
»Ob ich dich liebhabe? Du sollst Havannazigarren haben, durch dieses Leder hier. Immer das Leder, Freundchen, das allmächtige Leder! Ein vortreffliches Pflaster, ich kann die Hühneraugen mit ihm wegbringen. Hast du Hühneraugen? Ich entferne sie dir.«
»Ich habe dich nie so albern gesehen.«
»Albern, Freundchen? Nein. Dieses Leder wird kleiner, wenn ich einen Wunsch habe . . . das ist eine Antinomie. Der Brahmane – es steckt ein Brahmane dahinter! –, der war doch ein rechter Spaßvogel, denn siehst du, die Wünsche, die müssen doch größer machen . . .«
»Natürlich, versteht sich.«