»So! Ich kenne sie nicht!« rief Euphrasie. »Sich sein ganzes Leben lang einem verhaßten Menschen hingeben, Kinder aufziehen, die einen verlassen, und ihnen auch noch Danke sagen, wenn sie einen ins Herz treffen: das sind die Tugenden, die ihr von der Frau verlangt; und um sie für ihre Entsagung zu belohnen, legt ihr ihr neue Leiden auf, indem ihr sie zu verführen sucht; widersteht sie, so kompromittiert ihr sie. Ein schönes Leben! Nein, lieber doch frei bleiben, die lieben, die uns gefallen, und jung sterben.«
»Fürchtest du denn nicht, dafür eines Tages zahlen zu müssen?«
»Nun«, antwortete sie, »statt meine Freuden mit Leid zu mischen, wird mein Leben in zwei Hälften zerteilt: eine gewiß fröhliche Jugend und ein wer weiß wie ungewisses Alter, wo ich nach Belieben leiden kann.«
»Sie hat nie geliebt«, sagte Aquilina mit dunkler Stimme. »Sie hat niemals 100 Meilen zurückgelegt, um mit tausend Wonnen einen Blick zu erhaschen und ein ›Nein‹ zu hören; sie hat ihr Leben nie an ein Haar gehängt, hat nicht soundso viele Männer niederstechen wollen, um ihren Herrn, ihren Herrscher, ihren Gott zu retten. Für sie war die Liebe ein hübscher Oberst.«
»Haha! La Rochelle!« erwiderte Euphrasie. »Die Liebe ist wie der Wind, wir wissen nicht, woher sie kommt. Im übrigen, wenn ein Tier dich sehr geliebt hätte, würdest du die vernunftbegabten Menschen verabscheuen.«
»Das Gesetz verbietet uns, Tiere zu lieben«, versetzte die große Aquilina spöttisch.
»Ich glaubte, du seist nachsichtiger gegen das Militär!« rief Euphrasie lachend.
»Wie glücklich sind die Frauen, daß sie sich so ihrer Vernunft entäußern können!« rief Raphael aus.
»Glücklich?« fragte Aquilina, lächelte mitleidig und entsetzt und warf den beiden Freunden einen furchtbaren Blick zu. »Ach! ihr wißt nicht, was es heißt, mit einem Toten im Herzen zum Vergnügen verdammt zu sein.«
Wer zu diesem Zeitpunkt einen Blick in die Salons getan hätte, der hätte eine Vorstellung von Miltons Pandämonium [Fußnote] bekommen. Die blauen Flammen des Punsches malten Höllenfarben auf die Gesichter derer, die noch trinken konnten. Frenetische Tänze, angepeitscht von einer wilden Besessenheit, erregtem Gelächter und Geschrei, das losballerte wie ein Feuerwerk. Das Boudoir und ein kleiner Salon sahen aus wie ein von Toten und Sterbenden übersätes Schlachtfeld. Die Atmosphäre war vom Wein, der Lust und den vielen Worten durchglüht. Rausch, Liebe, Wahnwitz, Weltvergessenheit erfüllte die Herzen, war auf den Gesichtern und stand auf den Teppichen geschrieben, prägte das allgemeine Wirrwarr und umflorte die Blicke mit Schleiern, die in der Luft betäubende Dünste sehen ließen. Flimmernder Staub wie in den Lichtbahnen eines Sonnenstrahls hing über allem und umwölkte die absonderlichsten Formen, die groteskesten Kämpfe. Hier und da schienen Gruppen verschlungener Gestalten förmlich eins geworden mit den weißen Marmorleibern edler Kunstwerke, welche die Gemächer zierten. Obwohl die beiden Freunde in ihren Gedanken und Sinnen eine gewisse trügerische Klarheit bewahrt hatten, ein letztes Aufzucken, ein unvollkommenes Scheinbild des Lebens, war es ihnen unmöglich zu erkennen, was an den bizarren Erscheinungen wirklich, was den übernatürlichen Bildern, die unaufhörlich an ihren ermüdeten Augen vorüberzogen, möglich war. Die Schwüle, die über unseren Träumen lastet, die glutvolle Anmut, die die Gestalten in unseren Visionen gewinnen; vor allem eine sonderbare, mit Ketten beladene Leichtigkeit, kurzum, die ungewohntesten Phänomene des Schlafs stürmten so lebhaft auf sie ein, daß sie die Spiele dieser Orgie für die Gaukelbilder eines Alpdrucks hielten, wo die Bewegung geräuschlos ist und die Schreie vom Ohr nicht vernommen werden. Zu diesem Zeitpunkt gelang es einem vertrauten Kammerdiener, nicht ohne Mühe, seinen Herrn in das Vorzimmer zu ziehen und ihm zuzuflüstern: »Monsieur, alle Nachbarn sind an den Fenstern und beklagen sich über den Lärm.«
»Warum lassen sie nicht Stroh vor ihre Türen legen, wenn sie Angst vor dem Lärm haben?« rief Taillefer.
Unvermittelt brach Raphael lauthals in ein so unangebrachtes Gelächter aus, daß sein Freund ihn nach der Ursache dieses brutalen Freudenausbruchs fragte.