Die Wunder, die dem jungen Mann die ganze bekannte Schöpfung vor Augen geführt hatten, versetzten ihn in die tiefe Niedergeschlagenheit, die den Philosophen bei der wissenschaftlichen Sichtung unbekannter Schöpfungen befällt. Lebhafter denn je wünschte er zu sterben. Er sank auf einen kurulischen Stuhl und ließ seine Blicke über das Blendwerk dieses Panoramas der Vergangenheit schweifen. Die Gemälde leuchteten auf, die Köpfe der Madonnen lächelten ihn an, und die Statuen färbten sich mit einem trügerischen Schein des Lebens. Im Schutz des Dunkels, vom gärenden Fieber seines gepeinigten Hirns in Tanz gesetzt, regte sich alles und umwirbelte ihn; jeder Porzellanaffe schnitt ihm eine Grimasse, die Gestalten auf den Bildern schlossen die Lider, um die Augen auszuruhen. Jedes dieser Geschöpfe taumelte, hüpfte, löste sich von seinem Platz, schwerfällig oder leichtfüßig, anmutig oder ungestüm, je nach seinen Sitten, seinem Charakter oder seinem Umfeld. Es war ein geheimnisvoller Sabbat, würdig der phantastischen Erscheinungen, die Doktor Faust auf dem Brocken sah. Aber diese optischen Täuschungen, die von Erschöpfung, Überanstrengung der Sehnerven und dem verwirrenden Dämmerlicht herrührten, konnten dem Unbekannten keine Angst einjagen. Die Schrecken des Lebens vermochten nichts über eine mit den Schrecken des Todes vertraute Seele. Mit einer gewissen spöttischen Komplizenschaft unterstützte er sogar die Trugbilder dieses von seinem Geist eingehauchten Lebens, dessen Seltsamkeiten sich zu den letzten Gedanken gesellten, die ihm noch das Gefühl des Daseins gewährten. Es herrschte so vollkommene Stille um ihn, daß er sich einer sanften Träumerei überließ, deren Stimmungen sich wie durch Zauber Ton für Ton in dem Grade verfinsterten, wie das Licht entschwand. Bevor der Tag sank, ließ er im Widerstreit mit der Nacht ein letztes Mal den Himmel rot erglühen; der junge Mann blickte auf und sah ein kaum wahrnehmbares Skelett, das zweifelnd mit dem Schädel wackelte, als wollte es sagen: ›Die Toten wollen noch nichts von dir wissen!‹ Als er, um den Schlaf zu vertreiben, mit der Hand über die Stirn fuhr, spürte er deutlich einen frischen Luftzug von irgend etwas Haarigem, das über seine Wangen streifte, und er schauderte. Da die Fensterscheiben dumpf aufklangen, dachte er, daß diese kalte Liebkosung, die ihn wie aus dem Grabe angeweht hatte, von einer Fledermaus rühre. Noch einen Augenblick lang konnte er im ungewissen Schein der untergehenden Sonne die Phantome, von denen er umgeben war, undeutlich wahrnehmen; dann versank diese ganze tote Natur in einförmiges Dunkel. Die Nacht, die Zeit zu sterben war plötzlich gekommen. Es verging von da an noch ein gewisser Zeitraum, währenddessen er keine klare Vorstellung mehr von den irdischen Dingen hatte, sei es, daß er in tiefe Träumerei versunken war oder daß der Schlaf ihn nach seiner Erschöpfung, nach so vielen herzzerreißenden Gedanken übermannt hatte. Plötzlich glaubte er, von einer schrecklichen Stimme gerufen worden zu sein; er fuhr zusammen, wie wenn wir, von einem Alptraum gequält, mit einem Mal in bodenlose Tiefen stürzen. Er schloß die Augen, ein grelles Licht blendete ihn; in der Finsternis sah er einen rötlichen Kreis, in dessen Mitte sich ein kleiner alter Mann befand, der das Licht einer Lampe auf ihn gerichtet hielt. Er hatte ihn weder kommen noch sprechen, noch sich bewegen hören. Seine Erscheinung hatte etwas von Zauberei. Auch der Unerschrockenste hätte, derart aus seinem Schlaf gerissen, vor diesem Menschen gezittert, der aus einem der nebenstehenden Sarkophage geschlüpft zu sein schien. Die eigentümliche Jugendlichkeit, die aus den starren Augen dieses gespenstischen Greises blitzte, hinderte den Unbekannten, an übernatürliche Wirkungen zu glauben; gleichwohl verharrte er während der flüchtigen Spanne, die seinen somnambulen Zustand von seiner wachen Existenz trennte, in dem von Descartes [Fußnote] empfohlenen philosophischen Zweifel, und geriet so wider Willen in den Bann der unerklärlichen Halluzinationen, deren geheimnisvolles Dasein unser Stolz ableugnet oder die unser ohnmächtiges Wissen vergeblich zu erklären sucht.
Das Chagrinleder 驴皮记:Der Talisman-11
日期:2019-01-25 10:03 点击:243