»Mir ist, als hörte ich das Röcheln Ihres Vaters«, erwiderte er etwas gereizt. Dann berichtete er mit der heißen Beredsamkeit der Jugend über die herzlose Tat, zu der Madame de Restaud sich in ihrer Eitelkeit hatte hinreißen lassen, über die Todeskrise, die die letzte Aufopferung des Vaters hervorgerufen hatte, er erzählte ihr, was die silbergestickte Robe Anastasias kosten würde. Delphine weinte.
Ich werde häßlich aussehen, dachte sie, ihre Tränen trocknend. Dann sagte sie: »Ich will meinen Vater pflegen, ich werde sein Krankenbett nicht verlassen.«
»Ah, jetzt sind Sie, wie ich Sie wünschte«, rief Rastignac.
Die Laternen von fünfhundert Kutschen erhellten die Zugänge zum Palais de Beauséant. Zu beiden Seiten des erleuchteten Tores hielten Gendarmen zu Pferde. Die große Welt strömte in solchen Scharen herbei, jeder hatte es so eilig, diese große Dame im Augenblick ihres Sturzes zu sehen, daß die Räume im Parterre bereits überfüllt waren, als Madame de Nücingen und Rastignac eintraten. Seit dem Tage, als der ganze Hof zu Fräulein von Montpensier drängte, der »Grande Mademoiselle«, der Ludwig XIV. ihren Geliebten raubte, hatte man keinen so glänzenden Zusammenbruch eines Herzens erlebt. Aber diese letzte Tochter des fast königlichen Hauses von Burgund war größer als ihr Unglück, und sie beherrschte bis zum letzten Augenblick die Welt, deren Eitelkeiten sie nur gelten ließ, weil sie dem Triumph ihrer Leidenschaft dienten. Die schönsten Frauen von Paris belebten die Salons mit ihren Toiletten und mit ihrem Lächeln. Die distinguiertesten Herren des Hofes, die Botschafter, die Minister, alle Berühmtheiten mit Orden, Sternen und Bändern geschmückt, drängten sich um die Vicomtesse. Das Orchester ließ seine Weisen von der Goldtäfelung dieses Palastes widerhallen, der für seine Königin eine Wüste war. Madame de Beauséant stand vor dem Eingang des ersten Salons, um ihre angeblichen Freunde zu empfangen. Weiß gekleidet, ohne irgendeinen Schmuck in ihren einfach geflochtenen Haaren, erschien sie ruhig; man merkte ihr weder Schmerz noch Stolz, noch geheuchelte Freude an. Niemand konnte in ihrer Seele lesen. Man hätte sie für eine Niobe aus Marmor halten können. Das Lächeln, mit dem sie ihre intimen Freunde begrüßte, war manchmal spöttisch; aber sie erschien allen sich selbst gleich, ganz so, als ob das Glück sie mit seinen Strahlen schmückte. Selbst die Unempfindlichsten mußten sie bewundern, wie die jungen Römer dem Gladiator Beifall spendeten, der lächelnd zu sterben wußte. Die Welt schien sich geschmückt zu haben, um von einer ihrer Herrinnen Abschied zu nehmen.
Eugen hielt dieses Wort für einen Vorwurf. »Madame«, sagte er mit bewegter Stimme, »ich bin gekommen, um als der letzte fortzugehen.«
»Gut«, sagte sie, seine Hand ergreifend, »Sie sind hier vielleicht der einzige, auf den ich mich verlassen kann. Mein Freund, lieben Sie nur eine Frau, die Sie immer lieben können. Verlassen Sie nie Ihre Geliebte.«
Sie nahm Rastignacs Arm und führte ihn zu einem Kanapee im Spielsaal.