»Laß mich einen Augenblick mit ihm allein«, sagte Rastignac, »ich werde ihn ins Gebet nehmen, mir sagt er alles.«
»Ich werde dann inzwischen essen. Suche aber ihn so wenig wie möglich zu erregen, wir haben noch einige Hoffnung.«
»Du kannst ganz ruhig sein.«
»Sie werden sich morgen gut amüsieren«, sagte Vater Goriot zu Eugen, als sie allein waren. »Sie machen einen großen Ball mit.«
»Was haben Sie denn morgens gemacht, Papa, daß es Ihnen heute abend so schlecht geht und daß Sie im Bett bleiben müssen?«
»Nichts.«
»Ist Anastasie gekommen?« fragte Rastignac.
»Ja.«
»Nun also, verbergen Sie mir nichts. Was hat sie noch von Ihnen gefordert?«
»Ah«, erwiderte er, nachdem er Kräfte zum Sprechen gesammelt hatte, »sie war sehr unglücklich, sehen Sie. Nasie hat nicht einen Sou seit der Diamantenaffäre. Sie hatte für den Ball eine silbergestickte Robe bestellt, in der sie herrlich ausgesehen hätte. Ihre Schneiderin aber, dieses elende Weib, wollte ihr keinen Kredit geben, und ihre Kammerzofe hat 1000 Francs für die Robe vorgeschossen. Arme Nasie . . .! Daß es mit ihr dahin gekommen ist! Das hat mir das Herz gebrochen. Als die Kammerzofe sah, wie Restaud Nasie alles Vertrauen entzog, bekam sie Angst um ihr Geld; sie hat sich mit der Schneiderin verständigt, daß die Robe nur dann geliefert wird, wenn sie die 1000 Francs zurückerhalten hat. Der Ball ist morgen, die Robe ist fertig, Nasie ist in Verzweiflung. Sie bat mich, ihr die Bestecke zu leihen, um sie zu versetzen. Ihr Gatte besteht darauf, daß sie zum Ball geht – sie soll ganz Paris die Diamanten zeigen, von deren Verkauf man so viel gesprochen hat. Kann sie zu diesem Ungeheuer sagen: Ich schulde 1000 Francs, bezahlen Sie sie! Nein. Ich habe das wohl verstanden. Ihre Schwester Delphine wird in einer herrlichen Toilette erscheinen. Anastasie darf nicht hinter ihrer jungen Schwester zurückstehen. Und sie war so in Tränen aufgelöst, das arme Kind! Ich fühlte mich gestern derart beschämt, nicht 12 000 Francs zu haben, daß ich gern den Rest meines elenden Lebens hingegeben hätte, um diese Schmach zu tilgen. Sehen Sie, ich hatte die Kraft, alles zu ertragen, aber meine letzte Geldnot hat mir das Herz gebrochen. Nun also, es ging eins, zwei, drei; ich habe mich zurechtgemacht, mich herausgeputzt, dann habe ich die Bestecke und Silberschalen für 600 Francs verkauft und meine Leibrente habe ich für 400 Francs beim Papa Gobseck verpfändet. Bah! Ich werde einfach von Brot leben; das hat mir genügt, als ich jung war, und das wird auch jetzt noch gehen. Wenigstens hat meine arme Nasie einen schönen Abend. Sie wird strahlen. Den Tausendfrancschein habe ich da unter meinem Kopfkissen. Der Gedanke, das Geld da zu wissen, das meiner armen Nasie solche Freude bereiten wird, macht mich innerlich warm. Sie kann jetzt ihre schlechte Kammerzofe vor die Tür setzen. Hat man jemals Dienstboten gesehen, die kein Vertrauen zu ihrer Herrschaft haben? Morgen wird es mir besser gehen. Nasie kommt um zehn Uhr. Meine Töchter sollen nicht glauben, daß ich krank bin, sie würden so
nst nicht zum Ball gehen und mich pflegen wollen. Nasie wird mich morgen umarmen, als wenn ich ihr Kind wäre, ihre Liebkosungen werden mich heilen. Hätte ich nicht auch 1000 Francs für den Apotheker gebraucht? Ich gebe sie lieber meinem Allheilmittel, meiner Nasie. Ich werde sie wenigstens in ihrem Elend trösten. Auf diese Weise sühne ich das Unrecht, eine Leibrente gekauft zu haben. Sie ist am Abgrund, und ich, ich habe nicht die Kraft, sie zu retten. Aber ich werde mich wieder auf den Handel verlegen. Ich will nach Odessa gehen, um Getreide einzukaufen. Es ist dort dreimal so billig wie bei uns. Die Getreideeinfuhr ist zwar verboten, aber unsere braven Gesetzemacher haben nicht an die Getreideprodukte gedacht. Ha, ha! Ich habe mir das heute morgen ausgedacht! Mit Stärkemehl kann man einen Haufen Geld verdienen.«
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