»Ja, mein guter Vater.«
»Oh, sei still, wenn es nach mir ginge, würde ich dich dies Wort noch hundertmal wiederholen lassen.«
Der weitere Abend wurde ausgefüllt mit tausenderlei kindlichen Scherzen, und der Vater Goriot war wohl das tollste Kind von den dreien. Er wollte seiner Tochter die Füße küssen, er sah ihr lange in die Augen, er hielt seinen Kopf an ihr Kleid geschmiegt, er beging alle möglichen Torheiten, wie man sie nur den jüngsten und zärtlichsten Liebhabern hätte zutrauen mögen.
»Sehen Sie«, sagte Delphine zu Eugen, »wenn mein Vater mit uns zusammen ist, so muß man sich ihm ganz widmen. Manchmal ist das wirklich etwas lästig.«
Eugen, der bereits mehrfach Regungen einer Art Eifersucht verspürt hatte, konnte dieses Wort, das doch den Inbegriff alles Undankes einschloß, nicht mißbilligen.
»Und wann wird die Wohnung fertig sein?« fragte Eugen, der sich im Schlafzimmer umblickte. »Wir müssen uns also heute abend trennen?«
»Ja. Aber morgen werden Sie mit mir essen«, sagte sie verheißungsvoll, »morgen ist mein Theaterabend.«
»Dann gehe ich ins Parterre«, sagte Vater Goriot.
Es war Mitternacht geworden. Madame de Nücingens Wagen wartete. Vater Goriot und der Student unterhielten sich auf dem Rückweg zum Hause Vauquer mit solchem Enthusiasmus über Delphine, daß es beinahe zu einem Wettstreit der Ausdrücke kam. Eugen konnte sich nicht verhehlen, daß die Liebe des Vaters, der kein egoistisches Interesse anhaftete, die seinige an Stärke und Tiefe übertraf. Für den Vater blieb das Idol stets rein und schön, und zu seiner Anbetung trugen Vergangenheit und Aussichten in die Zukunft bei.
Sie fanden Madame Vauquer allein zwischen Sylvia und Christoph beim Ofen. Sie saß da wie ein Marius auf den Trümmern von Karthago. Mit Sylvia Trübsal blasend, erwartete sie die beiden einzigen Pensionäre, die noch geblieben waren. Lord Byron hat zwar seinen Tasso die schönsten Lamentationen sprechen lassen, aber sie blieben weit hinter dem zurück, was die Klagelieder der Madame Vauquer an tiefer Wahrheit enthielten.
»Also morgen sind nur drei Tassen Kaffee zu kochen, Sylvia. Mein Haus ist verödet – ist das nicht zum Herzzerreißen? Was ist das Leben ohne meine Pensionäre? Nichts. Das ganze Haus ist geräumt, nur noch die Möbel leben. Was habe ich dem Himmel getan, daß ich mir all dies Unheil zugezogen habe? Unsere Vorräte an Bohnen und Kartoffeln reichen für zwanzig Personen. Die Polizei in meinem Hause! Wir werden jetzt also nur noch Kartoffeln essen. Ich werde Christoph entlassen.«
Christoph, der Savoyarde, der geschlafen hatte, wurde wach, als sein Name genannt wurde, und rief: »Madame?«