»Gut, da hab' ich Sie«, sagte der Alte, der ein abgenutztes Lederportefeuille hervorzog. »Ich bin Wucherer geworden, ich habe alle Ihre Rechnungen bezahlt, hier sind sie. Für alles das schulden Sie keinen Centime mehr. Es ist nicht viel, 5000 Francs höchstens. Ich leihe sie Ihnen. Sie können mir das nicht abschlagen, ich bin keine Frau. Geben Sie mir eine Bescheinigung auf einem Zettel. Sie können es mir später zurückgeben.«
Eugen und Delphine, die sich überrascht ansahen, standen die Tränen in den Augen. Rastignac ergriff die Hand des alten Mannes und drückte sie.
»Nun, was ist denn«, sagte Goriot, »seid ihr nicht meine Kinder?«
»Aber Vater«, sagte Madame de Nücingen, »wie haben Sie das gemacht?«
»Oh, das will ich euch erzählen!« erwiderte er. Als ich sah, daß du ihn in deiner Nähe haben wolltest, da habe ich mir gesagt: Sie wird in Schwierigkeiten kommen! Der Rechtsanwalt meint, der Prozeß gegen deinen Gatten auf Herausgabe deines Vermögens könne länger als sechs Monate dauern. Gut. Ich habe meine 1350 Livres unkündbare Rente verkauft. Von dem Erlös habe ich mit 15 000 Francs eine sichere Leibrente von 1200 Francs gekauft, und mit dem Rest habe ich die Lieferanten bezahlt, meine Kinder. Ich habe da oben ein Zimmer für 50 Taler im Jahr, ich kann mit zwei Francs am Tag wie ein Fürst leben, und ich habe sogar noch etwas übrig. Ich verbrauche nichts, ich brauche kaum Kleider. Vierzehn Tage lang lache ich mir schon ins Fäustchen, wenn ich mir sage: Werden die glücklich sein! Nun, seid ihr nicht glücklich?«
»Oh! Papa!« rief Madame de Nücingen und setzte sich auf seine Knie. Sie küßte ihn ab, liebkoste ihm die Wangen mit ihren blonden Haaren und ließ Tränen über das strahlende Gesicht des Alten rinnen.
»Lieber Vater, du bist ein wahrer Vater. Nein, solch einen Vater gibt es auf der Welt nicht wieder. Eugen hatte dich vorher schon sehr lieb, wie wird das erst jetzt werden!«
»Aber Kinder, Kinder«, sagte Vater Goriot, der seit zehn Jahren das Herz seiner Tochter nicht mehr hatte schlagen hören, »aber, Delphine, willst du denn, daß ich vor Freude sterbe? Mein armes Herz bricht. Ach, Eugen, wir sind schon quitt.«
Der Greis drückte seine Tochter so stürmisch und wild an sich, daß sie ausrief:
»Ach, du tust mir weh!«
»Ich habe dir weh getan!« sagte er erbleichend.
Er sah sie mit einem Ausdruck übermenschlichen Schmerzes an. Um das Antlitz dieses Heilands der Vaterliebe zu schildern, müßte man Vergleiche in den Bildern suchen, in denen die Fürsten der Palette die Passion Christi dargestellt haben. Vater Goriot küßte ganz sanft den Gürtel, den seine Finger zu stark gedrückt hatten.