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Vater Goriot 高老头-116
日期:2018-10-19 14:45  点击:242
»Ich schreibe Ihnen weder aus falscher Eitelkeit noch im Zorn, mein Freund. Ich habe Sie bis zwei Uhr nachts erwartet. Jemanden erwarten, den man liebt – wer diese Qual kennt, wird sie niemandem zumuten. Ich hoffe wohl, daß Sie zum ersten Male lieben. Was ist geschehen? Ich bin in größter Unruhe. Wenn ich nicht gefürchtet hätte, die Geheimnisse meines Herzens zu verraten, wäre ich selbst gekommen, um zu sehen, was sich an Glücklichem oder Unglücklichem ereignet hat. Aber um diese Stunde zu Fuß oder im Wagen aufbrechen, hieße das nicht, sich verraten? Ich habe gefühlt, welch ein Unglück es ist, Frau zu sein. Beruhigen Sie mich, erklären Sie mir, warum Sie, nachdem Sie von meinem Vater meine Bestellung erhalten haben, nicht gekommen sind! Ich werde vielleicht böse werden, aber ich werde Ihnen verzeihen. Sind Sie krank? Warum wohnen Sie auch so weit? Ein Wort nur, bitte. Auf baldiges Wiedersehen, nicht wahr? Ein Wort genügt mir, wenn Sie beschäftigt sind. Sagen Sie: Ich komme, oder: Ich leide. Aber, wenn Sie krank wären, wäre mein Vater gekommen, um es mir zu sagen. Was ist denn geschehen?«
 
»Ja, was ist geschehen?« rief Eugen, der in den Speisesaal stürzte, in der Hand den Brief zerknitternd, den er kaum zu Ende gelesen hatte. »Wieviel Uhr ist es?«
 
»Elfeinhalb Uhr«, sagte Vautrin, seinen Kaffee schlürfend. Er sah Eugen mit jenem kalten faszinierenden Blick an, über den gewisse besonders magnetisch veranlagte Menschen verfügen, jenen Blick, durch den, wie man sagt, in den Irrenhäusern die gefährlichen Geisteskranken beruhigt werden. Eugen zitterte an allen Gliedern. Da hörte man von der Straße her das Geräusch eines Fiakers. Ein Diener in der Livree des Hauses Taillefer, die Madame Couture sofort erkannte, stürzte mit verstörter Miene in das Zimmer.
 
»Gnädiges Fräulein«, rief er, »Ihr Herr Vater verlangt nach Ihnen . . . Ein großes Unglück ist geschehen. Ihr Herr Bruder hat sich duelliert, er hat einen Säbelhieb über die Stirn erhalten. Die Ärzte haben die Hoffnung aufgegeben. Sie haben kaum Zeit, ihm Lebewohl zu sagen; er ist ohne Bewußtsein.«
 
»Armer junger Mann!« rief Vautrin. »Wozu streitet man sich auch, wenn man gute 30 000 Francs Rente hat. Ganz gewiß, die heutige Jugend treibt es zu toll.«
 
»Herr Vautrin!« rief ihm Eugen zu.
 
»Nun, was denn, Sie großes Kind?« sagte Vautrin, der ruhig seinen Kaffee weitertrank. Fräulein Michonneau verfolgte seine Bewegungen so gespannt, daß sie das Ereignis, über das alle entsetzt waren, kaum bemerkte. »Gibt es nicht jeden Morgen Duelle in Paris?« fuhr Vautrin fort. 

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