»Was für ein Mensch sind Sie!« rief Eugen, »Sie sind nur dazu da, um mich zu quälen.«
»Aber nein, ich bin ein guter Kerl, der sich in den Dreck wirft, damit Sie für den Rest Ihrer Tage vor jedem Schmutz bewahrt bleiben. Sie fragen mich: Woher diese Aufopferung? Nun, ich werde Ihnen das eines Tages ganz leise ins Ohr sagen. Ich habe Ihnen zuerst einen Schreck eingejagt, als ich Ihnen das Uhrwerk unserer sozialen Ordnung und das Spiel der Maschine erklärte. Aber diese erste Angst wird vorübergehen wie die des Rekruten auf dem Schlachtfelde. Sie werden sich an die Idee gewöhnen, in den Menschen nichts anderes zu sehen als Soldaten, die für die anderen, die sich selbst zum König salben, zu sterben entschlossen sind. Die Zeiten haben sich sehr geändert. Früher sagte man zu einem Bravo: Hier sind 100 Gulden, töte Herrn Soundso. Und man soupierte in Ruhe, nachdem man einen Menschen für ein Ja oder ein Nein erledigt hatte. Heute biete ich Ihnen ein schönes Vermögen für ein bloßes Kopfnicken, das Sie in keiner Weise kompromittiert, und Sie zögern! Dieses Jahrhundert hat kein Mark mehr in den Knochen!«
Eugen unterzeichnete den Wechsel und nahm dafür die Banknoten.
»Nun, sehen Sie, also seien wir vernünftig«, fuhr Vautrin fort. »Ich will in einigen Mo
naten nach Amerika reisen und dort meinen Tabak pflanzen. Ich werde Ihnen Freundschaftszigarren schicken. Wenn ich reich bin, helfe ich Ihnen. Wenn ich keine Kinder habe (sehr wahrscheinlich, denn ich bin nicht versessen darauf, Ableger zu hinterlassen), vermache ich Ihnen mein Vermögen. Heißt das Freundschaft? Aber das macht, ich habe Sie gern. Ich habe nun einmal die Leidenschaft, mich für einen anderen aufzuopfern. Ich habe es bereits früher getan. Sehen Sie, mein Junge, ich lebe in einer höheren Sphäre als die anderen Menschen. Handlungen sind für mich nur ein Mittel zum Zweck, und ich sehe nur das Ziel. Was bedeutet ein Mensch für mich? Soviel«, sagte er, indem er mit dem Nagel seines Daumens an den Zähnen knipste, »ein Mensch ist alles oder nichts. Er ist weniger als nichts, wenn er Poiret heißt; man kann ihn wie eine Wanze zertreten. Er ist platt und stinkt. Aber ein Mensch ist ein Gott – wenn er ist wie Sie. Er ist nicht mehr bloß eine mit Haut überzogene Maschine, er ist ein Theater, auf dem die schönsten Gefühle in Aktion treten – und ich lebe nur in Gefühlen. Ein Gefühl: Ist das nicht die ganze Welt in einem Gedanken? Sehen Sie den Vater Goriot! Seine beiden Töchter sind für ihn das Weltall, sie sind der Faden, mit Hilfe dessen er sich in der Schöpfung bewegt. Nun, für mich, der ich das Leben gründlich durchgeackert habe, gibt es nur ein wahres Gefühl: die Freundschaft von Mann zu Mann. Pierre und Jaffier, das ist meine Leidenschaft. Ich kenne das ›gerettete Venedig‹ auswendig. Kennen Sie Leute mit genügend Mark in den Knochen, die, wenn ihnen ein Kamerad sagt: ›Gehen wir einen begraben!‹, mitmachen, ohne zu mucksen und ohne von Moral zu schwatzen? Ich hier, ich habe das getan! Ich würde so nicht zu aller Welt reden. Aber Sie, Sie sind ein höherer Mensch, Ihnen kann man alles sagen, Sie können alles verstehen. Sie sollen sich nicht lange in den Sümpfen herumtreiben, in denen die kleinen Kröten leben, die uns hier umgeben. Na also, nun ist es heraus! Sie werden heiraten. Rüsten wir unsere Waffen! Meine sind aus Eisen, die werden niemals weich, ha, ha!«
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