Sie ist entzückend, dachte Eugen, der immer mehr Feuer fing. Er bewunderte die Einrichtung des Zimmers, in dem die wollüstige Eleganz einer reichen Kurtisane herrschte.
»Gefällt es Ihnen hier?« fragte sie und klingelte der Zofe.
»Therese, bringen Sie dies zu Herrn de Marsey und übergeben Sie es ihm selbst. Falls Sie ihn nicht antreffen, bringen Sie mir den Brief zurück!«
Therese verließ das Zimmer nicht, ohne Eugen einen listigen Blick zugeworfen zu haben. Das Diner war serviert. Rastignac reichte Madame de Nücingen den Arm, die ihn in ein entzückendes Speisezimmer führte, wo er den Luxus der Tafel wiederfand, den er bei seiner Cousine bewundert hatte.
»Sooft ich in die Komische Oper gehe«, sagte sie, »werden Sie mit mir dinieren und mich ins Theater begleiten.«
»Ich würde mich bald an dieses schöne Leben gewöhnen. Aber ich bin ein armer Student, der erst Vermögen und Stellung erringen muß.«
»Das wird kommen«, sagte sie lächelnd. »Sie sehen, alles arrangiert sich. Ich hätte nicht geglaubt, daß ich heute noch so glücklich würde.«
Es liegt in der Natur der Frauen, das Unmögliche und das Mögliche zu beweisen und Tatsachen durch Vermutungen aus der Welt zu schaffen.
Als Madame de Nücingen mit Rastignac ihre Loge in der Oper betrat, machte sie der Ausdruck der Zufriedenheit auf ihren Zügen so schön, daß jeder sich die kleinen Verleumdungen erlaubte, gegen die Frauen machtlos sind und die beliebig erfundene Verirrungen manchmal glaubhaft zu machen verstehen. Wenn man Paris kennt, glaubt man nichts von dem, was erzählt wird, und man erzählt nichts von dem, was geschieht. Eugen nahm die Hand der Baronin, und beide verständigten sich durch mehr oder weniger lebhafte Händedrücke über die Empfindungen, die die Musik in ihnen auslöste. Für beide war dieser Abend wahrhaft bezaubernd. Sie verließen gemeinsam das Theater. Madame de Nücingen brachte Eugen im Wagen bis zum Pont Neuf. Aber unterwegs verweigerte sie ihm die Gunst der Küsse, die sie ihm beim Palais Royal so reichlich gewährt hatte. Eugen warf ihr diese Inkonsequenz vor. »Vorhin«, erwiderte sie, »war es der Dank für eine unverhoffte Ergebenheit; jetzt wäre es ein Versprechen.«