»Mein Gott! Was für ein prächtiger Mensch«, sagte Madame Vauquer zu Madame Couture, »man langweilt sich doch nie, wenn er da ist.«
Inmitten des Lachens und der Scherze, zu denen diese komische Ansprache Anlaß gab, konnte Eugen einen verstohlenen Blick Victorines auffangen, die sich zu Madame Couture neigte, um ihr etwas ins Ohr zu sagen.
»Da kommt der Wagen!« meldete Sylvia.
»Wo diniert er denn?« fragte Bianchon.
»Bei der Baronin von Nücingen.«
»Der Tochter des Herrn Goriot«, erwiderte der Student. Bei diesen Worten wandten sich alle Augen zu dem früheren Nudelfabrikanten, der Eugen fast neidisch anblickte.
Als Rastignac in der Rue St-Lazare ankam, fand er eines jener ziemlich stillosen Häuser vor, mit einem Vorbau auf dünnen Säulen, die einen dürftigen Wandelgang bildeten, also das, was man in Paris »hübsch« nennt, das wahre Haus eines Bankiers, voll von überladenen Kostbarkeiten, mit Stuck und Treppengeländern aus Marmormosaik. Er traf Madame de Nücingen in einem kleinen Salon mit italienischen Bildern, der aussah wie ein Kaffeehaus. Die Baronin war traurig. Die Bemühungen, die sie machte, um ihren Kummer zu verbergen, interessierten Eugen um so mehr, als nichts geheuchelt war. Er hatte geglaubt, eine Frau durch seine bloße Gegenwart heiter stimmen zu können, und war daher verzweifelt. Dieser Mißerfolg tat seiner Eigenliebe weh.
»Ich habe wenig Anrecht auf Ihr Vertrauen, gnädige Frau«, sagte er, nachdem er sie ein wenig mit ihrer Zerstreutheit geneckt hatte, »aber wenn ich Ihnen lästig falle, so müssen Sie es mir offen sagen. Ich rechne auf Ihre Aufrichtigkeit.«
»Bleiben Sie«, erwiderte sie, »ich bin sonst allein. Nücingen diniert in der Stadt, und ich möchte nicht allein bleiben. Ich brauche Ablenkung.«
»Aber was haben Sie?«
»Sie wären der letzte, dem ich es sagen würde«, rief sie.
»Ich will es wissen. Ich müßte sonst annehmen, daß ich selbst mit diesem Geheimnis etwas zu tun habe.«
»Vielleicht. Aber nicht doch«, erwiderte sie, »es ist häuslicher Kummer, der im Grunde des Herzens begraben werden muß; Sagte ich es Ihnen nicht vorgestern: Ich bin nicht glücklich. Die goldenen Ketten drücken am schwersten.«
Wenn eine Frau einem jungen Manne sagt, daß sie unglücklich sei, und wenn dieser junge Mann geistreich und gut angezogen ist, wenn er für 1500 Francs Müßiggang in der Tasche hat, so wird er denselben Unsinn denken, den Eugen dachte:
»Was können Sie sich wünschen«, erwiderte er, »Sie sind schön, jung, reich, geliebt!«