»Oh, wie würde ich Sie lieben, mein Herr, wenn Sie meiner Tochter gefielen. Sie sind gut, Sie werden sie nicht quälen. Aber, wenn Sie sie verraten würden, würde ich Ihnen die Gurgel durchschneiden. Eine Frau kann nicht zweimal lieben, sehen Sie! Mein Gott! Ich rede dummes Zeug, Herr Eugen. Es ist hier zu kalt für Sie. Mein Gott, Sie haben sich also mit ihr unterhalten! Was hat sie Ihnen für mich aufgetragen?«
Nichts, dachte Eugen bei sich.
»Sie läßt Ihnen durch mich einen schönen Kuß senden«, sagte er dann laut.
»Adieu, lieber Nachbar, schlafen Sie wohl und träumen Sie gut. Für mich genügt schon dieses Wort. Möge Gott Sie in allen Ihren Vorhaben schützen! Sie waren für mich heute abend wie ein guter Engel. Sie haben mir die Atmosphäre meiner Tochter gebracht.«
Der arme Mann, dachte Eugen, als er sich zu Bett legte. Ein Herz von Stein müßte er rühren. Seine Tochter hat an ihn nicht mehr gedacht als an den Großmogul.
Seit dieser Unterhaltung erblickte Vater Goriot in seinem Nachbarn einen unerwarteten Vertrauten, einen Freund. Zwischen ihnen beiden bestand die einzige Bindung, die Vater Goriot an einen anderen Menschen fesseln konnte. Leidenschaften verrechnen sich niemals. Vater Goriot sah sich seiner Tochter Delphine ein wenig näher gerückt. Er sah sich besser bei ihr aufgenommen, wenn sie Eugen liebgewinnen würde. Er hatte ihm den größten Schmerz seiner Tochter anvertraut. Madame de Nücingen, die er tausendmal am Tage glücklich wünschte, hatte die Freuden der Liebe nicht kennengelernt. Eugen war, um Goriots eigenen Ausdruck zu gebrauchen, einer der nettesten jungen Leute, deren Bekanntschaft er gemacht hatte, und er hoffte, jener werde seiner Tochter alle die Freuden spenden, deren sie bisher beraubt geblieben war. In dem Alten stieg daher eine immer wachsende Freundschaft zu Eugen auf. Ohne sie wäre die Entwicklung seines Dramas unbekannt geblieben.