»Gnädige Baronin«, sagte der Marquis, »ich habe die Ehre, Ihnen den Chevalier Eugen de Rastignac vorzustellen, einen Vetter der Gräfin de Beauséant. Sie haben einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß ich sein Glück vervollständigen wollte, indem ich ihn seinem Idol näher brachte.«
Diese Worten waren in einem etwas spöttischen Ton gesagt, der ihre Deutlichkeit überdeckte, zumal sie, wenn sie geschickt vorgebracht wurden, einer Frau niemals mißfallen konnten. Madame de Nücingen lächelte und bot Eugen den Platz ihres Gatten an, der soeben die Loge verlassen hatte.
»Ich wage kaum, Ihnen vorzuschlagen, bei mir zu bleiben«, sagte sie zu ihm. »Wenn man das Glück genießt, neben Madame de Beauséant weilen zu können, so verläßt man seinen Platz nicht.«
»Im Gegenteil«, sagte Eugen leise, »ich glaube, daß ich meiner Cousine keinen größeren Gefallen tun kann, als wenn ich bei Ihnen bleibe. Bevor der Herr Marquis kam, sprachen wir von Ihnen, von dem vornehmen Eindruck Ihrer Persönlichkeit«, fuhr er laut fort.
Herr d'Ajuda zog sich zurück.
»Wirklich, mein Herr«, sagte die Baronin, »Sie wollen bei mir bleiben? Wir werden also Bekanntschaft schließen; Madame de Restaud hat mir bereits so viel von Ihnen erzählt, daß ich Sie kennenlernen wollte.«
»Dann muß sie recht falsch sein können, denn sie hat mir ihre Tür gewiesen.«
»Wie?«
»Madame, mein Gewissen zwingt mich, Ihnen den Grund zu sagen, aber ich bitte um all Ihre Nachsicht, wenn ich Ihnen ein solches Geheimnis anvertraue. Ich bin der Zimmernachbar Ihres Herrn Vaters. Ich wußte nicht, daß Madame de Restaud seine Tochter ist. Ich habe die Unklugheit begangen, davon sehr unschuldig zu sprechen, und ich habe den Zorn Ihrer Frau Schwester und ihres Gatten erregt. Sie können nicht glauben, wie wenig geschmackvoll die Herzogin von Langeais und meine Cousine diese Verleugnung eines Vaters gefunden haben. Ich habe ihnen die Szene erzählt, und sie haben sehr darüber gelacht. Bei dieser Gelegenheit zog Madame de Beauséant eine Parallele zwischen Ihnen und Ihrer Schwester, indem sie über Sie in der anerkennendsten Weise sprach und ihr schilderte, wie reizend Sie zu meinem Nachbarn, Herrn Goriot, sind. Wie sollten Sie ihn auch nicht lieben? Er betet Sie so leidenschaftlich an, daß ich schon auf ihn eifersüchtig bin. Wir haben heute morgen zwei Stunden lang von Ihnen gesprochen. Dann sagte ich, ganz erfüllt von dem, was mir Ihr Herr Vater erzählt hat, heut beim Diner zu meiner Cousine, Sie könnten unmöglich ebenso schön wie liebevoll sein. Madame de Beauséant, die offenbar eine so heiße Bewunderung weiter fördern wollte, hat mich dann hierher mitgenommen, indem sie mir mit ihrer bekannten Liebenswürdigkeit erklärte, ich würde Sie hier treffen.«