Als er zur Vicomtesse zurückkehrte, trat sie ihm wieder mit der graziösen Freundlichkeit entgegen, die sie stets an den Tag gelegt hatte. Sie begaben sich in den Speisesaal, wo der Vicomte seine Gattin erwartete. In dem Raum herrschte der Luxus der Tafel, der bekanntlich in der Zeit der Restauration seinen Höhepunkt erreichte. Herr von Beauséant kannte, wie so manche blasierten Menschen, kaum noch ein anderes Vergnügen als das eines guten Tisches; er stammte ganz aus der Schule Ludwig XVIII. und des Herzogs von Escars, dieser größten Gourmands jener Zeit. Seine Tafel entfaltete daher einen doppelten Luxus, sowohl der Aufmachung wie des Gehalts. Eugen, der zum erstenmal in einem Haus dinierte, in dem der soziale Glanz erblich ist, hatte ein solches Schauspiel noch nie erlebt. Gerade waren die Soupers, die ehemals unter dem Kaiserreich die Bälle abschlossen und bei denen sich die Militärs für ihre Leistungen daheim und draußen stärkten, außer Mode gekommen. Eugen hatte bisher nur an Bällen teilgenommen. Sein sicheres Auftreten, das ihn später so auszeichnen sollte und das sich eben zu bilden begann, schützte ihn vor törichter Verwunderung. Aber angesichts des glänzenden Silberzeuges, der tausenderlei Besonderheiten einer pompösen Tafel, der lautlosen Bedienung, mußte es einem Menschen mit glühender Einbildungskraft schwerfallen, dieses immer elegante Leben nicht dem Leben voller Entbehrungen vorzuziehen, das er noch am Morgen zu führen sich vorgenommen hatte. Einen Augenblick gingen seine Gedanken zu der Familienpension zurück; er bekam einen so tiefen Abscheu vor ihr, daß er sich schwor, sie zu Anfang Januar zu verlassen, ebensosehr, um in ein sauberes Haus zu ziehen, als auch um Vautrin zu fliehen, dessen breite Hand er noch auf seiner Schulter fühlte. Wenn man an die tausend Formen denkt, die die verschwiegene oder offene Korruption in Paris annimmt, so muß sich ein Mensch mit gesunden Sinnen fragen, aus welcher Verwirrung heraus der Staat dort Schulen gründet und junge Leute herbeizieht, wie hübsche Frauen dort überhaupt noch geachtet werden können, wie das Gold der Wechselstuben nicht magisch aus seinen Holztellern verschwindet. Aber wenn man daran denkt, wie wenig Verbrechen oder auch nur Vergehen von jungen Menschen begangen werden, welche Achtung muß man dann vor diesen geduldigen Tantalussöhnen haben, die mit sich selbst kämpfen und fast stets Sieger bleiben! Wenn man den jungen Studenten richtig im Kampfe mit Paris schildern wollte, so würde er eine der dramatischsten Figuren unserer modernen Zivilisation abgeben.
Madame de Beauséant sah Eugen vergebens an, um ihn zum Sprechen zu veranlassen; er wollte in Gegenwart des Grafen nicht das Wort ergreifen.
»Gehen Sie heute abend mit mir zur Komischen Oper«, fragte die Gräfin ihren Gatten.
»Sie wissen, ein wie großes Vergnügen es mir bereiten würde, Ihrem Wunsche zu gehorchen«, erwiderte er mit einer Galanterie, deren Spott der Student nicht verstand, »aber ich habe ein Rendezvous im Theater des Variétés.«
Seine Geliebte, sagte sie sich.
»Haben Sie nicht d'Ajuda für heute abend?« fragte der Graf.
»Nein«, erwiderte sie schlecht gelaunt.
»Nun, wenn Sie unbedingt einen Begleiter brauchen, nehmen Sie Herrn von Rastignac!«
Die Gräfin sah Eugen lächelnd an. »Es wird sehr kompromittierend für Sie sein«, sagte sie.