Dieser Spaziergang wurde dem Studenten verhängnisvoll. Einige Frauen bemerkten ihn. Er war so schön, so jung, so geschmackvoll und elegant gekleidet! Als er sah, daß er das Objekt einer fast bewundernden Aufmerksamkeit war, dachte er nicht mehr an seine von ihm ausgeplünderten Schwestern und an seine Tante, nicht mehr an seine tugendhaften Widerstände! Über seinem Haupt schwebte der Dämon, den man so leicht mit einem Engel verwechselt, der Satan mit den schillernden Flügeln, der Rubine sät, der goldene Pfeile auf die Paläste schleudert, der die Frauen in Purpur hüllt und der die Throne, so einfach oft ihr Ursprung auch ist, mit törichtem Glanz umgibt. Er hatte den Gott der prahlenden Eitelkeit gehört, dessen Schellengeklingel uns so oft das Symbol der Macht zu sein scheint. Die Worte Vautrins, so zynisch sie auch waren, hatten sich in sein Herz eingegraben, wie sich dem Gedächtnis eines jungen Mädchens das gemeine Profil einer alten Kupplerin eingegraben hat, die ihm zuflüsterte: »Gold und Liebe, soviel Sie wollen!« Rastignac flanierte eine Weile müßig umher und meldete sich dann um fünf Uhr bei Madame de Beauséant. Hier erhielt er einen jener furchtbaren Schläge, gegen die junge Herzen so gar nicht gewappnet sind. Bisher hatte er die Vicomtesse stets voll höflicher Freundlichkeit gefunden, von jener honigsüßen Grazie, zu der die aristokratische Erziehung führt und die erst dann vollkommen ist, wenn sie aus dem Herzen kommt.
Als er eintrat, war Madame de Beauséant sehr kurz angebunden und sagte kalt: »Herr von Rastignac, es ist mir unmöglich, Sie zu empfangen, wenigstens in diesem Augenblick nicht! Ich bin beschäftigt . . .«
Für den, der beobachten konnte, und Rastignac hatte es schnell gelernt, sprachen diese Worte, die Geste, der Blick und der Tonfall von der Geschichte des Charakters und der Gewohnheiten der Kaste, der Madame de Beauséant angehörte. Rastignac fühlte die eiserne Hand unter dem Samthandschuh, die Eigenliebe, den Egoismus unter den glatten Manieren, das Holz unter dem Firnis. Er mußte das »Ich, der König!« hören, das nicht nur an den Glanz der Höhe gebunden ist, sondern das auch der einfachste Edelmann oft vernehmen läßt. Eugen hatte zu sehr auf die Worte der Vicomtesse gebaut, und er glaubte zu stark an den Edelmut des weiblichen Herzens. Wie alle Unglücklichen, hatte er gutgläubig den schönen Pakt unterzeichnet, der den Wohltäter an den Verpflichteten binden soll und dessen erster Artikel eine vollständige Gleichheit zwischen zwei großen Herzen dekretiert. Echte Wohltätigkeit, die zwei Wesen zu einem einzigen vereinigt, ist eine himmlische Leidenschaft, ebenso unverstanden und selten wie wirkliche Liebe. Rastignac wollte unter allen Umständen am Ball der Herzogin von Carigliano teilnehmen, und er ließ daher den Sturm über sich ergehen.
»Madame«, sagte er mit bewegter Stimme, »wenn es sich nicht um etwas Wichtiges handelte, hätte ich nicht gewagt, Sie zu belästigen. Seien Sie so liebenswürdig, mich später zu empfangen, ich werde warten.«
»Nun gut, dinieren Sie mit mir«, sagte sie, selbst ein wenig verwirrt über ihre harten Worte, denn im Grunde war diese Frau ebenso gut wie groß.
Obwohl Eugen durch diese plötzliche Sinnesänderung angenehm berührt war, sagte er sich beim Fortgehen:
Die bitteren Betrachtungen des Studenten wurden, bald durch die angenehme Aussicht auf das Diner bei der Vicomtesse zerstreut. So hatten sich, fast wie ein Verhängnis, die bedeutungslosesten Ereignisse verschworen, um ihn in eine Karriere zu treiben, in der er, nach den Bemerkungen der schrecklichen Sphinx des Hauses Vauquer, töten mußte, um nicht getötet zu werden, täuschen, wenn er nicht der Betrogene sein wollte. Er mußte an der Grenzschranke sein Gewissen und sein Herz lassen, eine Maske anlegen, ohne Erbarmen mit den Menschen spielen und, wie in Sparta, das Glück stehlen, ohne gefaßt zu werden, wenn er den Siegeskranz erringen wollte.