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Vater Goriot 高老头-61
日期:2018-10-08 11:14  点击:294
Wenn dieser Beruf Ihnen also nicht paßt, sehen wir uns nach etwas anderem um! Wünscht der Herr Baron von Rastignac vielleicht Advokat zu werden? Auch nicht schlecht. Da muß man 10 Jahre vegetieren, 1000 Francs im Monat ausgeben, eine Bibliothek und ein Arbeitskabinett haben, in Gesellschaften gehen, vor einem Sachwalter dienern, um Klienten zu bekommen, den ganzen Justizpalast mit der Zunge ablecken. Wenn dieser Beruf zu etwas führte, würde ich nicht nein sagen. Aber suchen Sie mir in Paris fünf Advokaten, die mit 50 Jahren mehr als 50 000 Francs verdienen! Bah, ehe ich mich so tief erniedrigte, würde ich lieber Seeräuber werden. Übrigens, wo soll man auch das Geld hernehmen? All das ist nicht gerade lustig. Da wäre vielleicht die Mitgift einer reichen Frau. Wollen Sie heiraten? Sie binden sich einen Stein ans Bein. Und dann, wenn Sie eine Geldheirat eingehen, wo bleiben unsere Gefühle für Ehre und Anstand? Dann können Sie ebensogut heute mit Ihrer Revolte gegen die Konventionen der Menschheit beginnen. Aber das alles wäre noch nichts: einer Frau zu Füßen kriechen, der Schwiegermutter die Schuhe zu lecken, sich zu erniedrigen, daß die Schweine den Ekel kriegen, puah! Wenn Sie bei alledem wenigstens Ihr Glück fänden! Aber Sie sind mit einer Frau, die Sie aus solchen Gründen geheiratet haben, unglücklich wie ein Pflasterstein. Besser noch, man schlägt sich mit Männern herum, als mit seiner Frau auf dem Kriegsfuß zu stehen!
 
Da stehen Sie also am Scheidewege des Lebens, junger Mann, wählen Sie! Aber Sie haben schon gewählt! Sie sind zu unserem Cousin Beauséant gegangen, und Sie haben den Luxus gewittert. Sie sind zu Madame de Restaud gegangen, der Tochter des Vaters Goriot, und Sie haben die Pariserin gewittert. Als Sie an diesem Tage zurückkehrten, stand ein Wort auf Ihrer Stirn geschrieben, das ich lesen konnte: Erfolg um jeden Preis! Bravo! sagte ich mir, das ist ein Bursche, der mir gefällt. Sie brauchten Geld. Woher nehmen? Sie haben Ihre Schwestern zur Ader gelassen. Alle Brüder nehmen mehr oder weniger ihre Schwestern hoch. So haben Sie schließlich Ihre 1500 Francs losgeeist. Gott weiß wie! Dabei gibt es in Ihrer Heimat mehr Kastanien als Fünffrancstücke, und Ihre Gelder werden fortflitzen wie die Soldaten, wenn es ans Plündern geht. Und nachher, was werden Sie machen? Sie werden arbeiten? Die Arbeit, wie Sie sie heute verstehen, das schafft auf die alten Tage höchstens ein Appartement bei Madame Vauquer für Burschen vom Schlage Poiret.

Schnell reich zu werden ist das Problem, das in diesem Augenblick fünftausend junge Menschen lösen wollen, die sich alle in Ihrer Lage befinden. Sie sind nur einer von diesen Tausenden. Danach ermessen Sie, was für Anstrengungen Sie zu machen haben und wie erbittert der Kampf ist! Ihr müßt euch einer den anderen wie Spinnen in einem Topf auffressen, da es nicht 5000 gute Stellungen gibt. Wissen Sie, wie man hier seinen Weg macht? Durch glänzendes Genie oder durch geschickte Korruption. Man muß auf diese Masse Menschen losplatzen wie eine Kanonenkugel oder sich unter sie einschleichen wie die Pest. Anständigkeit führt zu nichts. Man beugt sich vor der Macht des Genies, man haßt es, man sucht es zu verleumden, weil es nimmt, ohne zu teilen. Man gibt nach, wenn es sich durchsetzt, mit einem Wort: Man betet es auf den Knien an, wenn man es nicht im Schmutz begraben konnte. Die Korruption ist obenauf, das Talent ist selten. So ist die Korruption die Waffe der allzu zahlreichen Mittelmäßigkeit, und Sie werden ihr überall begegnen. Sie werden Frauen sehen, deren Männer nur 6000 Francs für Kind und Kegel haben und die doch mehr als 10 000 Francs für ihre Toilette ausgeben. Sie werden Angestellte mit 1200 Francs sehen, die sich Landgüter kaufen. Sie werden es erleben, wie sich Frauen prostituieren, um im Wagen des Sohnes eines Pairs von Frankreich zu fahren. Sie haben gesehen, wie Vater Goriot, der arme Dummkopf, einen von seiner Tochter unterschriebenen Wechsel bezahlen muß, während ihr Gatte 50 000 Livres Rente hat. Wetten wir, daß Sie nicht zwei Schritte in Paris machen können, ohne auf höllische Schliche zu stoßen. Ich setze mein Leben gegen diesen Salatkopf dort, daß Sie bei der ersten Frau, die Ihnen gefällt, in ein solches Wespennest geraten werden, und wenn sie noch so reich, jung und schön ist. Alle stehen sie irgendwie mit den Gesetzen in Konflikt und leben mit ihren Gatten in Streit. Ich würde kein Ende finden, wenn ich Ihnen die Schleichwege schildern wollte, die sie für ihre Geliebten, für ihren Putz, für ihre Kinder, für den Haushalt oder ihre Eitelkeit betreten, selten aus Tugend, dessen seien Sie sicher. Deswegen ist auch ein anständiger Mensch allgemein verhaßt. Aber was glauben Sie denn, was ein anständiger Mensch ist? In Paris ist der anständig, der schweigt und nicht mittun will. Ich spreche natürlich nicht von den armen Heloten, die überall ohne Dank die große Arbeit tun und die ich die Brüderschaft der Schlappschwänze des lieben Gottes nenne. Da findet man sicherlich die Tugend in der ganzen Blüte ihrer Dummheit, aber auch das Elend. Ich sehe schon das Gesicht, das diese braven Kerle machen, falls unser Herrgott sich den schlechten Scherz erlauben sollte, beim Jüngsten Gericht durch Abwesenheit zu glänzen. Wenn Sie also schnell zu Vermögen kommen wollen, so müssen Sie entweder schon reich sein oder es scheinen. Wenn man reich werden will, kann man nur große Coups machen, andernfalls läppert man so weiter, und dann . . . Ihr Diener! Wenn sich in den hundert Berufen, die in Frage kommen, zehn Männer finden, die schnell Erfolg gehabt haben, so nennt das Publikum sie Diebe. Ziehen Sie also Ihre Schlüsse! Da haben Sie das Leben, wie es wirklich ist. Schön ist's in dieser Küche nicht, da riecht's nach allerlei, und man macht sich die Hände schmutzig, wenn man was Gutes brutzeln will. Man muß nur sehen, daß man nach außen immer sauber erscheint: Das ist die ganze Moral unserer Zeit. 

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