»Ach, mein lieber Nachbar, ich bin ja Sohn und Bruder, wie Sie Vater sind. Sie haben recht, wenn Sie um die Gräfin Anastasie zittern. Sie gehört einem Maxime de Trailles an, der sie ruinieren wird.«
Vater Goriot zog sich zurück, einige Worte stammelnd, die Eugen nicht verstand. Am folgenden Tage brachte Rastignac seine Briefe zur Post. Er zögerte bis zum letzten Augenblick, aber schließlich warf er sie in den Briefkasten mit den Worten: »Ich werde mein Ziel erreichen!« – Das fatalistische Wort des Spielers und des Feldherrn, das mehr Menschen verdirbt als rettet.
Einige Tage später ging Eugen zu Madame de Restaud und wurde nicht empfangen. Dreimal erschien er noch, und dreimal fand er die Tür verschlossen, obwohl er sich stets um die Zeit meldete, wenn der Comte de Trailles nicht da war. Die Vicomtesse hatte also recht gehabt. Der Student studierte nun nicht mehr. Er ging nur zu Vorlesungen, um beim Namensaufruf zugegen zu sein. Wenn seine Anwesenheit testiert war, machte er sich aus dem Staube. Er folgte dabei dem Grundsatz der meisten Studenten und sparte sich die wirkliche Arbeit für die Zeit des Examens auf. Die Vorlesungen des zweiten und dritten Jahres wollte er im letzten Monat auf einen Hieb, aber dann ernsthaft nachholen. So hatte er fünfzehn Monate der Muße vor sich, um seine Kreuzfahrt auf dem Ozean von Paris als eine Art Frauenhändler und Glücksspieler anzutreten.
Während der nächsten Woche ging er zweimal zu Madame de Beauséant, bei der er sich nur meldete, sobald die Equipage des Marquis d'Ajuda-Pinto verschwunden war. Für einige Tage noch blieb diese hervorragende Frau, die poesieumwobene Figur des Faubourg St-Germain, Siegerin: Es gelang ihr, die Heirat des Fräuleins von Rochefide mit dem Marquis d'Ajuda-Pinto aufzuschieben. Aber diese letzten Tage, denen die Furcht, das Glück zu verlieren, eine besondere Glut verlieh, sollten die Katastrophe nur beschleunigen. Der Marquis d'Ajuda hatte in Übereinstimmung mit den Rochefides den Bruch und die Wiederversöhnung als günstig angesehen: Sie hofften, daß Madame de Beauséant sich mit der Idee der Heirat abfinden und schließlich ihre täglichen Zusammenkünfte der Zukunft des jungen Mannes, wie sie das Leben nun einmal will, opfern würde.
Trotz seiner heiligsten, täglich wiederholten Versprechungen spielte Herr d'Ajuda also Komödie, und die Vicomtesse wollte geradezu betrogen werden. »Statt sich stolz aus dem Fenster zu stürzen, ließ sie sich über die Treppen schleifen«, meinte die Herzogin von Langeais, ihre beste Freundin. Aber dieser letzte Nachglanz ihrer Liebe währte lange genug, um die Vicomtesse noch einige Zeit in Paris festzuhalten. So konnte sie ihrem jungen Verwandten behilflich sein, dem sie eine Art abergläubischer Zuneigung entgegenbrachte. Eugen hatte ihr seine ganze Ergebenheit und sein Mitgefühl in einem Augenblick bewiesen, in dem die Frauen sonst nirgends Mitleid und wahre Anteilnahme finden. Wenn ihr ein Mann in einem solchen Moment ein sanftes Wort sagt, so tut er es meistens aus Berechnung.