»Die Welt ist wirklich gemein«, sagte die Vicomtesse, an ihrem Schal zupfend und ohne die Augen zu heben, denn sie war durch die Worte, die Madame de Langeais in ihrer Erzählung für sie bestimmt hatte, tief berührt worden.
»Gemein? Nein!« antwortete die Herzogin, »sie geht ihren Gang, das ist alles. Wenn ich so zu Ihnen spreche, so tue ich es, um Ihnen zu zeigen, daß ich mich vom Leben nicht zum Narren halten lasse. Darum denke ich wie Sie«, sagte sie, indem sie der Vicomtesse die Hand drückte. »Die Welt ist eine schmutzige Pfütze, versuchen wir, auf den Höhen des Lebens zu bleiben.«
Sie erhob sich, küßte Madame de Beauséant auf die Stirn und sagte zu ihr:
»Sie sind wirklich entzückend in diesem Augenblick, meine Liebe. So blühend habe ich Sie noch nicht gesehen.«
Damit ging sie, dem Vetter der Gräfin einen leichten Gruß zunickend.
»Der Vater Goriot ist ein herrlicher Mensch!« rief Eugen, der sich an die Szene erinnerte; als der Alte nachts das Silber zusammendrehte.
Madame de Beauséant hörte ihn nicht, sie war in Nachdenken versunken. Einige Augenblicke des Schweigens verflossen, und der arme Student wagte in einer Art beschämter Verwirrung weder fortzugehen noch zu bleiben oder etwas zu sagen.
»Die Welt ist infam und böse«, sagte endlich die Vicomtesse. »Wenn uns ein Unglück zustößt, so findet sich immer sofort ein Freund, um es uns anzukündigen und uns einen Dolch im Herzen umzudrehen, dessen Griff wir noch bewundern sollen, Hohn und Spott, ehe man es sich versieht. Aber ich werde mich zu verteidigen wissen!«
Sie hob den Kopf, ganz als die große Dame, die sie war, und Blitze schossen aus ihren stolzen Augen.
»Ah!« sagte sie, Eugen erblickend, »da sind Sie ja noch!«
»Ja, noch immer«, sagte er bedrückt.
»Also, Herr von Rastignac, behandeln Sie die Welt, wie sie es verdient. Sie wollen Erfolg haben – ich werde Ihnen helfen. Sie werden erkennen, wie abgrundtief die Verderbtheit der Frauen ist. Sie werden die ganze elende Eitelkeit der Männer kennenlernen. Ich habe zwar genügend in dem Buch der Welt gelesen, aber ich fand immer noch Seiten, die mir unbekannt waren. Jetzt weiß ich alles. Je kühler Sie rechnen, desto weiter werden Sie kommen. Schlagen Sie zu ohne Mitleid – Sie werden gefürchtet sein! Sehen Sie in Männern und Frauen nur Postpferde, die Sie bei jedem Relais wechseln und krepieren lassen, Sie werden so zum Gipfel Ihrer Wünsche gelangen. Sehen Sie, Sie werden hier nichts sein, wenn Sie nicht eine Frau finden, die sich für Sie interessiert. Sie muß jung, reich und elegant sein. Empfinden Sie aber ein aufrichtiges Gefühl, so verbergen Sie es wie einen Schatz; lassen Sie es niemanden merken, so
nst sind Sie verloren! Sie wären dann nicht mehr der Henker, Sie wären das Opfer! Wenn Sie jemals lieben, so hüten Sie dieses Geheimnis wohl! Liefern Sie es nur aus, wenn Sie genau wissen, wem Sie Ihr Herz ausschütten! Um diese Liebe, die noch nicht existiert, im voraus zu schützen, lernen Sie der Welt mißtrauen. Hören Sie auf mich, Miquel . . . (Sie irrte sich zerstreut im Namen, ohne es zu bemerken.) Es gibt noch etwas Schrecklicheres als den von seinen zwei Töchtern verstoßenen Vater, dem seine Kinder den Tod wünschen. Das ist die Eifersucht der beiden Schwestern aufeinander. Restaud ist von altem Adel, seine Frau ist in die Familie aufgenommen und bei Hofe vorgestellt worden. Aber ihre reiche Schwester, die schöne Madame Delphine de Nücingen, die Frau des Geldmannes, stirbt vor Verdruß und Neid, die Eifersucht verzehrt sie; sie ist hundert Meilen hinter ihrer Schwester zurück. Ihre Schwester ist nicht mehr ihre Schwester; die beiden Frauen verleugnen einander so, wie sie ihren Vater verleugnen. Madame de Nücingen würde gern den ganzen Schmutz zwischen der Rue St-Lazare und der Rue de Grenelle auflecken, um in einem Salon empfangen zu werden. Sie hat geglaubt, daß sie durch Marsey dieses Ziel erreichen würde, sie hat sich zu seiner Sklavin gemacht, und sie bestürmt ihn mit ihren Wünschen. Aber de Marsey kümmert sich sehr wenig um sie. Wenn Sie sie mir vorstellen, wird sie Sie verhätscheln, werden Sie ihr Benjamin sein, sie wird Sie anbeten. Wenn Sie können, lieben Sie sie, wenn nicht, benutzen Sie sie als Ihr Werkzeug. Ich werde sie ein- oder zweimal sehen, in großer Abendgesellschaft, wenn sehr viel Andrang ist, aber ich werde sie niemals des Morgens empfangen. Ich werde sie grüßen, das wird genügen.
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