Fräulein Taillefer warf dem jungen Studenten einen furchtsamen Blick zu. »Also los, erzählen Sie uns Ihr Abenteuer!« sagte Madame Vauquer.
»Gestern war ich auf dem Ball der Vicomtesse de Beauséant, meiner Cousine, die ein herrliches Haus besitzt. Salons mit Seidentapeten! Es war ein wundervolles Fest, und ich habe mich amüsiert wie ein König . . .«
»Wie ein Zaunkönig«, unterbrach Vautrin.
»Was wollen Sie damit sagen?« erwiderte Eugen heftig.
»Ich sage Zaunkönig, weil Zaunkönige sich besser amüsieren als Könige.«
»Das ist wahr, ich möchte auch lieber so ein kleiner Vogel ohne Sorgen sein als ein König, und zwar aus dem Grunde . . .«, meinte das Echo Poiret.
Der Student schnitt ihm das Wort ab. »Ich tanzte also mit der schönsten Frau des Abends, einer entzückenden Gräfin, dem herrlichsten Geschöpf, das ich jemals gesehen habe. Ihr Kopfschmuck bestand aus Pfirsichblüten, sie hatte ein herrliches Blumenbukett angesteckt aus natürlichen Blüten, die einen betäubenden Duft ausströmten. Aber man müßte sie selbst sehen, es ist unmöglich, eine Frau zu schildern, die vom Tanz belebt wird. Und nun heute morgen treffe ich diese göttliche Frau in der Rue des Grès zu Fuß. Das Herz schlug mir, ich stellte mir vor . . .«
»Sie käme hierher«, sagte Vautrin, indem er dem Studenten einen scharfen Blick zuwarf. »Sie ging sicher zu Papa Gobseck, dem Wucherer. Wenn man die Herzen der Pariserinnen prüft, so wird man darin eher den Wucherer als den Liebhaber finden. Ihre Gräfin heißt Anastasie de Restaud und wohnt Rue du Helder.«
Der Student starrte Vautrin fassungslos an. Vater Goriot fuhr hoch und warf den beiden einen Blick voller Unruhe zu, der die Pensionäre überraschte.
»Christoph wird zu spät kommen, sie ist doch schon hingegangen«, murmelte er traurig.
»Ich habe richtig vermutet«, flüsterte Vautrin Madame Vauquer ins Ohr.
Goriot aß mechanisch, ohne auf die Speisen zu achten. Niemals hatte er einen stumpfsinnigeren und versunkeneren Eindruck gemacht als in diesem Augenblick.
»Wer in aller Welt, Monsieur Vautrin, hat Ihnen den Namen verraten?« fragte Eugen.
»Na, was denn«, erwiderte Vautrin, »Vater Goriot kannte ihn doch auch, warum sollte ich ihn nicht kennen?«
»Monsieur Goriot?« rief der Student.
»Wie?« entgegnete der arme Greis »sie war also gestern abend sehr schön?«