»Er hat mir fünf Francs für den Monat gegeben, was heißen soll: Halt den Mund!«
»Außer ihm und Madame Couture, die nicht auf den Sou sehen, möchten die anderen uns am liebsten mit der linken Hand das wieder nehmen, was sie uns mit der rechten zu Neujahr geben«, sagte Sylvia.
»Aber was geben sie denn überhaupt schon?« meinte Christoph, »ein schäbiges Fünffrancstück! Es sind jetzt zwei Jahre her, daß Vater Goriot seine Schuhe selbst putzt. Dieser Knicker von Poiret nimmt keine Wichse und würde sie lieber austrinken als sie auf seine Schuhe schmieren. Und dieser Windhund von Student, der gibt nur 40 Sous; damit kann ich nicht einmal meine Bürsten bezahlen. Und nicht mal seine alten Kleider kriegt man, die verkauft er selbst. Eine elende Bude ist das!«
»Bah«, meinte Sylvia, indem sie ihren Kaffee in kleinen Schlucken schlürfte, »uns geht es hier im Viertel immer noch mit am besten, wir haben zu leben. Aber über Papa Vautrin – hast du da was Neues gehört?«
»Ja, ich habe vor einigen Tagen auf der Straße einen Herrn getroffen, der mich gefragt hat: ›Wohnt bei Ihnen nicht ein starker Herr mit gefärbtem Backenbart?‹ Da habe ich gesagt: ›Nein, mein Herr, er färbt seinen Bart nicht. Ein Mann, der so lustig ist wie der, hat dazu keine Zeit.‹ Das habe ich Vautrin erzählt, und er hat zur Antwort gegeben: ›Das hast du gut gemacht, mein Junge! Antworte nur immer so! Nichts ist schlimmer, als wenn man seine kleinen Schwächen zu erkennen gibt. Darüber kann sogar eine Heirat kaputtgehen.‹«
»Und mich hat man auch auf dem Markt herankriegen wollen. Ich sollte sagen, ob ich schon einmal gesehen hätte, wenn er sein Hemd anzieht. Solch ein Unsinn! Höre«, sagte sie, sich unterbrechend, »da schlägt es im Val-de-Grâce Viertel vor zehn, und niemand rührt sich im Hause.«
»Sie sind ja alle ausgegangen. Madame Couture und das junge Mädchen sind um acht Uhr zur Messe gegangen in Saint-Étienne. Vater Goriot ist mit einem Paket fort, und der Student kommt erst nach seiner Vorlesung zurück um zehn Uhr. Ich habe sie alle fortgehen sehen, als ich die Treppe fegte, und Vater Goriot hat mir noch einen Stoß mit seinem Paket gegeben, das war hart wie Eisen. Was treibt er bloß, der Alte? Die anderen machen sich über ihn lustig, aber er ist doch ein guter Kerl und besser als alle anderen. Er gibt zwar nicht viel, aber bei den Damen, zu denen er mich schickt, und die sind fein ausstaffiert, gibt es anständige Trinkgelder.«
»Ach, das sind die, die er für seine Töchter ausgibt. Ja? Das ist sicher ein ganzes Dutzend.«
»Ich bin nur bei zweien gewesen, bei denselben, die hier ins Haus gekommen sind.«
»Da, Madame wird munter, jetzt geht der Hexensabbat los, ich muß mich tummeln. Paß auf die Milch auf, Christoph, du weißt ja, wegen der Katze!«