»Wo kann ich Sie wiedersehen, Madame?« hatte er sie brüsk, mit der Kraft der Leidenschaft gefragt, die den Frauen so sehr gefällt.
»Überall«, hatte sie erwidert, »im Bois, im Theater, bei mir zu Hause.«
Der abenteuerdurstige Sohn des Südens hatte sich alle Mühe gegeben, der reizenden Gräfin näherzutreten, sosehr ein junger Mann nur mit einer Frau während eines Contres und eines Walzers in Verbindung kommen kann. Da er sich als Vetter der Madame de Beauséant ausgab, wurde er von seiner Tänzerin, die er für eine große Dame hielt, eingeladen. Nach dem letzten Lächeln, das sie ihm zuwarf, glaubte Rastignac, daß sein Besuch dringend gewünscht und notwendig sei. Dann hatte er das Glück gehabt, einen Mann zu treffen, der sich einmal über seine Unwissenheit nicht lustig machte. Sonst war Naivität der schlimmste Fehler bei dieser Lebewelt, bei den Maulincourt, Ronquerolles, de Trailles, de Marsey, Ajuda Pinto, Vandenesse, die im ganzen Glanz ihrer Einbildung strahlten und an deren Seite die elegantesten Frauen erschienen. Lady Brandon, die Herzogin, de Langeais, die Gräfin Kergarouet, Madame de Sérizy, die Herzogin de Carigliano, die Gräfin Ferraud, Madame de Lanty, die Marquise d'Aiglemont, Madame Firmiani, die Marquise de Listomère, die Marquise d'Espard, die Herzogin de Maufrigneuse und die beiden Grandlieus. Glücklicherweise stieß der Student auf den Marquis de Montriveau, den Liebhaber der Herzogin de Langeais, einen General, der schlicht war wie ein Kind und von dem er erfuhr, daß die Gräfin de Restaud in der Rue du Helder wohnte. Wenn man jung ist, nach der großen Welt dürstet, nach einer Frau hungert – welch ein Ereignis ist es dann, wenn sich einem zwei Häuser öffnen! Er konnte im Faubourg St-Germain bei der Gräfin Beauséant ein und aus gehen, und er durfte in der Chaussee d'Antin sein Knie vor der Gräfin de Restaud beugen. Mit einem Blick konnte er die ganze Reihe der Salons von Paris erfassen, und er durfte sich für hübsch genug halten, um bei einem Frauenherzen Hilfe und Gunst zu finden. Er war ehrgeizig genug, um das straff gespannte Seil des Lebens mit unfehlbarer Sicherheit zu betreten, nachdem er in einer entzückenden Frau die beste Balance dafür gefunden hatte. Wer hätte nicht mit solchen Gedanken und mit dem Bild einer solchen Frau vor Augen, auch neben einem armseligen Torffeuer, zwischen den Pandekten und in der grauen Not wie Eugen von der Zukunft geträumt, wer hätte sich nicht die zukünftigen Erfolge ausgemalt? Sein schweifender Geist sah so deutlich seine zukünftigen Freuden vor sich, daß er sich schon an der Seite der Madame de Restaud glaubte.
Donnerwetter, ist das ein Kerl! sagte sich Rastignac, als er die sehnigen Arme des Greises sah, die mit Hilfe des Stricks das vergoldete Silber ganz geräuschlos wie Teig zusammenkneteten. Sollte Vater Goriot etwa ein Dieb oder ein Hehler sein, der sich, um sich ganz ungestört seinem Treiben zu widmen, dumm und schwach stellt und wie ein Bettler lebt, fragte sich Eugen, indem er sich einen Augenblick aufrichtete.
Der Student näherte sein Auge erneut dem Schlüsselloch. Vater Goriot hatte den Strick abgewickelt und legte jetzt die Silbermasse auf den Tisch, über den er eine Decke gebreitet hatte. Mit erstaunlicher Leichtigkeit rollte er die Masse zu einem Barren zusammen.