Bengele tat, wie der Fuchs angeordnet hatte. Er vertrieb sich die Zeit, bis das Bäumchen gewachsen war, in der Stadt. Die zwanzig Minuten wollten ihm gar nicht vorbeigehen. Sein Herz pochte laut: tick-tack, tick-tack, wie eine große Wanduhr; seine Gedanken alle drehten sich um das Gold.
»Wenn ich jetzt zweitausend Goldstücke finde! – oder fünftausend, vielleicht auch hunderttausend! – dann bin ich ein großer, reicher Herr – ich kaufe mir ein schönes Schloß – tausend Schaukelpferde zum Spielen – in meinem Keller halte ich mir die feinsten Weine – ich richte mir eine große Bibliothek ein; aber die Bücher müssen alle von Zucker sein oder von Torte, oder Schokolade, oder Schlagsahne.«
Endlich war die Zeit verstrichen. Bengele lief zurück zum Wunderfeld. Schon von weitem blieb er stehen, um sein Goldbäumchen zu erblicken; er sah nichts. – Er ging eine Strecke weiter und strengte die Augen an; es war noch nichts zu unterscheiden. Er trat ins Feld hinein, er stand vor dem Plätzchen, wo er das Gold gesät hatte; das Bäumchen war noch nicht gewachsen.
Der Hampelmann wurde sehr nachdenklich. Er neigte sich nieder und betrachtete lange Zeit die Erde, ob nicht endlich ein Blättchen hervorwachse.
Plötzlich hörte er über sich ein schallendes Gelächter. Bengele drehte sich um und sah auf einem Baume einen struppigen Papagei, der sich die paar Federn putzte, die er noch am Leibe hatte.
»Was lachst du da?« fragte ärgerlich der Goldsucher.
»Ich habe mich beim Kämmen eben ein bißchen unter den Flügeln gekitzelt und mußte lachen.«
Der Hampelmann sagte nichts darauf. Er ging an den Wassergraben, füllte seinen Schuh und begoß noch einmal die Erde über den vier Goldstücken.
Unverschämter wie das erste Mal erklang das Lachen des Papageis.
»Bitte, ungezogener Papagei, dürfte ich jetzt wissen, worüber du lachst?«
»Ich lache über die Dummen, die nicht alle werden, über jene Tölpel, die sich von jedem Gauner betrügen lassen.«
»Meinst du damit etwa mich?«
»Jawohl, armer Bengele! Du hattest so wenig Verstand, daß du glaubtest, man könne Goldstücke säen und ernten wie Erbsen und Bohnen. – Ich war auch einmal so einfältig, und jetzt muß ich es büßen. Zu spät habe ich es leider gelernt, daß man arbeiten muß mit Händen oder mit dem Kopfe, wenn man sich ein paar Pfennige ehrlich ersparen will.«
»Ich versteh' dein Geschwätze nicht«, sagte der Hampelmann; aber er hatte schon Angst für sein Geld bekommen.
»So paß mal auf; ich will dir alles erklären«, sprach der Papagei. »Die Sache ist höchst einfach: Als du in der Stadt warst, kamen der Fuchs und die Katze hierher, gruben dein Gold aus und liefen wie der Blitz davon.«
Bengele konnte nicht glauben, was der Papagei plauderte. Er scharrte mit den Händen die Erde wieder auf und suchte seine Goldstücke. So tief grub er das Loch, als er mit seinem Arme hineinreichen konnte. – Das Gold kam nicht mehr zum Vorschein.
Voll Zorn und Ärger lief der Hampelmann in die Stadt zurück und suchte den Staatsanwalt. Die zwei Strolche sollten es büßen, daß sie ihn so tückisch betrogen hatten.
Auf dem Marktplatze stand ein großes Gebäude; über dem Eingänge hing das Wappen von Dummersheim: ein schwerbeladener Esel, der von seinem Treiber geprügelt wird. Der Pförtner, ein schielender Fuchs, führte Bengele in ein großes Zimmer. Hier saß hinter einem grünbelegten Schreibtische der Herr Gorillius, ein alter Affe mit weißem Barte. Er hatte eine goldene Brille ohne Gläser weit vorn auf der Nase sitzen und sah dadurch sehr gelehrt und weise in die Welt. – Das war der Staatsanwalt von Dummersheim.
Bengele erzählte ihm, wie er vom Fuchse und von der Katze betrogen worden sei; er gab Vor- und Zunamen der Bösewichter an – ihr Geburtsdatum wußte er nicht – und verlangte Gerechtigkeit.
Der Staatsanwalt hörte ihn huldvoll an und nahm warmen Anteil an seinem Mißgeschick. – Als der Hampelmann nichts mehr zu sagen hatte, läutete Gorillius mit dem silbernen Glöcklein, das auf dem Tische stand.
Sofort erschienen zwei als Gendarmen gekleidete Bulldoggen.
Der Staatsanwalt deutete auf Bengele und sagte zu ihnen:
»Dem armen Kerlchen da haben sie vier Goldstücke geraubt; faßt ihn also und werft ihn sofort ins Gefängnis.«
Der Hampelmann war über dieses Urteil entrüstet. Er wollte sich dagegen verwahren, aber die beiden Gendarmen hatten keine Zeit zu verlieren, hielten ihm den Mund zu und führten ihn ab.
Vier lange Monate lag Bengele im Gefängnis; ein besonderes Ereignis brachte ihm endlich die Erlösung.
Der junge König Habicht XVII. von Dummersheim hatte einen glücklichen Krieg gegen das Land Hennanien geführt. Man feierte den Sieg mit großen Festlichkeiten: Straßenbeleuchtung, Feuerwerk, Pferderennen, Radfahrer-Wettrennen wurden veranstaltet. Alle Staatsgefangenen sollten die Freiheit erhalten.
»Wenn alles hinaus darf, dann will ich auch losgelassen werden«, sagte Bengele dem Gefangenwärter.
»Du bist nicht an der Reihe«, sagte dieser.
»Bitte sehr«, meinte Bengele, »bin ich denn ein Strolch gewesen?«