Schauerlich kam die Nacht. Krachend rollte der Donner und es blitzte in einem fort, daß der Himmel aussah wie ein Feuermeer. Dazu pfiff ein schneidigkalter Wind, jagte Staubwolken vor sich her und schüttelte die Bäume, daß sie laut ächzten.
Bengele hatte schrecklich Angst bei Gewittern. Aber heute war sein Hunger größer als die Angst. Er schlug einen Feldweg ein und kam nach kurzer Zeit in ein Dörfchen. Alles war still und dunkel, die Haustüren und die Fenster samt und sonders geschlossen, kein Hund auf der Straße, die reinste Friedhofsruhe.
In seinem verzweifelten Hunger zog Bengele eine Hausglocke und läutete kräftig und lange.
»Irgend ein Mensch muß doch zum Vorschein kommen«, dachte er.
Richtig! – Ein alter Mann öffnete das Fenster. Er hatte die Nachtmütze auf dem Kopfe und brummte sehr ärgerlich:
»Wer kommt noch um diese Zeit?«
»Gebt mir doch um Gottes willen ein Stückchen Brot, ich muß sonst verhungern«, gab Bengele zur Antwort.
»Warte ein wenig, ich bringe es gleich.«
Der Mann aber dachte: »Das ist mal wieder einer von den nichtsnutzigen Schlingeln, die nachts die Hausglocken ziehen, weil sie ordentliche Leute im Schlafe stören wollen.«
Nach wenigen Augenblicken kam der Alte wieder ans Fenster und rief:
»Komm, halte deinen Hut hierher!«
Bengele hatte noch keinen Hut. Er trat also unter das Fenster und hielt beide Hände in die Höhe, um das herabfallende Stück Brot wie einen Ball aufzufangen. – Da ergoß sich über ihn der volle Inhalt eines Waschbeckens. Er wurde naß von oben bis unten und triefte wie ein Blumenstock, den man mit der Kanne abgespritzt hat.
Traurig wie ein verregneter Pudel trottelte der unglückliche Hampelmann nach Hause. Erschöpft von Hunger und Müdigkeit kam er heim; die Glieder schlotterten ihm vor Kälte.
Noch waren ein paar glimmende Kohlen in dem Becken, über dem Vater Seppel den Leim kochte. Bengele blies sie ein wenig an und wärmte sich die Hände. Dann holte er den wackeligen Stuhl und setzte sich vor die Glut. Seine feuchtkalten Füße legte er auf den Rand des Beckens, und so schlief er ein.
Nach und nach fingen die Holzfüße Feuer über der Kohlenglut und verbrannten zu Asche. – Bengele schnarchte und merkte nichts. Erst bei Tagesanbruch wachte er auf; denn es hatte laut an der Türe geklopft.
»Wer ist draußen?« fragte Bengele noch ganz verschlafen, gähnte und rieb sich die Augen aus.
»Ich!« kam die Antwort. Es war der Vater Seppel.
Bengele sprang schnell auf, um den Riegel an der Türe zurückzuschieben; aber schon nach zwei, drei Stelzschritten fiel er auf den Boden.
Das gab einen Lärm, als wäre ein Sack voll Kochlöffel vom fünften Stock aufs Pflaster gefallen.
»Mach mal auf«, rief Seppel immerfort auf der Straße.
»Vater, lieber Vater, ich kann ja nicht«, heulte Bengele und rutschte auf dem Boden herum.
»Warum kannst du nicht?«
»Meine Füße sind abgefressen!«
»Wer hat sie abgefressen?«
»Die Katze«, sagte Bengele. – Denn er sah gerade die Katze vor sich, die mit ein paar Hobelspänen spielte.
»Ich sag dir's zum letztenmal, mach auf, sonst geb' ich dir nachher die Katze!«
»O jeh! Ich kann nicht mehr stehen, glaub mir's doch! – Jetzt muß ich mein Leben lang auf den Knieen rutschen.«