Wenn ihn auf seiner ersten großen Reise die edle und reine Gestalt Eugénies begleitete, wie die spanischen Seeleute das Bild der heiligen Jungfrau mit auf die Schiffe nehmen, und wenn er seine ersten Erfolge dem magischen Einfluß der Schwüre und Gebete dieses sanften Herzens zuschrieb, so wurde dies bald anders: Negerinnen, Mulattinnen, Weiße, Javanerinnen, Bajaderen, die Orgien aller Rassen und die Abenteuer, die er in diesen südlichen Ländern erlebte, verlöschten vollkommen die Erinnerung an seine Cousine, an Saumur, an das alte Haus, an die morsche Bank und an die im Hausflur geraubten Küsse. Er entsann sich nur des kleinen, von alten Mauern umschlossenen Gärtchens, weil hier sein unsicheres Geschick seinen Anfang genommen hatte; seine Familie aber verleugnete er: sein onkel war ein alter Hund, der ihm seine Schmucksachen abgegaunert hatte; Eugénie erfüllte weder sein Herz noch seine Gedanken; ihr Name war – als Gläubigerin von sechstausend Francs – lediglich mit seiner Berufsarbeit verknüpft.
Diese Lebensführung und diese Anschauungen erklären das Schweigen Charles Grandets zur Genüge. Der Spekulant hatte sich einen Decknamen beigelegt, unter dem es ihm leichter wurde, seine dunklen Geschäfte in Indien, St. Thomas, an der afrikanischen Küste, in Lissabon und in den Vereinigten Staaten abzuschließen: Carl Sepherd durfte sich ja überall als unermüdlich, verwegen, habgierig erweisen, als ein Mann, der beabsichtigt, quibuscumque viis sein Glück zu machen, und der sich auf schlechten, unehrlichen Wegen beeilt, um für den Rest seiner Tage als anständiger Mensch leben zu können. Bei solchen Grundsätzen kam er sehr bald zu einem glänzenden Vermögen.
Im Jahre 1827 kehrte er also mit der hübschen Brigg ›Marie Caroline‹, die einem royalistischen Handelshause gehörte, nach Bordeaux zurück. Er besaß eine Million neunhunderttausend Francs in Goldstaub, der drei starke Fässer füllte und den er mit sieben bis acht Prozent Gewinn in Paris zu Geld zu machen gedachte.
Mademoiselle d'Aubrion war lang und dünn, wie das Insekt, dessen Namen sie trug; sie war bleich und schmächtig, hatte einen verächtlichen Mund, auf den sich eine zu lange, unten verdickte Nase herabsenkte. Diese Nase, die in normalem Zustand gelb war, erstrahlte nach jeder Mahlzeit in tiefem Rot – ein naturwissenschaftliches Phänomen, das sich in diesem bleichen und gelangweilten Antlitz noch unangenehmer ausnahm als irgendwo sonst. Kurz, sie war ganz so, wie eine noch schöne Mutter von achtunddreißig Jahren sich nur die Tochter wünschen kann. Als Gegengewicht gegen alle diese Nachteile aber hatte die Marquise d'Aubrion ihrer Tochter ein vornehmes Auftreten beigebracht, hatte sie einer hygienischen Kur unterworfen, die der Nase wenigstens zeitweise ein annehmbares Aussehen verlieh; sie hatte ferner die Tochter die Kunst gelehrt, sich geschmackvoll zu kleiden, hatte ihr kokette Manieren beigebracht und den melancholischen Augenaufschlag, der den Mann interessiert und ihn glauben macht, den lang erträumten Engel auf Erden vor sich zu sehen; sie hatte ihr gezeigt, wie sie jedesmal dann, wenn die Nase sich röte, ihr Füßchen sehen lassen müsse, damit man seine Niedlichkeit bewundern könne – sie hatte also aus ihrer Tochter das Menschenmögliche gemacht. Mit Hilfe weiter Ärmel, lügnerischer Taille, bauschiger, reichgarnierter Kleider und einem hochschnürenden Korsett hatte sie eine so reizvolle Weiblichkeit zustande gebracht, daß sie sie zur Belehrung der Mütter eigentlich in einem Museum hätte ausstellen müssen.