Die Schmeichelei ist keine Eigenschaft der großen Seelen, sie ist die Lebensbedingnis der kleinen Geister, die dadurch Erfolg suchen, daß sie sich kleiner machen, als sie schon sind, um so leichter in die Lebenssphäre desjenigen, zu dem sie hinstreben, eindringen zu können. Die Schmeichelei hat immer ein egoistisches Motiv. Auch diese Leute, die da alle Abende den Saal von Mademoiselle Grandet füllten, die sie Mademoiselle de Froidfond nannten, verstanden es wunderbar, Loblieder zu singen.
Dieses Konzert, das Eugénie neu war, ließ sie zuerst erröten; aber nach und nach, wie plump diese Schmeicheleien auch sein mochten, gewöhnte sich ihr Ohr so sehr daran, ihre Schönheit rühmen zu hören, daß, wenn irgendein neuer Gast sie häßlich gefunden haben würde, solch ein Vorwurf sie weit empfindlicher getroffen hätte als vor acht Jahren. Schließlich gewann sie diese Süßigkeiten lieb, die sie im stillen ihrem Idol zu Füßen legte. Sie gewöhnte sich allmählich daran, sich als Königin verehrt und ihr Hoflager alle Abende gefüllt zu sehen.
Monsieur le Président de Bonfons war der Held dieses kleinen Kreises, wo man seinen Geist, seine Persönlichkeit, sein Wissen, seine Liebenswürdigkeit ohne Unterlaß rühmte. Der eine machte darauf aufmerksam, daß er seit sieben Jahren sein Vermögen sehr vergrößert habe, daß die Besitzung Bonfons wenigstens zehntausend Francs Rente einbringe und sich, wie alle Güter der Cruchots, als Enklave inmitten der ausgedehnten Liegenschaften der Erbin befinde.
»Wissen Sie wohl, Mademoiselle«, sagte einer der Hausfreunde, »daß die Cruchots über vierzigtausend Livres Rente verfügen?«
»Und ihre Ersparnisse!« fuhr eine alte Cruchotanerin, Mademoiselle de Gribeaucourt, fort. »Ein Monsieur aus Paris hat unlängst Monsieur Cruchot zweihunderttausend Francs für seine Notariatspraxis geboten. Er sollte sie aufgeben, da er zum Friedensrichter ernannt werden kann.«
»Er will Monsieur de Bonfons' Stellung als Gerichtspräsident übernehmen und sich dafür vorbereiten«, erwiderte Madame d'Orsonval; »denn der Präsident wird Rat werden und später noch zu den höchsten Ämtern kommen; ihm stehen gar viele Mittel zur Verfügung, um hochzukommen.«
Der Präsident hatte versucht, sich mit der Rolle, die er zu spielen gedachte, in Harmonie zu setzen; trotz seiner vierzig Jahre, trotz seines braunen und abstoßenden Gesichts, das mürrisch und verbissen war wie alle Juristengesichter, gebärdete er sich als junger Mann, schlenkerte ein Rohrstöckchen, hatte sich bei Mademoiselle de Froidfond das Schnupfen abgewöhnt und erschien dort stets mit weißer Krawatte und einem frischen Hemd, dessen mächtige Spitzenfalten ihm eine gewisse Verwandtschaft mit der Familie der Truthühner verschaffte. Er sprach mit der schönen Erbin recht vertraut und nannte sie ›unsere liebe Eugénie‹. Wenn man von der großen Zahl der Gäste und dem Fehlen von Monsieur und Madame Grandet absah und das Lotto durch das Whistspiel ersetzte, so glichen die Abende jetzt gar sehr der Szene, wie sie sich eingangs dieser Geschichte im grauen Saale abzuspielen pflegte. Eugénie und ihre Millionen waren nach wie vor von der Meute verfolgt, aber die Meute war nun zahlreicher, bellte besser und umkreiste ihr Opfer in brüderlicher Eintracht. Wäre Charles plötzlich aus Indien zurückgekehrt, er hätte dieselben Personen hier angetroffen und dieselben Interessen: Madame des Grassins, für die Eugénie voll Liebenswürdigkeit und Güte war, verstand sich noch immer darauf, die Cruchots zu quälen; aber auch jetzt – wie ehemals – hätte die Gestalt Eugénies das Bild beherrscht, wie ehemals wäre Charles der Überragende gewesen.