Mit dreißig Jahren kannte Eugénie noch nicht eine der Glückseligkeiten des Lebens. Ihre bleiche, traurige Jugend hatte sich im Schatten einer Mutter abgespielt, deren verkanntes, zertretenes Herz nur von Leid wußte. Diese Mutter schied mit Freuden aus dem Leben und beklagte nur die Tochter, weil sie noch leben müsse, und pflanzte in ihre Seele viel Reue und ewiges Wehklagen.
Eugénies erste, einzige Liebe war für sie Trauer und Schwermut geworden. Als sie ihren Geliebten kaum flüchtig kannte, hatte sie ihm zwischen zwei heimlichen Küssen ihr Herz geschenkt. Dann war er abgereist und hatte eine ganze Welt trennend zwischen sie gelegt. Diese Liebe, die ihr Vater verwünscht und die ihrer Mutter und ihr fast das Leben gekostet hatte, brachte ihr nur tiefe Schmerzen, vermischt mit spärlichen Hoffnungsstrahlen. So hatte sie also bislang dem Glück entgegengestrebt und ihre Kräfte aufgezehrt für nichts und immer wieder nichts.
Auch im geistigen Leben gibt es wie im körperlichen ein Ein- und Ausatmen. Die Seele hat das Bedürfnis, die Empfindungen einer andern Seele in sich aufzunehmen, einzusaugen, für sich zu verarbeiten und – nun reicher geworden – zurückzuerstatten. Das Herz lebt nicht, solange es dies schöne Wunder noch nicht kennt, es fehlt ihm die Luft, es leidet und siecht dahin. Eugénie begann zu leiden. Für sie hatte das Geld weder Macht noch Tröstung; sie konnte nur in der Liebe leben, im Glauben, in der Hingabe an eine frohe Zukunft. Die Ewigkeit – das war für sie die Liebe. Ihr Herz und das Evangelium verhießen ihr zwei Welten. Tag und Nacht stürzte sie sich in das dunkle Wirrsal zweier unendlicher Gedanken, die wohl für sie in eins verschmolzen. Sie zog sich in sich selbst zurück, liebte und glaubte sich geliebt. Seit sieben Jahren hatte diese Leidenschaft an Macht gewonnen und alles andere erstickt. Eugénies Schätze! Das waren nicht die Millionen, deren Einkünfte sich immer mehr vergrößerten, das war das kleine Köfferchen, das Charles ihr anvertraut hatte; das waren die beiden Porträts, die über ihrem Bett hingen; das waren die ihrem Vater abgekauften Schmucksachen, die in ihrer Kommode sorgsam auf Watte ausgebreitet lagen; das war der Fingerhut ihrer Tante, den auch ihre Mutter benutzt hatte und den sie alle Tage fromm zur Hand nahm, um an einer Stickerei zu arbeiten, einer Penelopearbeit, die nur unternommen wurde, um dieses kostbare, erinnerungsreiche Gold am Finger zu haben.