Die Reden dieser Frau waren immer sanft und christlich. Wenn ihr Mann ihr Zimmer betrat, um hier das Frühstück einzunehmen, so hatte sie monatelang dieselben Worte, die sie mit engelhafter Sanftmut wiederholte, aber auch mit der Festigkeit eines Menschen, dem der nahe Tod den Mut gab, der ihm im Leben gefehlt hatte.
»Ich danke Ihnen, Monsieur, für Ihre Teilnahme«, erwiderte sie ihm auf die banalste aller Fragen; »wenn Sie aber die Bitternis meiner letzten Augenblicke versüßen wollen und meine Schmerzen erleichtern, so haben Sie Erbarmen mit unserer Tochter; zeigen Sie sich als Christ, als Gatte und Vater.«
Wenn Grandet diese Worte hörte, so setzte er sich neben das Bett und benahm sich wie einer, der sich bei einem nahenden Regenguß still und abwartend in einen Torweg stellt; er hörte seiner Frau schweigend zu und antwortete nichts. Hatten sich dann die rührendsten, die innigsten, die frömmsten Bitten über ihn ergossen, so sagte er: »Du bist heute etwas bläßlich, arme Frau.«
Auf seiner steinernen Stirn, auf seinen zusammengekniffenen Lippen war all seine starre Verleugnung der Tochter zu lesen. Nicht einmal die Tränen rührten ihn, die seine spärlichen, sich fast immer gleichbleibenden Antworten den müden Augen seiner Frau entlockten.
»Möge Gott Ihnen verzeihen, Monsieur, wie ich Ihnen verzeihe«, sagte sie. »Eines Tages werden Sie Nachsicht nötig haben.«
Seit der Krankheit seiner Frau hatte er nicht mehr gewagt, sich seines schrecklichen ›Ta ta ta ta‹ zu bedienen, aber ebensowenig vermochte dieser Engel an Sanftmut seinen grausamen Eigenwillen zu entwaffnen. Und Frau Grandets Häßlichkeit verschwand von Tag zu Tag mehr und mehr unter dem Ausdruck sittlicher Größe, der jetzt auf ihrem Antlitz erblühte. Sie war ganz Seele. Der Geist des Gebets schien die groben Züge ihres Antlitzes zu veredeln und breitete seinen reinen Abglanz über ihr Gesicht.
Wer hätte nicht schon das Wunder solcher Verwandlung wahrgenommen? Gibt es doch heilige Gesichter, deren rohe Konturen die edle Seele zur Schönheit umschuf, indem sie ihnen den besondern Ausdruck verlieh, den nur der Geistesadel, die Reinheit erhabener Gedanken zu geben vermag.
Erschien seine treue Nanon auf dem Markt, sogleich raunte man ihr einen schlechten Witz über Grandet, eine böse Anschuldigung gegen ihren Herrn in die Ohren; wie sehr aber auch die öffentliche Meinung den Vater Grandet verurteilte, die Magd verteidigte ihn aus Familienstolz, denn sie fühlte sich eins mit der Familie Grandet.
»Wie!« sagte sie zu den Verleumdern, »werden wir nicht alle im Alter streng und bitter? Warum soll gerade dieser Mann sich nicht verhärten? Schweigt also mit euern Anschuldigungen. Unsere Mademoiselle lebt wie eine Königin. Sie ist allein – nun ja, das ist so ihr Geschmack. Und übrigens hat meine Herrschaft wichtige Gründe für das, was sie tut.«