Sowie er ins Zimmer trat, brachten die beiden Frauen ihm ihre Glückwünsche dar. Seine Tochter fiel ihm um den Hals und schmeichelte ihm; Madame Grandet beglückwünschte ihn ernst und würdevoll.
»Sieh, sieh, mein Kind«, sagte er, die Tochter auf die Wangen küssend, »für dich arbeite ich, siehst du! . . . Für dein Glück! Man braucht Geld, um glücklich zu sein. Ohne Geld ist das ganze Leben verfehlt. Hier, sieh! da hast du einen neuen Napoleondor, ich habe ihn aus Paris kommen lassen. Zum Teufel auch, hier gibt es ja nicht ein Körnchen Gold! Außer dir gibt es hier keine Seele, die ein Goldstück besäße. Zeig mir dein Gold, Töchterchen!«
»Ach, es ist zu kalt; komm frühstücken«, antwortete Eugénie.
»Na, dann also später. Das wird uns verdauen helfen. Der alte des Grassins hat uns hier das Pastetchen geschickt«, fuhr er fort. »Also eßt, meine Kinder, das kostet uns ja nichts. Er macht sich ganz tüchtig, dieser des Grassins, ich bin mit ihm zufrieden. Er leistet Charles einen großen Dienst – und noch dazu umsonst; er regelt die Geschäfte des armen verstorbenen Grandet aufs beste. Hm, hm!« machte er mit vollem Munde »das ist mal was Gutes! Iß nur tüchtig, Frau! Davon kann man sich zwei Tage nähren.«
»Ich habe keinen Hunger; du weißt ja, daß ich einen schwachen Magen habe.«
»Ach was! Du brauchst nicht zu fürchten, daß dein Magen platzt; du verträgst schon was; du bist eine la Bertellière, eine kräftige Frau. Du bist allerdings ein klein wenig gelb, aber ich liebe ja das Gelbe.«
Einem zum Tode Verurteilten mag der Gedanke, öffentlich und schmachvoll hingerichtet zu werden, weniger entsetzlich sein, als für Madame Grandet und ihre Tochter der Gedanke an das Ereignis, das eintreten würde, sowie das Frühstück beendet war. Je heiterer der Weinbauer wurde, desto mehr krampfte sich ihnen das Herz zusammen. Dennoch hatte die Tochter einen Trost in dieser furchtbarem Lage: die Kraft ihrer Liebe gab ihr einen gewissen Halt. ›Für ihn, für ihn‹, sagte sie sich, ›könnte ich tausendmal den Tod erleiden.‹ Bei diesem Gedanken warf sie ihrer Mutter flammende, ermutigende Blicke zu.
»Räume alles ab«, sagte Grandet zu Nanon, als gegen elf Uhr das Frühstück beendet war; »den Tisch aber laß hier stehen. Da können wir uns deinen kleinen Schatz so recht behaglich betrachten«, fuhr er, zu Eugénie gewendet, fort. »Klein? Meiner Treu, nein! Du besitzest an wirklichem Wert fünftausendneunhundertneunundfünfzig Francs, dazu vierzig von heute morgen, macht zusammen sechstausend Francs weniger einen. Gut, da will ich dir den einen Francs noch geben, damit du eine runde Summe hast; denn siehst du, Töchterchen . . . – Na, was horchst du denn, Nanon? Marsch, kehrt! Geh an deine Arbeit!« sagte der Biedermann. Nanon verschwand.
»Höre, Eugénie, du mußt mir dein Gold geben. Du wirst das deinem Väterchen nicht verweigern, was, Töchterchen?«