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欧也妮葛朗台-Eugénie Grandet 82
日期:2018-08-24 09:11  点击:257
›Wann werde ich zurückkommen? Ich weiß es nicht. Das Klima Indiens macht den Europäer früh alt, und vor allem den arbeitenden Europäer. Versetzen wir uns einmal in die Zukunft, eilen wir zehn Jahre voraus: in zehn Jahren ist Deine Tochter achtzehn, sie wird Deine Kameradin sein – vielleicht auch ein kleiner lästiger Spion. Die Welt wird grausam gegen Dich sein, Deine Tochter vielleicht noch mehr. Wir haben schon Beispiele gehabt von solcher Hartherzigkeit der Welt und von der Undankbarkeit der jungen Mädchen; ziehen wir unsern Nutzen daraus. Bewahre in der Tiefe Deiner Seele die Erinnerung dieser vier glücklichen Jahre – so wie ich es tun werde – und sei Deinem armen Freunde getreu, wenn Du kannst. Ich werde das nicht auf die Dauer von Dir verlangen können, denn siehst Du, meine geliebte Annette, ich muß mich meiner Lage anpassen, das Leben bürgerlich ansehen und es im wahrsten Sinne als ein Rechenexempel betrachten. Ich muß demnach an eine Ehe denken, die für mein neues Dasein zur Notwendigkeit geworden ist. Und ich will Dir bekennen, daß ich hier in Saumur bei meinem onkel eine Cousine gefunden habe, deren Wesen und Gestalt, Gemüt und Herz Dir wohl gefallen würden und die außerdem, wie mir scheint . . .‹
 
›Er muß recht müde gewesen sein, daß er nicht zu Ende geschrieben hat‹, sagte sich Eugénie, als sie sah, daß der Brief mitten im Satz abbrach.
 
Sie rechtfertigte ihn. Es war also möglich, daß das junge Mädchen die Kälte nicht empfand, die aus diesem Schreiben sprach. Wenn junge, fromm erzogene Mädchen den Fuß ins Zauberreich der Liebe setzen, so ist ihnen, den Unschuldigen und Unwissenden, alles lauter Liebe. Sie gehen dahin, umhüllt von dem himmlischen Licht, das ihrer Seele entströmt und das den geliebten Mann mit seinen Strahlen umschmeichelt. Sie kleiden ihn in das Feuer ihres eigenen Liebefühlens und leihen ihm ihre lieblichsten Gedanken. Die Irrtümer der Frau entspringen fast stets ihrem Glauben an das Gute oder ihrem Vertrauen auf das Wahre. Eugénie klangen die Worte ›Meine liebe Annette, meine Herzgeliebte‹ wie die süßeste Sprache der Liebe; sie kosten ihre Seele, wie einst das Ohr des Kindes geliebkost wurde von den göttlichen Klängen des ›Venite adoremus‹. Auch redeten die Tränen, die noch an Charles' Wimpern hingen, zu ihr vom Edelsinn des jungen Mannes – und was könnte ein junges Mädchen mehr betören? Konnte sie wissen, daß, wenn Charles seinen Vater so sehr liebte und so aufrichtig beweinte, diese Zärtlichkeit weniger seiner Herzensgüte, als vielmehr dem gütigen Wesen seiner Eltern entsprang?
 
Monsieur und Madame Guillaume Grandet hatten stets die Wünsche ihres Sohnes erfüllt, hatten ihm alle Freuden des Reichtums gewährt und hatten ihm dadurch keine Veranlassung gegeben, die herzlosen Berechnungen anzustellen, deren in Paris die meisten Kinder fähig sind, wenn der Luxus der Großstadt in ihnen Wünsche weckt, deren Erfüllung durch die Lebensdauer der Eltern immer und immer sich verzögert. Die Freigebigkeit des Vaters war so groß gewesen, daß sie in das Herz des Sohnes eine wahre Kindesliebe säte, eine Liebe ohne Hintergedanken. Dennoch war Charles als ein Pariser Kind durch das Pariser Leben und durch Annette selber daran gewöhnt worden, allem nachzurechnen, war ein Greis in der Maske des Jünglings. Er war aufgewachsen in einer Welt, die an einem einzigen Gesellschaftsabend in Gedanken und Worten mehr Verbrechen begeht, als die Justiz jemals bestraft; in einer Welt, wo ein Witz die größten Ideen vernichtet; wo man nur dann für stark gilt, wenn man ein klares Auge hat. Ein klares Auge haben aber heißt: an nichts glauben, weder an Gefühle noch an Menschen – noch an Begebenheiten: man fälscht sogar die Ereignisse. Hier heißt es, um klar zu sehen, jeden Morgen die Geldbörse des besten Freundes abwägen; sich mit List und Kaltblütigkeit über alles hinwegsetzen, was einem begegnet; niemals Bewunderung zeigen für irgend etwas, weder für ein Kunstwerk noch für eine edle Tat, und den Beweggrund zu jeder Handlung im persönlichen Interesse des einzelnen erblicken. Diese große Dame, die schöne Annette, die tausend Scherze mit ihm trieb, sie lehrte Charles nüchtern denken: sie sprach ihm von seiner zukünftigen Lebensstellung, während ihre duftende Hand sein Haar streichelte; während sie ihm zierliche Löckchen drehte, lehrte sie ihn den Ernst des Lebens erfassen: sie verweichlichte ihn und lehrte ihn dabei praktisch denken. Es war eine doppelte Verderbnis, aber eine Verderbnis, die vornehm und geschmackvoll wirkte. 

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