›Meine liebe Annette, nichts hätte uns zu trennen vermocht, wäre nicht dies vernichtende Unglück über mich gekommen, das keine Menschenweisheit voraussehen konnte. Mein Vater hat sich erschossen; sein und mein Vermögen ist vollständig verloren. Ich bin Waise in einem Alter, wo ich – infolge meiner Erziehung – kaum lebenserfahrener bin als ein Kind, und ich muß mich trotzdem wie ein Mann aus dem Abgrund emporarbeiten, in den ich gestürzt bin. Ich habe einen Teil der Nacht benutzt, um meine Lage zu berechnen. Wenn ich als ein Ehrenmann Frankreich verlassen will – und das ist zweifellos –, so bleiben mir keine hundert Francs, um in Indien oder Amerika mein Glück zu versuchen. Ja, meine arme Anne, ich werde in einem mörderischen Klima dem Glück nachjagen müssen; in solchen Himmelsstrichen soll es sicher und schnell zu erreichen sein – so sagte man mir. In Paris zu bleiben, könnte ich nicht ertragen. Weder meine Seele noch mein Leib sind geschaffen, Beleidigungen, Kälte und Verachtung zu ertragen – und das ist es, was den Ruinierten, den Sohn des Bankrotteurs, erwartet. Großer Gott! Eine Schuldenlast von zwei Millionen! . . . Ich würde in Paris schon nach der ersten Woche im Duell gefallen sein. Ich werde also nicht mehr dorthin zurückkehren. Selbst Deine Liebe, die zärtlichste und ergebenste Liebe, die jemals das Herz eines Mannes beglückte, könnte mich nicht dorthin rufen. Ach, meine Geliebte, ich habe nicht einmal genug Geld, um hinzufahren zu Dir und Dir einen letzten Kuß zu geben und zu nehmen, einen Kuß, der mir Kraft verleihen könnte zu meinem Entschluß . . . .‹
»Armer Charles, ich tat recht daran, den Brief zu lesen! Ich habe eine Summe Gold, ich werde sie ihm geben«, sagte Eugénie. Sie trocknete ihre Tränen und nahm die Lektüre wieder auf.
›Ich habe noch kaum Zeit gehabt, über meine elende Lage nachzudenken. Wenn ich auch die hundert Louis zur Überfahrt habe, so hätte ich doch keinen Sou für meine Equipierung. Doch nein: ich habe weder hundert Louis noch einen Louis – erst wenn meine Schulden in Paris bezahlt sind, werde ich wissen, was mir an Geld bleibt. Wenn es nichts ist, so gehe ich still nach Nantes und schiffe mich als einfacher Matrose ein und fange dort unten von neuem an, wie jene Energischen angefangen haben, die, als sie jung hinübergingen, nicht einen Sou besaßen und dort in Indien reich geworden sind. Seit heute morgen sehe ich meiner Zukunft kalt ins Auge. Sie ist für mich wohl schrecklicher als für manchen andern, für mich, den eine bewundernde Mutter liebkoste, den der beste der Väter verwöhnte und der gleich bei seinem Eintritt in die große Lebewelt die Liebe einer Anne fand! Ich kannte vom Leben nur die Blüten. Solch ein Glück konnte nicht von Dauer sein. Dennoch, meine geliebte Annette, fühle ich mehr Mut in mir als wohl sonst ein junger Mann in meiner Lage, der durch die Zärtlichkeit der reizendsten Frau von Paris verwöhnt worden und sich im Schoß seiner Familie, seines glücklichen Heims geborgen fühlte und dessen Wünsche seinem Vater Gesetz waren . . . . O mein Vater! Annette, er ist tot . . . . Also höre: Ich habe über meine Lage nachgedacht – auch über Deine Lage. Ich bin in vierundzwanzig Stunden alt und weise geworden. Liebste Anna, wenn Du, um mich in Paris und an Deiner Seite zu behalten, alles opfern würdest: Deinen Luxus, Deine Toiletten, die Loge in der Oper –, so würde sich noch immer nicht die Summe ergeben, die ich bisher für meine dringenden Ausgaben nötig hatte; auch könnte ich so große Opfer gar nicht annehmen. Wir müssen uns also heute für immer Lebewohl sagen.‹
›Er trennt sich von ihr! Heilige Jungfrau! Welche Seligkeit!‹
Eugénie machte einen Freudensprung. Charles regte sich – kalter Schrecken durchfuhr sie. Aber zum Glück erwachte er nicht. Sie las weiter.