Der Weinbauer, der am Morgen am Hafen davon hatte reden gehört, daß infolge der in Nantes vorgenommenen umfangreichen Ausrüstungen der Wert des Goldes um das Doppelte gestiegen sei, und daß in Angers Spekulanten eingetroffen seien, um Gold zu kaufen, erreichte es – indem er einfach von seinen Pächtern ein Gespann entlieh –, daß er sein Gold dort verkaufen und nun die Summe heimbringen konnte, die zum Ankauf der Rentenpapiere unter Zuschlag des Agio notwendig war. ›Mein Vater fährt fort‹, sagte sich Eugénie, die droben an der Treppe alles gehört hatte.
Im Hause herrschte wieder Schweigen, und das ferne Rollen des Wagens, das nach und nach erstarb, weckte kein Echo mehr im schlafenden Saumur. In diesem Augenblick vernahm Eugénie – früher noch mit dem Herzen als mit dem Ohr – einen Klagelaut, der aus dem Zimmer des Cousins kam. Ein Lichtstreifen, fein wie eine Säbelklinge, drang durch die Türritze und spaltete das Treppengeländer in zwei Teile.
»Er leidet«, flüsterte sie, zwei Stufen hinaufsteigend.
Ein zweiter Seufzer lockte sie bis an die Türschwelle droben. Die Tür war angelehnt; sie schob sie auf. Charles schlief; sein Kopf hing seitwärts über die Lehne des Sessels herab; die Hand, der die Feder entfallen war, berührte fast den Boden. Das fast röchelnde Atmen des jungen Mannes, eine Folge seiner schlechten Lage im Stuhl, erschreckte Eugénie; sie trat ein.
›Da kann er allerdings müde sein‹, sagte sie sich, als sie etwa ein Dutzend versiegelter Briefe liegen sah. Sie las die Adressen: An Messieurs Farry, Breilmann & Co., Wagenbauer. An Monsieur Buisson, Schneider, . . .
›Er hat gewiß alle seine Angelegenheiten geordnet, um bald Frankreich verlassen zu können‹, dachte sie.
Ihr Blick fiel auf zwei offene Briefe. Sie las die Anfangsworte des einen: ›Meine liebe Annette . . .‹ Ein Schwindel erfaßte sie. Ihr Herz hämmerte, ihre Füße klebten am Boden.
›Seine liebe Annette! Er liebt – er wird geliebt! Keine Hoffnung mehr! . . . Was sagt er ihr?‹
Diese Gedanken gingen ihr durch Herz und Hirn. Überall las sie die Worte, sogar in Flammenschrift auf dem Fußboden.
›Schon ihm entsagen! – Nein, ich werde den Brief nicht lesen. Ich muß wieder gehen . . . Wenn ich ihn nun dennoch lesen würde?‹
Sie blickte auf Charles, hob sanft seinen Kopf und legte ihn auf die Rücklehne des Sessels; und er ließ es geschehen, wie ein Kind, das selbst im Schlaf die Mutter erkennt und, ohne zu erwachen, ihre Sorgfalt, ihre Küsse hinnimmt. Wie eine Mutter hob Eugénie Charles' schlaff niederhängende Hand in eine bequemere Lage und küßte ihn leise aufs Haar. ›Liebe Annette!‹ . . . ein kleiner Teufel schrie ihr die Worte ins Ohr.
›Ich weiß, ich tue vielleicht unrecht – aber ich werde den Brief lesen‹, sprach sie zu sich.