Er küßte Eugénie, und die beiden Frauen verließen das Zimmer. Nun begann die Szene, in der Vater Grandet mehr als in irgendeinem andern Augenblick seines Lebens sich die Geschicklichkeit zunutze machte, die er sich im Handelsverkehr erworben hatte und die ihm oft von Seiten der Leute, denen er gar zu sehr das Fell zauste, den Beinamen ›Alter Hund‹ einbrachte. Wenn der Bürgermeister von Saumur seinerzeit seinen Ehrgeiz höher geschraubt hätte, wenn glückliche Umstände ihn in die höchste Sphäre der Gesellschaft hätten aufsteigen lassen und ihn in die Kongresse geschickt hätten, wo über die Geschicke der Nation entschieden wird, und wenn er sich dort so genial gezeigt hätte wie bei Verfolg seiner persönlichen Interessen – kein Zweifel, er wäre Frankreich sehr nützlich geworden. Immerhin, es wäre ebensogut möglich, daß der Biedermann außerhalb der Grenzen von Saumur nur eine traurige Figur abgegeben hätte! Vielleicht gibt es Wesen, mit denen es geht wie mit gewissen Tieren, die in einem andern Klima als dem ihres Heimatlandes nicht gedeihen.
»Mon . . on . . on . . on . . sieur le Pré . . Pré . . Pré . . Président, Sssie sa . . sa . . sagten so . . so . . soeben, daß der B . . B . . Bankrott . . .«
Das seit so langer Zeit von dem Alten vorgetäuschte Stottern, das man ebenso wie die gelegentliche Taubheit, über die er bei Regenwetter klagte, für einen Naturfehler hielt, wurde im Laufe dieser Unterredung so ermüdend für die beiden Cruchots, daß sie die gräßlichsten Grimassen schnitten und sich angestrengt bemühten, die Worte auszusprechen, die er so mühsam im Munde herumwälzte. Hier ist es wohl angebracht, die Geschichte von Grandets Stotterfehler und Taubheit zu berichten. Keiner in ganz Anjou hörte besser und konnte das anjousche Französisch klarer aussprechen als der schlaue Weinbauer. Doch da geschah es, daß er trotz seiner Schlauheit von einem Juden überlistet wurde. Dieser hatte während der Unterredung die Hand ans Ohr gehalten, wie um besser zu hören, und stotterte so prächtig, daß Grandet sich aus Menschlichkeit verpflichtet glaubte, diesem verflixten Juden die Worte und Ideen zu suggerieren, die der Jude zu suchen schien; selber die Schlußfolgerungen zu ziehen, die besagter Jude hätte ziehen müssen; zu reden, wie der verdammte Jude hätte reden sollen; kurz, der Jude zu sein und nicht Grandet. Aus diesem merkwürdigen Kampf ging Grandet mit dem einzigen Handelsabschluß hervor, über den er sich während seiner ganzen Geschäftstätigkeit zu beklagen hatte. Aber wenn er auch pekuniär verloren hatte, so hatte er eine vorzügliche Lehre gewonnen, die ihm später reiche Früchte einbrachte. Und schließlich segnete der Biedermann den Juden, der ihn die Kunst gelehrt hatte, den geschäftlichen Gegner ungeduldig zu machen, ihn zu zwingen, die Ideen des andern auszusprechen und dadurch die eigenen aus dem Gesicht zu verlieren. Seitdem unternahm er kein Geschäft, ohne daß er die Taubheit und das Stottern zu weitschweifigen Umwegen benutzte, die seine wahren Gedanken verbergen mußten. Zunächst wollte er die Verantwortlichkeit für seine Absichten nicht ganz allein tragen; dann wollte er auch sein eigener Herr bleiben und seine wahren Absichten im unklaren lassen.
»Monsieur de Bon . . Bon . . Bonfons . . .«
Zum zweitenmal seit drei Jahren nannte Grandet Cruchot den Neffen Monsieur de Bonfons. Der Präsident vermeinte sich schon zum Schwiegersohn ausersehen.