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欧也妮葛朗台-Eugénie Grandet 65
日期:2018-08-16 10:05  点击:280
Der Geizhals glaubt nicht an ein zukünftiges Leben; für ihn ist die Gegenwart alles. Diese Betrachtung wirft ein grelles Licht auf unsere Zeit, in der mehr als in früheren Zeiten das Geld Gesetze, Politik und Sitten regiert. Lebensgewohnheiten, Bücher, Menschen und vorgefaßte Meinungen – alles wirkt zusammen, um den Glauben an ein zukünftiges Leben zu untergraben, einen Glauben, auf den das soziale Gebäude sich seit achtzehnhundert Jahren stützte. Heutzutage ist das Grab eine wenig gefürchtete Durchgangsstation. Die Zukunft, die unser nach dem Requiem wartete, ist in die Gegenwart hineingetragen worden. Per fas et nefas ins irdische Paradies des Luxus und der vergänglichen Freuden zu gelangen, sein Herz zu versteinern und seinen Leib zugrunde zu richten um irdischen Besitzes willen, so wie man ehemals das Martyrium des Lebens trug um der ewigen Güter willen – das ist heute der allgemeine Gedanke! Ein Gedanke, der sich überall niedergelegt findet, sogar in den Gesetzen, die den Gesetzgeber fragen: »Was zahlst du?« statt »Wie denkst du?« Wenn diese Doktrin vom Bürgerstand bis ins Volk hinabgedrungen sein wird, was soll dann aus dem Land werden?
 
»Madame Grandet, bist du fertig?« fragte der alte Böttcher.
 
»Mein Lieber, ich bete für dich.«
 
»Sehr gut! Gute Nacht. Morgen früh reden wir miteinander.«
 
Die arme Frau entschlummerte wie der Schüler, der seine Aufgaben nicht gelernt hat und fürchtet, beim Erwachen das empörte Gesicht seines Lehrers zu erblicken. Gerade als sie sich vor Angst fest in die Decken rollte, um nichts mehr zu hören, schlich sich Eugénie im Hemd und mit nackten Füßen zu ihr; sie küßte sie auf die Stirn.
 
»O du gute Mutter«, sagte sie, »morgen erzähle ich ihm, daß ich es gewesen bin.«
 
»Nein; er wird dich nach Noyers schicken. Laß mich nur machen, er wird mich nicht fressen.«
 
»Hörst du, Mama?«
 
»Was?«
 
»Ach, er weint noch immer.«
 
»Geh ins Bett, mein Kind. Du wirst kalte Füße bekommen; die Fliesen sind feucht.«
 
So endete der festliche Tag, der das Leben der reichen und armen Erbin für immer beschweren sollte; schon war ihr Schlummer weniger lang und weniger friedvoll als bisher. Nicht selten erscheinen uns literarisch gesprochen gewisse Ereignisse, obgleich sie wahr sind, unwahrscheinlich. Aber versäumen wir nicht fast stets, auf unsere plötzlichen Entschlüsse ein psychologisches Licht zu werfen, die ganz geheimen Gründe aufzudecken, die sie notwendig machten? 

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