Eugénie erhob die Augen zum Himmel und sagte nichts. Zum erstenmal in ihrem Leben wurden ihre bisher unterdrückten, schlummernden, nun aber plötzlich erwachten edelmütigen Regungen fortwährend verletzt. Dieser Abend verlief kaum anders als tausend andere Abende ihres einförmigen Daseins, aber dennoch war er der grausigste von allen. Eugénie arbeitete, ohne den Kopf zu heben, und bediente sich nicht mehr des Nähkästchens, das Charles am Abend vorher mißfällig beurteilt hatte. Madame Grandet strickte ihre Pulswärmer. Grandet drehte vier Stunden lang die Daumen, in Berechnungen vertieft, deren Resultat am andern Morgen ganz Saumur verblüffen sollte.
An diesem Tag kam niemand die Familie Grandet besuchen. Die ganze Stadt war in Aufregung über Grandets Gewaltstreich, über den Bankrott seines Bruders und die Ankunft seines Neffen. Um dem Bedürfnis, über ihre gemeinsamen Interessen zu schwatzen, nachkommen zu können, hatten sich alle Weingutsbesitzer der oberen und mittleren Gesellschaftsklasse bei Monsieur des Grassins versammelt, wo man sich in den schrecklichsten Verwünschungen gegen den ehemaligen Bürgermeister erging.
Nanon spann, und das sanfte Surren des Spinnrads war die einzige Stimme, die unter den grauen Deckenbalken des Saals ertönte.
»Wir nutzen unsere Stimme wenig ab«, sagte sie und zeigte ihre großen weißen Zähne, die wie geschälte Mandeln aussahen. »Nur nichts abnutzen!« antwortete Grandet, der aus seinen Grübeleien erwachte. Er sah sich im Geiste in drei Jahren im Besitz von acht Millionen und schwamm in einem Meer von Gold.
»Gehen wir schlafen. Ich werde meinem Neffen im Namen aller gute Nacht sagen und nachfragen, ob er etwas essen will.«
Madame Grandet blieb auf dem Treppenabsatz des ersten Stockwerks stehen, um das Gespräch mit anzuhören, das zwischen Charles und dem Biedermann stattfinden sollte. Eugénie, die mutiger war als ihre Mutter, stieg zwei Stufen höher hinauf.
»Nun, lieber Neffe, Sie haben Kummer? Ja, weinen Sie nur, das ist natürlich. Ein Vater ist ein Vater. Aber wir müssen unser Unglück in Geduld tragen. Während Sie weinen, befasse ich mich mit Ihrem Geschick. Ich bin ein guter Onkel, wie Sie sehen. Also vorwärts, Mut! Wollen Sie ein Gläschen Wein trinken? Der Wein kostet nichts in Saumur; man bietet bei uns Wein an, wie in Indien eine Tasse Tee. – Aber«, fuhr Grandet fort, »Sie sind ja ohne Licht. Schlimm! schlimm! Man muß bei allem, was man tut, klar sehen.« Grandet ging zum Kamin.
»Hallo!« rief er aus, »sieh da, ein Wachslicht! Wo zum Teufel hat man ein Wachslicht aufgetrieben? Diese Weibsbilder würden am liebsten das Haus zusammenreißen, um Holz für ein Feuerchen zu haben, auf dem sie ihm Eier kochen können.«
Als sie diese Worte vernahmen, gingen Mutter und Tochter still in ihre Zimmer und verbargen sich in ihren Betten mit der Schnelligkeit von Mäusen, die erschreckt in ihre Löcher fliehen.