»Woher soll ich denn aber das Holz nehmen für den Backofen, und Mehl und Butter?« fragte Nanon, die zuweilen in ihrer Eigenschaft als erster Minister Grandets in den Augen Eugeniés und ihrer Mutter eine sehr bedeutende Persönlichkeit war. »Muß man nicht ihn, den Mann, bestehlen, um Ihrem Cousin etwas Gutes aufzutischen? Verlangen Sie von ihm das Nötige: Butter, Mehl und Holz; er ist Ihr Vater, er kann es Ihnen geben. Halt, da kommt er schon herunter, um die Tagesrationen auszuteilen . . .«
Eugénie rettete sich in den Garten, als sie jetzt die Treppe unter den Schritten des Vaters knarren hörte. Schon litt sie unter jener tiefen Schamhaftigkeit, die dem Liebenden eigentümlich ist und ihn glauben macht, seine Gedanken ständen ihm auf der Stirn geschrieben und könnten von jedermann gelesen werden.
Das arme Mädchen fühlte auf einmal, wie armselig und unbehaglich das väterliche Heim war; sie war unwillig, weil ihr nicht möglich war, diese Dürftigkeit einigermaßen mit der Eleganz des Cousins in Einklang zu bringen. Sie fühlte ein leidenschaftliches Verlangen, etwas für ihn zu tun. Was, wußte sie nicht. Kindlich und naiv, wie sie war, folgte sie ihrer reinen Natur, ohne in ihre Eindrücke oder Gefühle ein Mißtrauen zu setzen. Der Anblick ihres Cousins hatte in ihr die natürlichen Neigungen der Frau geweckt, und diese mußten sich um so lebhafter entfalten, als sie im dreiundzwanzigsten Jahre stand und sich also in der Vollkraft geistiger Entwicklung und Sehnsucht befand.
Zum erstenmal erschrak ihr Herz beim Anblick ihres Vaters, zum erstenmal sah sie in ihm den Herrn ihres Schicksals und fühlte sich schuldbewußt, weil sie ihm ihre Gedanken verheimlichte. Sie begann schneller zu gehen und wunderte sich, eine so reine Luft zu atmen, wunderte sich, die Sonnenstrahlen so belebend zu empfinden, so, als weckten sie eine geistige Glut, ein neues Leben.
Während sie über eine List nachsann, um zu dem erhofften Brotkuchen zu gelangen, erhob sich zwischen der Großen Nanon und Grandet eine der Streitigkeiten, die zwischen ihnen so selten vorkamen wie die Schwalben im Winter.
Versehen mit seinem Schlüsselbund, war der Biedermann heruntergekommen, um die für den heutigen Tag nötigen Lebensmittel zuzumessen.
»Ist noch Brot von gestern da?« fragte er Nanon.
»Nicht ein Krümchen, Monsieur.«
Grandet nahm ein dickes, rundes, mit Mehl bestreutes Brot, geformt in einem jener flachen Körbe, wie sie im Anjou zum Backen genommen werden, und begann es aufzuschneiden, als Nanon sagte: »Wir sind heute unser fünf, Monsieur.«
»Du hast recht«, antwortete Grandet, »aber dein Brot wiegt stets sechs Pfund; es wird also noch etwas übrigbleiben. Übrigens diese jungen Leute aus Paris – so was ißt kein Brot.«