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欧也妮葛朗台-Einleitung von Hugo von Hofmannsthal 5
日期:2018-08-02 10:04  点击:201
Jede Generation, die in sich selber aus dem Umgang mit dem Werk Balzacs die Vision dieses Gesichtes hervorbringt, wird darin eine ähnliche Synthese vollziehen zwischen der ganzen Lebensschwere in sich und dem geheimsten Drang nach Bewältigung dieser Schwere, nach Erlösung, nach Aufschwung. Das Dazugehören zur dumpfen, wuchtenden Masse des Lebens, die ewig sich selber befruchtet, und zugleich das Darüberhinauswollen, der tiefste Drang des Geistes nach Geist: das ist die Signatur dieses großen tragischen Gesichtes, das nicht wie Goethes Maske über uns hin ins Ewige zu schauen scheint, sondern durch uns hindurch, mitten durch die Schwere des Lebens. Diese ungeheure Welt, aufgebaut aus unserem Leben, dem Leben der Begierden, der Selbstsucht, der Irrtümer, der Grotesken, erhabenen und lächerlichen Leidenschaften, diese Welt, in deren Gemenge die Begriffe »Komödie« und »Tragödie« ebenso aufgelöst sind wie »Tugend« und »Laster«, diese Welt ist im Tiefsten ganz Bewegung, ganz Drang, ganz Liebe, ganz Mysterium. Dieser scheinbare Materialist ist ein leidenschaftlicher Ahnender, ein Ekstatiker. Die Essenz seiner Figuren ist Aspiration. Alle Dulderkräfte, Liebeskräfte, Künstleranspannungen, Monomanien, diese Titanenkräfte, die großen Motoren seiner Welt, sind Aspiration: alle zielen sie auf ein Höchstes, Unnennbares. Vautrin, das Genie als Verbrecher, und Stenbock, das Genie als Künstler, Goriot der Vater, Eugénie Grandet die Jungfrau, Frenhofer der Schöpfer, alle sind sie eingestellt auf ein Absolutes, das sich offenbaren wird, wie die vom nächtlichen Sturm umhergeworfenen Schiffe eingestellt sind auf das Dasein des Polarsternes, wenngleich Finsternis ihn verhüllt. In den Tiefen ihres Zynismus, in den Wirbeln ihrer Qualen, in den Abgründen der Entsagung suchen und finden sie Gott, ob sie ihn beim Namen nennen oder nicht.
 
Alle diese so körperhaften Figuren sind doch nichts als vorübergehende Verkörperungen einer namenlosen Kraft. Durch diese unendlichen Relativitäten bricht ein Absolutes; aus diesen Menschen blicken Engel und Dämonen. Jede Mythologie, selbst die letzte, zäheste, die der Worte, ist hier aufgelöst: aber eine neue, geheimnisvolle, höchst persönliche ist an die Stelle dieser anderen getreten. Ihre Konzeption ist großartig und in einer solchen Weise bestimmt und doch vag, daß Hunderttausende sie annehmen und sich aus ihr etwas wie den Mythos des modernen Lebens machen können. Alle diese Gestalten, die sich der Phantasie so sehr als »wirkliche« aufdrängen, erscheinen unter einem gewissen geisterhaften Licht, das von den Gipfeln dieses Werkes herabfällt, als gute und böse Genien, Wesen, in denen die irdischen Triebe vorübergehend inkarniert sind. Aber nichts an dieser Konzeption ist schematisch. Hier sind keine Dogmen statuiert, sondern Visionen. Taine, der genau vor einem halben Jahrhundert seinen großen Essay über Balzac schrieb, legt an diese Intuitionen, diese schwebenden Wahrheiten, die alle nur für einen Augenblick wahr sind und nur an der eine Stelle, wo sie stehen, einen Maßstab, den sie nicht vertragen. Einem Dichter kann man nichts einzelnes entwinden. Alles, was innerhalb einer Welt Wahrheit ist, ja mehr als Wahrheit – schrankenlose Ahnung –, wird eine mißgeborene Phantasmagorie, wenn man es aus dem Zusammenhang herausreißt. Es handelt sich um Formen des Sehens. Der Denker sieht Prinzipien, Abstraktionen, Formeln, wo der Dichter die Gestalt erblickt, den Menschen, den Dämon. 

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