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Master Humphrey's Wanduhr. Erster Band-34
日期:2018-01-05 15:05  点击:247
Der Raritätenladen. Fünfundzwanzigstes Kapitel
Nach einer gesunden Nachtruhe in einer Kammer unter dem Strohdach, in welcher der Todtengräber einige Jahre gewohnt zu haben schien, bis er in der letzten Zeit ein Weib nahm und eine eigene Hütte bezog, stand das Kind am frühen Morgen auf und begab sich nach dem Gemache, wo es den Abend vorher gespeist hatte. Da der Schulmeister gleichfalls schon aus den Federn und ausgegangen war, so gab sie sich Mühe, die Stube nett und gemächlich aufzuräumen, und kaum war sie mit ihren Vorkehrungen zu Stande gekommen, als ihr freundlicher Wirth zurückkehrte.
Er dankte ihr zu wiederholten Malen und sagte, die alte Frau, welche gewöhnlich derartige Dienste für ihn verrichte, warte dem kleinen Schüler ab, von dem er gestern gesprochen habe. Das Kind fragte, wie es ihm gehe, und drückte die Hoffnung aus, daß er sich besser befinde.
»Nein,« versetzte der Schulmeister, bekümmert den Kopf schüttelnd, »nicht besser, es heißt sogar, er befinde sich übler.«
»Das thut mir recht leid, Sir,« entgegnete das Kind.
Der arme Schulmeister schien sich über die aufrichtige Theilnahme des Mädchens zu freuen, aber doch auch wieder unruhig darüber zu werden, denn er fügte hastig bei, ängstliche Leute vergrößerten oft ein Uebel und nähmen es gerne für gefährlicher, als es wäre.
»Ich für meinen Theil,« fügte er in seiner ruhigen, geduldigen Weise bei, »hoffe, daß es nicht so ist, wie man sagt. Ich glaube nicht, daß es schlimmer mit ihm geworden sein kann.«
Nelly fragte, ob sie ihm nicht das Frühstück bereiten solle, und da ihr Großvater inzwischen heruntergekommen war, so nahmen alle Drei dasselbe gemeinschaftlich ein. Während ihrer kleinen Mahlzeit machte der Hauswirth die Bemerkung, daß der alte Mann sehr ermüdet zu sein scheine und offenbar noch der Ruhe bedürfe.
»Wenn Sie eine lange Reise vorhaben,« sagte er, »und es dabei nicht auf einen Tag ankömmt, so sind Sie willkommen, wenn Sie noch eine Nacht hier zubringen wollen. Es würde mich in der That recht freuen, wenn Sie es so einrichten könnten, mein Freund.«
Er bemerkte, daß der alte Mann auf Nell sah und augenscheinlich unschlüssig war, ob er das Anerbieten ablehnen oder annehmen solle, weßhalb er fortfuhr:
»Auch wird es mich freuen, Ihre junge Begleiterin noch einen Tag bei mir zu beherbergen. Sie können damit einem Manne eine Wohlthat erweisen und zu gleicher Zeit auch selbst der Ruhe pflegen. Hat es aber mit Ihrer Reise Eile, so wünsche ich Ihnen eine glückliche Beendigung derselben; auch will ich Euch eine kleine Strecke begleiten, ehe die Schule anfängt.«
»Was wollen wir thun, Nell?« fragte der alte Mann unentschlossen; »sage, was sollen wir thun, meine Liebe?«
Es kostete keine große Ueberredung, das Kind zu der Antwort zu veranlassen, daß sie besser thun würden, die Einladung anzunehmen und zu bleiben. Nell fühlte sich glücklich, dem freundlichen Schulmeister ihre Dankbarkeit durch Verrichtung jener häuslichen Obliegenheiten, deren seine kleine Hütte bedurfte, bezeugen zu können. Sobald sie damit fertig war, nahm sie etwas Nähzeug aus ihrem Körbchen und setzte sich auf den Stuhl bei dem Fenster, wo Jasmin und Gaisblatt ihre zarten Zweige in einander verschlangen und, in das Fenster hineinrankend, das Gemach mit ihrem köstlichen Dufte erfüllten. Ihr Großvater saß außen in der Sonne, athmete den Wohlgeruch der Blüthen und sah müssig den Wolken nach, wie sie vor dem leichten Sommerwinde dahinschwammen.
Nachdem der Schulmeister die zwei Bänke in gehöriger Ordnung aufgestellt hatte, setzte er sich hinter sein Pult und traf noch andere Vorbereitungen für die Schule, so daß Nell fürchtete, sie möchte im Wege sein, und sich daher zu ihrem kleinen Schlafkämmerchen zurückziehen wollte. Er gab dieß übrigens nicht zu, und da ihm ihre Gegenwart angenehm zu sein schien, so blieb sie mit ihrer Arbeit da.
»Haben Sie viele Schüler, Sir?« fragte sie.
Der arme Schulmeister schüttelte seinen Kopf und sagte, daß sie kaum zwei Bänke füllten.
»Lernen die Andern auch ordentlich, Sir?« fragte das Kind mit einem Blick nach den Trophäen an der Wand.
»Es sind gute Jungen,« antwortete der Schulmeister, »ganz wackere Jungen, meine Liebe! aber sie werden nie so etwas zu leisten im Stande sein.«
Während der Schulmeister so sprach, zeigte sich ein weißköpfiger Knabe mit sonnverbranntem Gesicht an der Thüre, machte dabei einen bäurischen Kratzfuß, kam herein und setzte sich auf eine der Bänke. Der weißköpfige Knabe legte sodann ein offenes, mit erstaunlich viel Eselsohren versehenes Buch auf seine Kniee, steckte die Hände in seine Taschen und begann die Marbeln, womit sie angefüllt waren, zu zählen, wobei er in dem Ausdrucke seines Gesichtes eine merkwürdige Fähigkeit an den Tag legte, seine Geist total von den Buchstaben, auf welche seine Augen geheftet waren, abzuziehen. Bald nachher kam ein anderer weißköpfiger Junge angestiegen, dem sofort ein rothhaariger Bursche folgte, dann erschienen wieder zwei weitere Weißköpfe, und dann einer mit Flachshaaren, und so ging es fort, bis die Bänke von einem Dutzend oder etwas mehr Jungen besetzt waren, zwei Reihen Köpfe von allen Farben, die graue ausgenommen, und die Repräsentanten verschiedener Altersklassen von vier bis vierzehn Jahren oder darüber, dem Auge darbietend. Die Beine der Jüngsten standen, wenn sie auf der Bank saßen, um ein Ansehnliches von dem Fußboden ab, während der Aelteste, ein plumper, gutmüthiger, läppischer Junge, etwa um einen halben Kopf größer als der Schulmeister war.
An der Vorderseite der ersten Bank – dem Ehrenposten der Schule – war der leere Platz des kleinen kranken Schülers, und vorn an dem Rechen, an welchem die mit Mützen und Hüten versehenen Zöglinge ihre Kopfbedeckungen aufzuhängen pflegten, befand sich gleichfalls ein leerer Nagel. Kein Junge wagte es, das Heiligthum des Platzes oder Nagels zu verletzen, aber Mancher blickte von den leeren Stellen auf den Schulmeister und flüsterte dann hinter der vorgehaltenen Hand mit seinem Nachbar.
Dann begannen die leisen Buchstabirübungen, die Selbstüberhörungen auswendig gelernter Lektionen, die halblauten Scherze, die heimlichen Spiele und das ganze lärmende Treiben einer Schule; und inmitten des Getöses saß der arme Schulmeister, ein treues Bild der Demuth und Einfalt, indem er es vergeblich versuchte, seinen Geist den Obliegenheiten des Tages zuzuwenden und seinen kleinen Freund zu vergessen. Das Langweilige seines Amtes erinnerte ihn jedoch nur um so stärker an den fleißigen Schüler, und man konnte deutlich sehen, daß seine Gedanken nicht bei seinen Zöglingen waren.
Aber Niemand bemerkte dies schneller, als die müssigen Jungen, welche durch die Ungestraftheit ermuthigt, immer lauter und kecker wurden, unter den Augen des Lehrers »Gerade oder Ungerade« spielten, öffentlich und ohne einen Verweis zu erhalten, Aepfel speisten, rückhaltslos aus Spaß oder Bosheit sich gegenseitig kneipten und ihre Autographen sogar in die Beine des Pultes schnitten. Der verblüffte Schüler von dem Eselsplätzchen, welcher daneben stand, um seine Aufgabe auswendig herzusagen, suchte nicht mehr an der Zimmerdecke die vergessenen Worte, sondern trat dicht an die Seite des Schulmeisters und warf keck sein Auge auf das aufgeschlagene Buch; der Spaßvogel der kleinen Bande blinzelte und schnitt Fratzen, (natürlich gegen den kleinsten Jungen), ohne sein Beginnen auch nur durch ein vor das Gesicht gehaltenes Buch zu maskiren, und sein beifallspendendes Publikum that sich in seiner Lust durchaus keinen Zwang an. Wenn der Schulmeister hin und wieder aus seinen Träumereien erwachte und auf das, was um ihn vorging zu achten schien, so legte sich der Lärm für einen Augenblick und seine Augen trafen nur auf fleißige und demüthige Blicke; aber sobald er wieder in sein Sinnen zurückversank, ging es auf's Neue los, und zehnmal lauter als zuvor.
Oh! wie einige von diesen müssigen Jungen sich aus dem Schulstaube hinaussehnten, und wie sie nach der offenen Thüre und dem Fenster blickten, als hätten sie halbwegs Lust, gewaltsam auszureißen, in die Wälder zu eilen und fortan eigentliche Wilde zu sein! Welche rebellische Gedanken an den kühlen Fluß und irgend einen schattigen Badeplatz unter den ihre Zweige in's Wasser senkenden Weiden mochten wohl jenem stämmigen Jungen quälen und drängen, der mit offenem und so weit als möglich zurückgeschlagenem Hemdkragen dasaß, das erhitzte Gesicht mit einem ABC-Buch fächelte und lieber ein Wallfisch, ein Frosch, eine Fliege oder überhaupt Alles gewesen wäre, nur nicht ein Knabe, der an einem solchen heißen, sengenden Tage in der Schule schwitzen mußte! Welche Hitze! Fragt jenen Knaben dort, dessen in der Nähe der Thür befindlicher Sitz ihm Gelegenheit gab, in den Garten hinauszuschlüpfen und seine Kameraden zum Wahnsinn zu treiben, indem sie zusehen müssen, wie er sein Gesicht in den Brunnentrog taucht und dann im Grase umherkugelt, fragt ihn, ob es je einen Tag gab, wie diesen, wo selbst die Bienen tief in die Blumenkelche tauchten und darin blieben, als hätten sie den festen Entschluß gefaßt, sich vom Geschäft zurückzuziehen und die Honigfabrikation aufzugeben. Der Tag war ganz dazu geschaffen, träge zu sein, auf dem Rücken im grünen Grase zu liegen und das Firmament anzustarren, bis man von der Helle gezwungen wurde, die Augen zu schließen und einzuschlafen. Und war dieß wohl eine Zeit, um über muffigen Büchern zu brüten? – und noch obendrein in einer düstern Stube, die sogar von der Sonne vernachlässigt wurde! – Abscheulich!
Nell saß mit ihrer Arbeit beschäftigt am Fenster, achtete aber dabei aufmerksam auf Alles, was vorging, obgleich sie sich bisweilen vor den lärmenden Buben ein wenig fürchtete. Nach dem Lesen kam es an's Schreiben, und da kein anderes Pult, als das des Lehrers da war, so setzten sich die Jungen der Reihe nach an demselben nieder und drückten ihre Trudenfüße, während der Schulmeister umherspazierte. Dieß war eine ruhigere Zeit; denn er kam immer herzu, sah dem Schreiber über die Schulter und machte ihn sanft darauf aufmerksam, wie der und der Buchstabe in der Schrift an der Wand gezogen sei, lobte da den Haarstrich und dort den Schattenstrich, und hieß den Schüler sich dieselbe zum Muster nehmen. Hin und wieder hielt er auch inne und sagte seinen Zöglingen, was das kranke Kind gestern Abend gesprochen und wie es sich gesehnt habe, wieder einmal unter ihnen zu sein; kurz der arme Schulmeister betrug sich so zart und liebevoll, daß die Knaben eigentliche Gewissensbisse über ihre früheren Quälereien zu empfinden schienen und sich vollkommen ruhig verhielten, keine Aepfel aßen, keine Namen einschnitten, sich nicht zwickten und keine Grimassen machten – volle zwei Minuten lang.
»Ich denke, Kinder,« sagte der Schulmeister, als die Glocke Zwölf schlug, »ich will Euch diesen Nachmittag eine Extravakanz geben.«
Auf diese Nachricht erhoben die Knaben unter der Anführung des langen Jungen ein lautes Jubelgeschrei, während dessen man den Schulmeister wohl sprechen sah aber nicht hörte. Als er jedoch seine Hand aufhob, zum Zeichen seines Wunsches, daß sie sich stille verhalten sollten, beobachteten sie so viel Rücksicht, aufzuhören, sobald derjenige unter ihnen, welcher den besten Blasebalg besaß, außer Athem war.
»Ihr müßt mir aber vorerst versprechen,« fuhr der Schulmeister fort, »daß Ihr nicht lärmen, oder wenigstens, wenn Ihr dieß im Sinne habt, hinausgehen wollt – ich meine vor das Dorf hinaus. Gewiß werdet Ihr Euren alten Schul- und Spielkameraden nicht beunruhigen wollen.«
Es folgte ein allgemeines – und wohl ein sehr aufrichtiges, denn es waren ja nur Kinder – Gemurmel der Verneinung, und der lange Junge, der es vielleicht so ehrlich als irgend Einer unter ihnen meinte, rief alle Anwesenden zu Zeugen auf, daß er nur ganz leise geschrieen habe.
»Ich bitte Euch daher, meine lieben Kinder,« sagte der Schulmeister, »vergeßt nicht, was ich von Euch verlangt habe und thut es mir zu Gefallen. Seid so fröhlich, als Ihr sein könnt, aber erinnert Euch, daß Ihr mit Gesundheit gesegnet seid. Gott behüte Euch Alle!«
»Danke Sir,« und »Gott befohlen, Sir,« klang es zu öfterenmalen aus einem Dutzend Kehlen, und die Knaben entfernten sich sehr langsam und leise. Aber da schien die Sonne, und da sangen die Vögel, wie sie dieß nur an halben und ganzen Vakanztagen thun; da winkten die Bäume allen unbeschädigten Jungen zu, hinanzuklimmen, und unter ihren laubigen Zweigen zu nisten; das Heu bat sie, zu kommen und es in der reinen Luft auszustreuen; die grünen Saatfelder nickten sanft gegen Wald und Strom hin; der anmuthige Grund, noch lieblicher wiederstrahlend unter seinen lichten und schattigen Tinten, verlockte zu Sprüngen und Sätzen, und zu langen Spaziergängen – Gott weiß wohin. Dieß war mehr als ein Knabe ertragen konnte und mit freudigem Jubel enteilte die ganze Bande und tummelte sich lärmend und lachend umher.
»Das ist Natur, Gott sei Dank! sagte der arme Schulmeister, als er ihnen nachblickte. »Es freut mich recht, daß sie sich nicht an meine Worte kehrten.«
Es ist jedoch schwer, es Jedermann recht zu machen, wie die meisten von uns wohl entdeckt haben werden, ohne für diesen Erfahrungssatz der Moral jener bekannten Fabel zu bedürfen, und im Laufe des Nachmittags machten mehrere Mütter und Tanten von Zöglingen ihren Besuch, um über das Verfahren des Schulmeisters ihre gänzliche Mißbilligung auszudrücken. Einige beschränkten sich auf Andeutungen, indem sie etwa höflich fragten, welch ein rothgedruckter Tag oder welches Heiligenfest denn im Kalender stehe; Andere – und diese gehörten zu den tiefen Dorfpolitikern – folgerten, es sei eine Geringachtung das Thrones, ein Schimpf für Kirche und Staat, und schmecke nach revolutionären Principien, bei einem geringeren Anlasse als bei dem Geburtstag des Monarchen einen halben Vakanztag zu geben; aber die Mehrzahl drückte ihr Mißfallen unverholener und mit Berücksichtigung persönlicher Gründe aus, indem sie meinte, eine solche Verkürzung des Unterrichts sei nichts Anderes, als ein Akt offnen Raubs und Betrugs; und eine alte Dame stürzte, als sie fand, daß nichts den friedliebenden Schulmeister zu reizen oder zu entflammen vermochte, aus seinem Hause hinaus, und sprach über ihn vor seinem Fenster mit einer andern Dame, sich dahin erklärend, er müsse sich natürlich für diesen halben Vakanztag einen Abzug von seinem Wochengehalt gefallen lassen, oder er habe eben so natürlich eine Concurrenz zu gewärtigen; es sei kein Mangel an müssigen Schluckern in der Nachbarschaft (hier erhob die alte Dame ihre Stimme) und einige Schlucker, die sogar zu faul wären, um Schulmeister zu sein, dürften wohl bald finden, daß ihnen andere Schlucker über die Köpfe wüchsen; sie wolle daher genau auf dieselben Acht haben und ihnen scharf auf die Finger sehen. Aber alle diese Verhöhnungen und Kränkungen waren nicht im Stande, auch nur eine Sylbe aus dem demüthigen Schulmeister herauszulocken, der an Nells Seite saß – etwas niedergeschlagen vielleicht, aber ganz still und ohne sich zu beklagen.
Gegend Abend humpelte ein altes Weib so schnell, als sie konnte, den Garten herauf, und sagte zu dem Schulmeister, den sie an der Thüre traf, er solle gleich zu Frau West kommen, und er werde wohl am Besten thun, wenn er gleich vorauseile. Er wollte eben mit Nell einen Spaziergang machen; nun aber sputete er sich, ohne die Hand seines kleinen Gastes loszulassen, von hinnen, und überließ es der Botin, nach Belieben nachzukommen.
Sie hielten an der Thüre eines Bauernhauses, an welcher der Schulmeister sanft mit dem Finger pochte. Sie wurde ohne Zeitverlust geöffnet. Beide traten nun in eine Stube, wo sich eine kleine Weibergruppe um eine Frau versammelt hatte, die älter als die übrigen war und unter Weinen und Schluchzen bitterlich die Hände rang.
»Ach, Frau,« sagte der Schulmeister, indem er sich dem Stuhle näherte, auf welchem die bekümmerte Alte saß, »steht es denn wirklich so übel?«
»Es geht schnell mit ihm,« rief die alte Frau; »mein Enkel liegt im Sterben – und Ihr seid rein daran schuld. Ihr hättet ihn nicht mehr sehen sollen, wenn er es nicht so ernstlich verlangt hätte. Das ist jetzt die Frucht von seinem Lernen. Ach, Himmel, Himmel, Himmel, was kann ich thun!«
»Redet nicht so, daß mir eine Schuld dabei zur Last falle,« entgegnete der sanfte Schulmeister. »Doch Ihr beleidigt mich nicht, Frau – nein, nein. Ihr seid in einer großen Betrübniß und meint es nicht so schlimm mit Euren Worten – gewiß, es kann nicht sein.«
»Ja ich meine es so,« erwiederte die alte Frau; »ich meine Alles so, wie ich es gesagt habe. Hätte er nicht aus Furcht vor Euch immer hinter seinen Büchern gesessen – ich weiß gewiß, er wäre jetzt wohl und heiter.«
Der Schulmeister ließ seine Blicke über die andern Weiber gleiten, als bäte er Eine oder die Andere davon, ein freundliches Wort für ihn zu sprechen; aber sie schüttelten ihre Köpfe und flüsterten sich gegenseitig zu, sie hätten nie geglaubt, daß viel Gutes beim Lernen herauskomme, und da liege jetzt der Beweis zu Hand. Ohne ein Wort zu erwiedern, oder ihre Härte durch einen Blick zu rügen, folgte er der alten Frau, welche ihn geholt hatte und jetzt gleichfalls hereingekommen war, in ein anderes Gemach, wo sein jugendlicher Freund halb angekleidet auf einem Bette, ausgestreckt lag. Es war ein sehr junger Knabe – eigentlich ein kleines Kind. Die Haare hingen ihm in Locken um das Gesicht und seine Augen leuchteten – aber es war ein Blick vom Himmel, nicht von der Erde. Der Schulmeister setzte sich an seiner Seite nieder, beugte sich über das Kissen und flüsterte seinen Namen. Der Knabe fuhr auf, strich sich mit der Hand über das Gesicht, schlang seine abgezehrten Arme um den Hals des Lehrers und rief, daß er sein einziger gütiger Freund sei.
»Ich hoffe, daß ich es immer war. Gott weiß es, daß ich es wenigstens sein wollte,« sagte der arme Schulmeister.
»Wer ist das?« fragte der Knabe, als er Nell bemerkte. »Ich scheue mich, sie zu küssen, weil sie sonst auch krank werden könnte. Bittet sie, daß sie mir ihre Hand reiche.«
Nelly kam schluchzend näher und ergriff die kleine schlaffe Hand. Nach einer Weile machte sich der kranke Knabe wieder los und legte sich sanft nieder.
»Erinnerst du dich noch des Gartens, Harry,« flüsterte der Schulmeister, um den Knaben zu sich zu bringen, da ein Zustand von Betäubung seiner sich zu bemächtigen schien, »und wie lieblich es dort in den Abendstunden war? Du mußt machen, daß du ihn bald wieder besuchen kannst, denn ich glaube, sogar die Blumen haben dich vermißt und sind nicht mehr so heiter, als sie sonst zu sein pflegten. Du kömmst doch bald – nicht wahr?«
Der Knabe lächelte matt – so gar, gar matt – und legte seine Hand auf das Haupt seines grauen Freundes. Auch seine Lippen bewegten sich, aber es kam keine Stimme hervor – nein, nicht ein Laut. In dem nun folgenden Schweigen drang das Summen ferner Stimmen, von leichten Abendlüften getragen, durch das offene Fenster.
»Was ist das?« fragte das Kind, die Augen öffnend.
»Die Knaben spielen auf dem Rasen.«
Der Kleine nahm ein Taschentuch von seinem Kissen und machte den Versuch, es über seinem Haupte zu schwingen; aber der schwache Arm sank kraftlos nieder.
»Soll ich es thun?« fragte der Schulmeister.
»Ja, seid so gut, aber an dem Fenster,« lautete die matte Antwort. »Bindet es an das Gitter. Vielleicht sehen es Einige von dort aus. Sie denken vielleicht an mich und schauen in diese Richtung.«
Er erhob den Kopf und blickte von dem flatternden Signal auf sein müßiges Rakett, das neben der Schiefertafel, dem Buche und sonstigem Eigenthum des Knaben auf einem in der Kammer stehenden Tische lag. Dann legte er sich abermals sachte nieder und fragte, ob das kleine Mädchen noch da wäre, denn er konnte sie nicht sehen.
Nell trat vor und drückte die Hand des Kranken, welche auf der Bettdecke lag. Die zwei alten Freunde und Gefährten, denn das waren sie, obgleich der Eine ein Mann, der Andere ein Kind war – hielten sich gegenseitig in langer Umarmung fest; dann wandte der kleine Schüler sein Gesicht gegen die Wand und schlief ein.
Der arme Schulmeister blieb auf derselben Stelle sitzen, hielt die kleine kalte Hand in der seinigen und wärmte sie. Es war nur die Hand eines todten Kindes. Er fühlte dieß; und doch wärmte er sie noch immer und konnte sie nicht weglegen. 

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