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Master Humphrey's Wanduhr. Erster Band-33
日期:2018-01-05 15:04  点击:236
Der Raritätenladen. Vierundzwanzigstes Kapitel
Der alte Mann und das Kind wagten es erst, Halt zu machen und am Rande eines kleinen Waldes auszuruhen, nachdem sie ganz erschöpft waren und nicht länger den Schritt beizubehalten vermochten, in welchem sie von der Rennbahn geflohen waren. Hier konnten sie, obgleich die Bahn ihren Blicken entschwunden war, noch ganz schwach den Lärm fernen Geschrei's, das Summen der Stimmen und das Wirbeln der Trommeln unterscheiden. Als das Kind die Anhöhe hinanklomm, die zwischen ihnen und dem Orte, welchen sie verlassen hatten, lag, konnte es sogar noch die flatternden Fahnen und die weißen Zeltspitzen erkennen; aber Niemand näherte sich ihnen, und ihr Ruheort war still und einsam.
Es währte einige Zeit, ehe Nelly ihren zitternden Gefährten zu beschwichtigen oder ihn nur in den Zustand einer mäßigen Ruhe zu bringen vermochte. Seine verwirrte Einbildungskraft ließ ihn Massen von Personen schauen, die sich unter dem Schutz des Gebüsches gegen sie herstahlen, in jedem Graben lauerten und aus den Zweigen eines jeden raschelnden Baumes heraussahen. Auch ängstigte ihn die Furcht, man wolle ihn als Gefangenen nach irgend einem düsteren Orte führen, wo Fesseln und Peitschen seiner harrten, und was noch schlimmer als Alles war, wo Nelly ihn nur durch eiserne Schranken und Gitter in der Mauer sehen konnte. Diese schreckenhaften Vorstellungen gingen dem Kinde zu Herzen. Trennung von ihrem Großvater war das größte Uebel, das sie zu fürchten hatte, und da es ihr zur Zeit war, als würden sie, wo sie auch hingingen, niedergehetzt, ohne wo anders, als in Schlupfwinkeln Sicherheit zu finden, so zagte ihr Herz und der Muth entsank ihr. Bei einem so jungen Geschöpfe, welches mit Scenen, wie sie kürzlich durchlebt worden, so wenig vertraut war, darf eine solche Muthlosigkeit nicht auffallen. Doch schließt die Natur oft kühne und edle Herzen in einen schwachen Busen ein – am öftesten aber, Gott sei Dank, in die Brust des weiblichen Geschlechtes – und sobald sich die Kleine, die ihr thränenvolles Auge auf den alten Mann warf, seiner Schwäche, seiner Hülflosigkeit und des trostlosen Zustandes erinnerte, falls sie ihm entrissen würde – da schwoll ihr das Herz im Innern, und auf's Neue stählte Kraft und Muth ihre Seele.
»Wir sind jetzt ganz sicher und haben gewiß nichts mehr zu fürchten, lieber Großvater,« sagte sie.
»Nichts zu fürchten?« entgegnete der alte Mann. »Nichts zu fürchten, wenn man dich von mir reißt? Nichts zu fürchten, wenn man uns trennt? Ach, Niemand ist mir treu – nein. Niemand! Nicht einmal Nell!«
»O! Sprechen Sie nicht so,« versetzte das Kind, »denn wenn Jemand treu und aufrichtig an Ihnen hängt, so ist dieß bei mir der Fall. Ich bin überzeugt, daß Sie dieß selber auch recht gut wissen.«
»Aber wie kannst du dann,« fuhr der alte Mann fort, indem er scheu umherblickte, »wie kannst du dann auf den Gedanken kommen, daß wir sicher seien, wenn man von allen Seiten nach mir späht, wenn man hierher kommt, und wenn man uns nachschleicht, sogar während wir hier reden?«
»Aus dem einfachen Grunde, weil ich überzeugt bin, daß wir nicht verfolgt werden,« sagte das Kind. »Urtheilen Sie nur selbst, lieber Großvater, blicken Sie umher und überzeugen Sie sich, wie still und ruhig Alles ist. Wir sind allein mit einander und können hin wo wir wollen. Nicht sicher? Könnte ich mich ruhig fühlen, oder würde ich mich überhaupt ruhig fühlen, wenn Sie von einer Gefahr bedroht wären?«
»Du hast Recht, du hast Recht,« antwortete er, indem er ihr die Hand drückte, aber noch immer ängstlich umherschaute. »Was war das für ein Ton?«
»Ein Vogel ist in das Gehölz geflogen,« sagte das Kind, »und wollte uns den Weg zeigen. Erinnern Sie sich noch, daß wir sagten, wir wollten in Wäldern, Feldern und an den Flüssen hin spazieren gehen, und wie glücklich wir dann sein würden – erinnern Sie sich dessen? Und doch sitzen wir jetzt traurig beisammen und verlieren die Zeit, während die Sonne über unsern Häuptern scheint und Alles froh und glücklich ist. Sehen Sie nur, welch' ein lieblicher Pfad! Und da ist der Vogel – der nämliche Vogel – jetzt fliegt er zu einem andern Baume und bleibt, um zu singen. Kommen Sie!«
Als sie von dem Boden aufstanden und den schattigen Pfad einschlugen, welcher durch den Wald führte, sprang ihm Nell voraus und drückte ihre leichten Fußtapfen in das Moos, welches sich elastisch unter dem unbedeutenden Druck wieder erhob und, dem Athem aus dem Spiegel gleich, bald keine Spur mehr sehen ließ; und so lockte sie den alten Mann mit vielen Rückblicken und heiteren Winken vorwärts, indem sie das eine Mal behutsam auf einen einsamen Vogel aufmerksam machte, der von einem ihren Weg kreuzenden Zweige herunterzwitscherte, das andere Mal stehen blieb, um auf die frohen Lieder zu hören, welche die Stille unterbrachen, oder die Sonnenstrahlen zu beobachten, wie sie durch die Blätter zitterten und unter den von Epheu umzogenen Stämmen kräftiger Bäume sich hinstehlend, lange Lichtpfade öffneten. Als sie so, die Zweige auf ihrem Wege zurückbiegend, weiter kamen, schlich sich allmählig die Heiterkeit, welche die Kleine anfangs nur angenommen hatte, allen Ernstes in Nelly's Brust; der alte Mann warf nicht länger furchtsame Blicke hinter sich, sondern fühlte sich leicht und wohlgemuth, und je tiefer sie in die grünen Schatten eindrangen, desto mehr fühlten sie, daß hier der ruhige Geist Gottes waltete und sie mit seinem Frieden umzog.
Endlich wurde der Pfad lichter und weniger verwickelt; sie gelangten an die Gränze des Gehölzes und von da aus auf die Landstraße. Nachdem sie eine kleine Strecke auf derselben fortgegangen waren, kamen sie an einen Feldweg, welcher zu beiden Seiten so von Bäumen beschattet wurde, daß die Kronen oben zusammenstießen und den Pfad überwölbten. Ein zerbrochener Wegweiser verkündigte ihnen, daß dieser Weg nach einem drei Meilen entlegenen Dorfe führte, und dorthin beschlossen sie, ihre Schritte zu lenken.
Die Meilen kamen ihnen so lang vor, daß sie einige Male glaubten, sie wären verirrt. Endlich aber ging es, zu ihrer großen Freude, eine steile Hohlgasse hinab, auf deren überhängenden Seiten die Fußpfade hinführten, und die Häusergruppen des Dorfes wechselten gar freundlich mit dem waldigen Grün des Thales.
Es war nur ein sehr kleiner Ort. Die männliche Jugend spielte im Freien Ball, und da die anderen Leute zusahen, so wandelten unsere beiden Pilger auf und ab, ungewiß, wen sie um ein bescheidenes Nachtquartier ansprechen sollten. Nur ein einziger alter Mann befand sich in dem kleinen Garten vor seiner Hütte, und diesem näherten sie sich schüchtern, denn er war der Schulmeister, und auf ein weißes Brett über seinem Fenster war mit schwarzen Buchstaben das Wort »Schule« geschrieben. Der Mann sah blaß, schlicht und mager aus, saß in der kleinen Vorhalle feiner Thüre unter seinen Blumen und Bienenstöcken und rauchte seine Pfeife.
»Rede ihn an, meine Liebe,« flüsterte der alte Mann.
»Ich getraue mich kaum, ihn zu stören,« versetzte das Mädchen furchtsam. »Er scheint uns nicht zu sehen. Wenn wir noch ein wenig warten, so blickt er vielleicht in unsere Richtung.«
Sie warteten, aber der Schulmeister sah sich nicht nach ihnen um, sondern blieb stumm und gedankenvoll in seiner kleinen Vorhalle sitzen. Er hatte ein gutmüthiges Gesicht, und sein einfacher, alter, schwarzer Anzug ließ ihn nur noch blasser und magerer erscheinen. Auch kam es ihnen vor, als umgäbe ihn und sein Haus das Gepräge der Einsamkeit, was aber vielleicht nur darin seinen Grund hatte, weil sich die andern Leute in geselliger Heiterkeit auf dem Rasen umhertrieben, und er der einzige, einsame Mann im ganzen Orte zu sein schien.
Sie waren sehr müde, und das Kind hätte wohl Kühnheit genug gehabt, sogar einen Schulmeister anzureden, wenn sich nicht in seinem Benehmen Etwas ausgesprochen haben würde, was auf Unruhe oder Kummer hinzudeuten schien. Während sie so in kleiner Entfernung zögernd dastanden, bemerkten sie, daß er minutenlang in ein finsteres Brüten zu versinken schien; dann legte er seine Pfeife weg, that ein paar Schritte in seinen Garten, näherte sich der Thüre und sah nach dem Rasen hinaus; dann griff er mit einem Seufzer wieder nach seiner Pfeife und setzte sich, wie früher, gedankenvoll nieder.
Da sonst Niemand erschien und es bereits dunkel wurde, so faßte Nell endlich Muth und wagte es, als sich der Schulmeister eben gesetzt und seine Pfeife wieder ausgenommen hatte, mit ihrem Großvater an der Hand, näher zu kommen. Das leichte Geräusch, veranlaßt durch die Bewegung der Klinke an der Gartenthüre, erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah freundlich nach ihnen um, schien aber jemand Anderes erwartet zu haben, denn er schüttelte leicht den Kopf.
Nell machte einen Knix und sagte ihm, sie wären arme Reisende und suchten eine Nachtherberge, die sie gerne bezahlen wollten, so weit es ihre Mittel gestatteten. Der Schulmeister sah sie, während sie sprach, ernst an, legte dann seine Pfeife bei Seite und stand sogleich auf.
»Wenn Sie uns einen Ort empfehlen wollten, Sir,« sagte das Kind, »so würden wir es mit großem Danke anerkennen.«
»Ihr kommt wohl schon weit her?« entgegnete der Schulmeister.
»Oh, sehr weit, Sir,« antwortete das Kind.
»Du bist noch ziemlich jung zum Reisen, mein Kind,« sagte er, indem er seine Hand sanft auf ihren Kopf legte. »Ihre Enkelin, Freund?«
»Ja,« rief der alte Mann, »und die Stütze und der Trost meines Lebens.«
»Kommt herein,« sagte der Schulmeister.
Ohne weitere Einleitung führte er sie in seine kleine Schulstube, welche zugleich die Stelle des Wohnzimmers und der Küche vertrat, und sagte ihnen, sie wären bis morgen unter seinem Dache willkommen. Ehe sie noch ihren Dank abstatten konnten, breitete er ein grobes, weißes Tuch über den Tisch und legte Messer und Teller auf; dann brachte er etwas Brod und kaltes Fleisch nebst einem Krug Bier hervor, und forderte seine Gäste auf, zu essen und zu trinken.
Nell sah sich, während sie ihren Sitz einnahm, in der Stube um. Die Ausstattung derselben bestand aus ein paar Bänken, eingekerbt, zerschnitten und über und über mit Tinte besudelt, einem kleinen tannenen Pulte auf vier Füßen, an welchem ohne Zweifel der Schulmeister saß, einigen mit Eselsohren versehenen Büchern auf einem hohen Gesimse, und außerdem noch aus einem bunten Gemische von Kreiseln, Bällen, Papierdrachen, Angelruthen, Marbeln, halbverzehrten Aepfeln und sonstigem confiscirten Eigenthum der müssiggängerischen Knirpse. An ein paar Haken in der Mauer prangten in all' ihrem Schrecken der Stock und das Lineal, und neben denselben ruhte auf einem kleinen Gesimse die aus alten Zeitungen gefertigte und mit einem Paar großer Oblaten verzierte Eselskappe. Der Hauptschmuck der Wände bestand jedoch aus schön geschriebenen Sprüchen und wohlausgearbeiteten Rechnungsexempeln in einfacher Addition und Multiplication, augenscheinlich durch dieselbe Hand ausgeführt, welche allenthalben herum angeklebt waren – zu einem doppelten Zwecke, wie es schien: einmal nämlich, um ein Zeugniß von der Vortrefflichkeit der Schule aufzustellen, und dann, um einen lobenswerthen Ehrgeiz in den Herzen der Schüler zu entzünden.
»Ja,« sagte der alte Schulmeister, als er bemerkte, daß diese letzteren Specimina Nell's Aufmerksamkeit auf sich zogen, »das ist eine schöne Schrift, meine Liebe.«
»Sehr schön, Sir,« versetzte das Kind bescheiden; »ist es die Ihrige?«
»Die meinige?« entgegnete er, indem er die Brille herauszog und aufsetzte, um die Triumphe, so theuer seinem Herzen, besser betrachten zu können. »Nein, ich kann in meinen alten Tagen nicht mehr so schreiben. Das kömmt Alles von Einer Hand – und zwar von einer kleinen Hand, nicht so alt als die deinige, aber demungeachtet eine recht geschickte Hand.«
Da der Schulmeister, während er so sprach, einen kleinen Dintenklecks auf einer der genannten Schriften wahrnahm, so nahm er ein Federmesser, trat an die Wand und radirte denselben sorgfältig aus. Sobald er damit fertig war, trat er langsam vor dem Blatte zurück und betrachtete es mit bewundernder Miene, wie man etwa ein schönes Gemälde zu betrachten pflegt; aber doch lag dabei eine gewisse Trauer in seiner Stimme und in seinem Benehmen, welche das Kind rührte, obgleich es die Veranlassung dazu nicht kannte.
»Allerdings eine kleine Hand,« sagte der arme Schulmeister, »und weit über seinen Kameraden stehend, sowohl was Lernen, als was Spielen anbelangt. Wie mochte er nur auch dazu kommen, mich so zu lieben? Daß ich ihn liebe, ist kein Wunder, aber daß er mich liebt –«
Der Schulmeister hielt inne und nahm seine Brille herunter, um sie abzuwischen, als ob sie trübe geworden wäre.
»Ich hoffe, es ist doch nichts Unangenehmes vorgefallen, Sir?« fragte Nell besorgt.
»Nicht viel, meine Liebe,« versetzte der Schulmeister. »Ich hoffe, ihn heute Abend auf dem Rasen zu sehen. Er war immer der Vorderste unter ihnen. Oder er wird morgen dort sein.«
»Ist er krank gewesen?« fragte das Kind, mit dem raschen Mitgefühl eines Kindes.
»Nicht sehr. Es heißt, der liebe Knabe habe gestern irre geredet, und man sagt, er habe es auch vorgestern gethan. Doch das kömmt gewöhnlich bei derartigen Krankheiten vor; es ist kein böses Zeichen – durchaus kein böses Zeichen.«
Nell schwieg. Der Schulmeister ging nach der Thüre und sah sehnsüchtig hinaus. Die Schatten der Nacht zogen herauf und Alles war stille.
»Ich weiß, er würde zu mir kommen, wenn er sich nur auf Jemands Arm lehnen könnte,« sagte er, in das Zimmer zurückkehrend. »Er kam immer in den Garten, um mir gute Nacht zu sagen. Aber vielleicht hat seine Krankheit eben erst eine günstige Wendung genommen, und nun ist es zu spät für ihn, herauszukommen, denn es ist bereits feucht und neblig. Jedenfalls ist es viel besser, wenn er heute zu Hause bleibt.«
Der Schulmeister zündete eine Kerze an, machte den Fensterladen zu und schloß die Thüre. Dann blieb er eine Weile stumm fitzen, bis er endlich seinen Hut vom Nagel nahm und sagte, er wolle hingehen und sich selbst überzeugen, wenn Nelly aufbliebe, bis er zurückkomme. Das Kind erklärte sich bereit und der Schulmeister ging aus.
Sie saß eine halbe Stunde, oder auch mehr, da, und fühlte sich gar fremd und einsam an diesem Orte, denn sie hatte den alten Mann bewogen, zu Bette zu gehen, und man hörte nichts als das Picken der alten Wanduhr und das Pfeifen des Windes unter den Bäumen. Als der Schulmeister wieder zurückkehrte, setzte er sich in den Kaminwinkel und verhielt sich daselbst eine geraume Weile schweigend. Endlich wandte er sich an das Mädchen und sagte mit weicher Stimme, er hoffe, sie werde heute Nacht in ihrem Gebete auch eines kranken Kindes gedenken.
»Es gilt meinen Lieblingsschüler!« sagte der arme Schulmeister, seine Pfeife rauchend, welche er anzuzünden vergessen hatte, und mit wehmüthigen Blicken an den Wänden herumsehend. »Es ist eine kleine Hand, die all' dieß geschrieben hat, und nun soll sie unter Krankheit dahinschwinden. Es ist eine sehr, sehr kleine Hand!« 

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