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美国纪行:Aufzeichnungen aus Amerika-8. Kapitel
日期:2017-12-05 09:54  点击:297
Washington. Die Gesetzgebung. Das Haus des Präsidenten
Wir verließen Philadelphia mit dem Dampfboot um sechs Uhr an einem sehr kalten Morgen und wandten uns nach Washington.
Diesen Tag unserer Reise, wie auch bei spätern Gelegenheiten, trafen wir einige Engländer (in der Heimat kleine Pächter vielleicht oder Gastwirte vom Lande), die sich in Amerika angesiedelt hatten und in ihren Geschäften eine kleine Reise machten. Unter allen Gattungen und Klassen von Menschen, die in den öffentlichen Diligencen der Vereinigten Staaten mit einem zusammenstoßen, sind dies oft die unleidlichsten und unausstehlichsten Reisegefährten. Mit den unangenehmsten Eigenschaften, durch die sich die schlimmste Sorte von amerikanischen Reisenden auszeichnet, verbinden diese unsere Landsleute eine Unverschämtheit und kalte Anmaßung, die ganz abscheulich ist. In der groben, zudringlichen Vertraulichkeit und ausforschenden Neugierde, deren sie sich eifrig befleißen – als ob sie sich nicht genug an den alten Schranken des Anstandes und der Sitte in ihrer Heimat rächen könnten –, überbieten sie alles, was ich in der Art von Eingeborenen selbst gesehen habe; und oft, wenn ich diese Leute sah, wurde mein Patriotismus so stark, daß ich gern eine kleine Geldbuße gezahlt hätte, wenn ich irgendeinem andern Land in der Welt hätte die Ehre zuschanzen können, ihr Vaterland zu sein.
Da man Washington als das Hauptquartier der Tabakspucker betrachten kann, muß ich endlich offenherzig gestehen, daß die verhaßte Sitte, Tabak zu kauen und zu spucken, uns jetzt nichts weniger als angenehm wurde; es war beinahe zum Krankwerden. An allen öffentlichen Orten in Amerika ist diese Schweinerei eine sanktionierte Mode. In den Gerichtshöfen hat der Richter seinen Spucknapf, der Ausrufer, der Zeuge und der Angeklagte ebenfalls, und auch für die Geschworenen und die Zuschauer ist gesorgt, als für Leute, die natürlich in einem fort ausspeien müssen. In den Hospitälern werden die Studenten der Medizin durch Anschläge an den Wänden ersucht, ihren Tabaksaft in die dazu aufgestellten Näpfe zu speien und nicht die Treppen zu verunreinigen. In öffentlichen Gebäuden werden Fremde auf dieselbe Weise ersucht, die Essenz ihrer Tabakspriemchen in die National-Spucknäpfe und nicht an die Piedestals oder marmornen Säulen zu speien. Aber in manchen Gegenden findet man diesen Gebrauch bei jeder Mahlzeit, bei jedem Morgenbesuch und überhaupt überall im geselligen Verkehr. Der Fremde, der das gesellschaftliche Leben in derselben Weise beobachtet wie ich, wird in Washington das Speien in voller Blüte, im höchsten Glanze und in all seiner beunruhigenden Rücksichtslosigkeit finden; er glaube ja nicht (wie ich einst tat, zu meiner Schande muß ich es gestehen), daß frühere Touristen in ihren Schilderungen es übertrieben haben. Die Sache an sich selbst ist eine Übertreibung der Unflätigkeit, die nicht übertroffen werden kann.
An Bord dieses Dampfbootes befanden sich zwei junge Gentlemen mit, wie es einmal Mode ist, umgeschlagenen Hemdkragen und sehr dicken Spazierstöcken; sie stellten zwei Stühle in die Mitte des Verdecks ungefähr vier Schritte voneinander auf, nahmen ihre Tabaksdosen hervor und setzten sich einander gegenüber, um das edle Kraut zu kauen. In weniger als einer Viertelstunde hatten diese hoffnungsvollen Jünglinge eine tüchtige Menge gelben Saftes um sich niederregnen lassen, wodurch sie eine Art magischen Kreis bildeten, innerhalb dessen sich niemand wagte und den sie ununterbrochen wieder auffrischten, sobald ein Fleckchen trocken war. Da dies gerade vor dem Frühstück geschah, so verursachte es mir, ich muß gestehen, beinahe Übelkeit; allein da ich aufmerksam einen der Ausspeienden beobachtete, sah ich deutlich, daß er noch ungeübt im Tabakkauen und ihm selbst nicht wohl zumute war. Ich fühlte ein inniges Vergnügen bei dieser Entdeckung, und als ich bemerkte, wie sein Gesicht immer blasser wurde und wie infolge der unterdrückten Übelkeit der Tabaksknäuel hinter seiner linken Wange zitterte, wobei er jedoch im Wetteifer mit seinem älteren Freunde immer ausspie und kaute und wieder ausspie, da hätte ich ihm um den Hals fallen und ihn bitten mögen, noch stundenlang so fortzufahren.
Wir setzten uns alle zu einem behaglichen Frühstück unten in der Kajüte nieder, bei welchem es nicht mehr Eile und Verwirrung gab als bei einer solchen Mahlzeit in England und wo sicherlich die Höflichkeit besser beobachtet wurde als bei den meisten unserer Landkutschenbankette. Ungefähr um neun Uhr kamen wir an der Eisenbahnstation an und fuhren mit dem Wagen weiter. Zu Mittag stiegen wir aus, um wieder auf einem Dampfschiff über einen breiten Fluß zu setzen; wir landeten an einer Fortsetzung der Eisenbahn am andern Ufer und fuhren wieder mit dem Zug weiter, mit dem wir im Laufe der nächsten Stunde über mehr als viertelstundenlange hölzerne Brücken, über zwei Buchten wegfuhren, welche Great und Little Gunpowder hießen. Die Wasserfläche beider war fast ganz überdeckt von schwarzen Enten, die ein delikates Gericht abgeben und in dieser Jahreszeit sich in großer Menge hier aufhalten.
Diese Brücken sind von Holz, haben kein Geländer und just hinreichende Breite für die Überfahrt der Züge, welche beim geringsten Unfall unvermeidlich hinunterstürzen würden. Es sind schreckenerregende Kunstwerke und nehmen sich am besten aus, wenn man sie passiert hat.
Wir blieben in Baltimore, und da wir uns jetzt in Maryland befanden, wurden wir zum erstenmal von Sklaven bedient. Das Gefühl, Dienste von menschlichen Geschöpfen verlangen zu müssen, die gekauft und verkauft werden, war nicht beneidenswert. Die Sklaverei besteht vielleicht in ihrer am wenigsten abstoßenden und gemildertsten Form in einer Stadt wie dieser; aber sie bleibt doch immer Sklaverei; und obwohl ich dabei völlig unschuldig war, erfüllte mich doch ihr Anblick mit einer Art von Scham.
Nach Tische gingen wir wieder zur Eisenbahn, um mit derselben nach Washington zu fahren. Da es noch ziemlich zeitig war, kamen alle Männer und Knaben, die gerade nichts Besseres zu tun hatten und neugierig auf Fremde waren, an den Wagen, in dem ich saß, ließen alle Fenster nieder, steckten Kopf und Schultern herein, stemmten sich dabei ganz bequem auf ihre Ellbogen und stellten mit einer Gleichgültigkeit, als ob ich eine ausgestopfte Figur wäre, Betrachtungen und Vergleiche über mein Äußeres an. Ich bekam nie so ungenierte Aufschlüsse wie bei dieser Gelegenheit über meine Nase und Augen, über den verschiedenen Eindruck, den mein Mund und Kinn auf verschiedene Gemüter mache, und wie mein Kopf von hinten betrachtet aussähe. Einige Gentlemen beruhigten sich nicht eher, als bis sie ihren Tastsinn mit zu Hilfe genommen hatten, und einige der Jungen (die in Amerika erstaunlich frühreif und naseweis sind) waren nicht einmal damit zufrieden, sondern wiederholten ihren Angriff immer wieder von neuem. Wie mancher kleine Präsident in spe kam mit der Mütze auf dem Kopfe und den Händen in den Taschen in mein Zimmer und starrte mich zwei ganze Stunden unaufhörlich an, wobei er sich zur Erholung zuweilen an der Nase zwickte oder einen Schluck aus dem Wasserkrug tat oder an das Fenster ging und andere Knaben auf der Straße unten einlud, heraufzukommen und es ebenso wie er zu machen, indem er rief: »Hier ist er!« – »Kommt herauf!« – »Bringt alle eure Kameraden mit!« und dergleichen gastfreundliche Bitten mehr.
Wir erreichten Washington ungefähr halb sieben Uhr und hatten unterwegs eine reizende Ansicht des Kapitols, eines schönen Gebäudes in korinthischem Stil auf einer weithin herrschenden Anhöhe. Am Hotel angekommen, sah ich an diesem Abend weiter nichts vom ganzen Ort, denn ich war sehr müde und freute mich, ins Bett zu kommen.
Am andern Morgen nach dem Frühstück gehe ich ein paar Stunden durch die Straßen; wieder zu Hause angekommen, mache ich ein Fenster auf und gucke hinaus. Da liegt Washington frisch vor meiner Seele und meinen Blicken.
Man nehme die schlechtesten Teile von City Road und Pentonville [Fußnote] mit all ihren sonderbaren Eigentümlichkeiten, aber besonders mit den kleinen Läden und Wohnungen, welche Möbelhändler, Wirte schäbiger Speisehäuser und Vogelliebhaber daselbst (aber nicht in Washington) bewohnen. Man brenne dies alles nieder, baue es wieder aus Holz und Kalk auf, erweitere es ein wenig, tue einen Teil von St. John's Wood dazu; man hänge an jedes Privathaus grüne Jalousien und in jedes Fenster einen weißen und roten Vorhang; man pflüge alle Straßen auf, pflanze eine Menge groben Rasen überall, wo er nicht hingehört, errichte drei schöne Gebäude aus Stein und Marmor an irgendeiner Stelle, aber je abgelegener, desto besser; das eine nenne man das Postamt, das andere das Patentamt, und das dritte die Schatzkämmerei; man denke sich die Luft des Morgens sengend heiß und des Abends eisig kalt und errege zuweilen einen Tornado von Wind und Staub; man lasse einen Ziegelplatz, jedoch ohne Ziegel, an allen Zentralpunkten stehen, wo man natürlicherweise eine Straße erwartet – und man hat Washington.
Das Hotel, in dem wir wohnen, besteht aus einer langen Reihe kleiner Häuser mit der Front nach der Straße, die hinten einen großen Hof haben, in welchem eine große Triangel hängt. Wird ein Diener verlangt, so tut man einen bis sieben Schläge; je nach der Nummer des Hauses, in welchem er gebraucht wird, auf diese Triangel; und da immer alle Diener verlangt werden, keiner von ihnen aber sich sehen läßt, so ertönt diese erheiternde Maschine den ganzen Tag hindurch. In demselben Hofe wird auch Wäsche getrocknet; Sklavinnen, mit wollenen Tüchern um den Kopf, rennen geschäftig hin und wider, schwarze Aufwärter kommen und gehen, mit Tellern in der Hand; zwei große Hunde spielen auf einem Haufen loser Ziegelsteine in der Mitte des Hofes; ein Schwein liegt nicht weit davon, sonnt sich und grunzt vor Wollust – und weder die Sklavinnen noch die Aufwärter, noch die Hunde, noch das Schwein, noch irgendeine geschaffene Kreatur nimmt die geringste Notiz von der Triangel, welche die ganze Zeit über läutet, daß man toll werden möchte.
Ich gehe ans Vorderfenster und blicke über die Straße auf eine lange, unzusammenhängende Reihe von einstöckigen Häusern; diese endet fast gegenüber, aber ein wenig zur linken, in einem trübseligen, mit dürftigem Gras bewachsenen Plätzchen, welches einem Stück Land gleicht, das sich dem Trunk ergeben und sein früheres Ansehen verloren hat. In einer Stelle dieses offnen Raumes, aber ganz verkehrt steht gleich einem Meteor, der vom Monde gefallen ist, ein einseitiges, einäugiges Ding von hölzernem Gebäude, das wie eine Kirche aussieht, mit einem Flaggenstock, der so lang wie er selbst, aus einem Turme, etwas größer als eine Teekiste, hervorragt. Unter dem Fenster befindet sich ein kleiner Standplatz von Kutschen, deren Sklavenkutscher sich auf den Stufen zu unsrer Tür sonnen und müßig zusammen schwatzen. Die drei aufdringlichsten Häuser in der Nähe sind die drei schlechtesten. Auf dem einen, einem Laden, der nie etwas im Fenster stehen hat und dessen Tür sich niemals öffnet, steht mit großen Buchstaben geschrieben: The City Lunch. In dem andern, das wie der hintere Eingang zu einem Hause aussieht, aber ein besonderes Gebäude für sich ist, kann man Austern jeder Sorte bekommen. In dem dritten, einem ganz kleinen Schneiderladen, werden Hosen nach dem Maß gemacht. Das ist unsere Straße in Washington.
Washington wird zuweilen die »Stadt der großartigen Entfernungen« genannt, doch könnte sie passender die »Stadt der großartigen Absichten« heißen; denn nur wenn man sie von der Spitze des Kapitols aus der Vogelperspektive betrachtet, kann man die hohen Ideen ihres Gründers, eines hochstrebenden Franzosen, verstehen. Breite Avenuen, die im Nichts beginnen und nirgends hinführen, meilenlange Straßen, denen bloß die Häuser, Fahrwege und Einwohner fehlen, öffentliche Gebäude, denen, um vollkommen zu sein, bloß ein Publikum mangelt, und Verzierungen großer Straßen, denen bloß eine große Straße zur Zierde fehlt, sind die Haupteigentümlichkeiten der Stadt. Man möchte fast denken, die Saison sei vorüber und die Häuser samt ihren Bewohnern hätten die Stadt verlassen. Bewunderern von Städten bietet diese Stadt einen schönen Tummelplatz für ihre Phantasie: ein Monument, das einem dahingeschiedenen Projekt errichtet wurde und nicht einmal eine leserliche Inschrift hat, die verschwundene Größe desselben der Nachwelt zu melden.
So wie die Stadt jetzt ist, wird sie wahrscheinlich auch bleiben. Ursprünglich wurde sie zum Sitz der Regierung gewählt, um dadurch die widerstreitenden Interessen und die Eifersucht der verschiedenen Staaten abzuwenden, und sehr wahrscheinlich auch deshalb, weil sie keinen Pöbel hat – ein selbst in Amerika nicht geringzuachtender Gesichtspunkt. Sie hat weder Gewerbe noch eignen Handel, denn außer dem Präsidenten und seiner Haushaltung, den während der Sitzung hier wohnenden Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaft, den in den verschiedenen Departements angestellten Beamten, den Hotel- und Gastwirten und den Händlern, die deren Tafeln versorgen, hat sie wenig oder keine Einwohner. Auch ist die Luft hier sehr ungesund. Sicher werden sich nur wenige in Washington niederlassen, die nicht dazu gezwungen sind; und die Fluten der Auswanderung und Spekulation, diese reißenden, rücksichtslosen Ströme, werden wahrscheinlich niemals einem so stillstehenden unreinen Gewässer zufließen.
Die Hauptvorzüge des Kapitols sind natürlich die zwei Versammlungshäuser. Aber außerdem befindet sich im Mittelpunkt des Gebäudes eine schöne Rotunde von 96 Fuß im Durchmesser und ebensoviel Fuß Höhe, deren kreisförmige Wand in mit historischen Gemälden geschmückte Felder abgeteilt ist. Vier dieser Gemälde haben Hauptbegebnisse des Revolutionskampfes zum Gegenstand. Sie sind von Oberst Trumbull gemalt, der zu jener Zeit selbst Mitglied von Washingtons Stab war, durch welchen Umstand sie ein besonderes Interesse erhalten. Hier ist auch jüngst Mr. Greenoughs große Statue von Washington aufgestellt worden. Sie hat natürlich sehr viel Vorzügliches, doch kam sie mir etwas zu gezwungen und unnatürlich vor. Ich hätte indessen gewünscht, sie in einer bessern Beleuchtung betrachten zu können, denn so wie sie jetzt steht, wird sie sich nie vorteilhaft ausnehmen.
Es befindet sich auch eine sehr schöne und bequeme Bibliothek im Kapitol, und von einem Balkon an der Vorderseite bietet sich dem Auge eine prächtige Aussicht auf die Stadt und ihre Umgegend dar. In einem der verzierten Teile des Gebäudes steht eine Statue der Gerechtigkeit, von welcher der Führer sagt: »Der Künstler hatte anfangs die Idee, mehr Nacktheit zu geben, allein man sagte ihm, daß das öffentliche Gefühl hierzulande dadurch verletzt werden würde, und in seiner Vorsicht ist er vielleicht in das entgegengesetzte Extrem verfallen.« Die arme Gerechtigkeit! man läßt sie in Amerika ganz andere Kleider tragen als die, in welchen sie im Kapitol schmachtet. Wir wollen hoffen, daß sie, seit jene gemacht wurden, ihren Schneider gewechselt und daß das öffentliche Gefühl des Landes nicht gerade jetzt die Kleider ausgeschnitten hat, in die sie ihre liebliche Gestalt hüllt.
Die Repräsentantenkammer ist ein schöner, großer halbkreisförmiger, von Pfeilern gestützter Saal. Ein Teil der Galerie ist für Damen bestimmt; dort sitzen sie auf den Vorderbänken, kommen und gehen wie im Theater oder Konzert. Der Stuhl des Vorsitzenden hat einen Baldachin und ist bedeutend über den Fußboden erhöht. Jedes Mitglied hat einen Lehnstuhl und vor sich ein Schreibpult, was manche Leute für eine höchst unglückselige, unkluge Einrichtung halten, weil sie zu langen Sitzungen und prosaischen Reden veranlaßt. Der Saal nimmt sich für das Auge sehr elegant aus, ist aber ganz besonders schlecht zum Hören eingerichtet. Dem kleineren Senatssaal kann dieser Vorwurf nicht gemacht werden, vielmehr ist dieser dem Gebrauche, zu dem er bestimmt ist, ganz gut angemessen. Die Sitzungen finden, wie ich zu bemerken wohl kaum nötig habe, während des Tags statt, und die parlamentarischen Formen sind dieselben wie im Mutterlande.
Als ich später durch andere Orte kam, wurde ich zuweilen gefragt, ob die Häupter der Gesetzgeber in Washington nicht einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hätten, und man meinte mit dem Worte Häupter nicht etwa ihre vorzüglichsten Redner, sondern buchstäblich ihre individuellen, persönlichen Köpfe, auf denen ihr Haar wuchs und durch welche der phrenologische Charakter jedes Legislators sich ausdrückte. Aber ebensooft erstarrte der mich Fragende vor unwilliger Bestürzung, wenn ich antwortete: »Nein, ich kann mich nicht entsinnen, daß ich hingerissen worden wäre.« Da ich, komme, was da wolle, dieses Geständnis hier wiederholen muß, so will ich auch meine Ansicht hierüber mit so wenig Worten als möglich darlegen.
Erstlich – und dies mag von einer unvollkommenen Entwicklung meines Ehrfurchtsorganes herrühren – entsinne ich mich nicht, beim Anblick einer gesetzgebenden Körperschaft nur einmal ohnmächtig oder zu Tränen freudigen Stolzes gerührt worden zu sein. Ich habe das Unterhaus ertragen wie ein Mann und habe im Oberhaus keiner Schwäche nachgegeben, außer der Schläfrigkeit. Ich habe Wahlen für Städte und Bezirke gesehen und nie den Antrieb gefühlt (gleichviel, welche Partei gewann), meinen Hut zu verderben, indem ich ihn im Triumph in die Luft geworfen, oder mich heiser zu schreien, indem ich irgendein Wort über unsere rühmliche Verfassung, die edle Reinheit unserer unabhängigen Wähler oder die untadelige Rechtschaffenheit unserer unabhängigen Abgeordneten hervorgebrüllt hätte. Da ich so starken Angriffen auf meine Festigkeit widerstanden habe, ist es möglich, daß ich in solchen Sachen von kaltem, fühllosem, eiskaltem Temperament bin; und daher müssen auch die Eindrücke, welche die lebendigen Säulen des Kapitols zu Washington auf mich machten, mit so viel Nachsicht aufgenommen werden, wie dieses freie Bekenntnis zu verlangen scheinen mag.
Sah ich in dieser öffentlichen Vereinigung eine Versammlung von Männern, verbunden im heiligen Namen der Freiheit, welche die keusche Würde dieser Gottheit in allen ihren Diskussionen dergestalt bewahrten und festhielten, daß sie zugleich die ewigen Prinzipien, welchen sie ihren Namen gegeben, und ihren Charakter und den Charakter ihrer Landsleute, vor den bewundernden Augen der ganzen Welt erhöhten?
Nur erst vor einer Woche stand ein silberhaariger Greis, eine dauernde Ehre für das Land, das ihn geboren, der seinem Vaterlande so wie seine Vorfahren gute Dienste geleistet hatte und an den noch lange Jahre, nachdem die Würmer ihn verzehrt haben werden, sich alle erinnern werden – nur vor einer Woche noch stand dieser Greis tagelang zum Verhör vor dieser Versammlung; weil er angeklagt war, die Schändlichkeit jenes fluchwürdigen Handels behauptet zu haben, der mit Männern und Frauen und deren noch ungeborenen Kindern getrieben wird. Ja, und in derselben Stadt sieht man in vergoldetem Rahmen und Glas, überall zur allgemeinen Bewunderung ausgehängt, Fremden nicht mit Scham, sondern mit Stolz gezeigt, mit der Frontseite nicht nach der Wand zugekehrt, auch nicht herabgenommen und verbrannt die einmütige Erklärung der Dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika, welche feierlich bekennt, daß alle Menschen gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit den unveräußerlichen Rechten des Lebens, der Freiheit und des Strebens nach Glück begabt seien!
Vor weniger als einem Monat hatte dieselbe Versammlung ruhig dagesessen und zugehört, wie ein Mitglied, einer von ihnen mit Flüchen, deren sich das gemeinste Lumpenvolk in der Besoffenheit schämen würde, einem Gegner drohte, ihm den Hals abzuschneiden. Und da saß er, in ihrer Mitte, und keine allgemeine Stimme der Entrüstung erhob sich, ihn niederzuschmettern –nein, er blieb ein ehrenwerter Mann wie die andern.
Eine Woche später wurde ein anderes Mitglied dieser Versammlung vor Gericht gestellt, schuldig befunden und von den übrigen verurteilt, weil er seine Pflicht erfüllt gegen diejenigen, die in ihrem Namen und zu ihrer Vertretung ihn hierhergesandt hatten, weil er in einer Republik ihr Recht und ihre Freiheit verfochten hatte, zu sagen, was ihre Meinung war, und ihre Bitten offenkundig zu machen. Seine Schuld war allerdings gar groß; er hatte sich erhoben und gesagt: »In diesem Augenblick zieht eine Kette von Sklaven und Sklavinnen, die zu verkaufen sind und, wie der Verkäufer bürgt, sich wie das liebe Vieh vermehren, durch die offenen Straßen unter den Fenstern eures Tempels der Gleichheit hin! Seht!« Aber das Glück der Menschheit zu erjagen gehen allerhand Jäger aus, und sie sind mit allerhand gar verschiedenen Waffen gerüstet. Manche von ihnen besitzen das unveräußerliche Recht, ihr eigenes Glück sich zum Ziel zu stellen, bewehrt mit der Sklavenpeitsche, dem Block und dem eisernen Halsband, und ihr Hallo (alles zum Lob und Preis der Freiheit) mit der Musik der klirrenden Kette und dem Schall blutiger Hiebe zu begleiten.
Und auf welcher Seite saßen denn die Gesetzgeber mit den gemeinen Drohungen, mit den Schimpfworten und Schlägen, wie sie die Kohlenträger gegenseitig austeilen, wenn sie die Lehren ihrer guten Erziehung vergessen? Auf beiden Seiten. Jede Sitzung veranlaßt Anekdoten dieser Art, und die Akteure, die darin figurierten, waren alle da zu finden.
War es möglich, in dieser Versammlung die Männer wiederzuerkennen, die den Auftrag haben, in einer neuen Welt einige von den Falschheiten und Lastern der alten gutzumachen, welche die Zugänge zur Öffentlichkeit reinigten, die schmutzigen Wege zu Macht und Stellung pflasterten, für das Gemeinwohl Gesetze berieten und erließen und keine Partei kannten als die ihres Vaterlandes?
Ich sah in ihnen das Räderwerk, welches dazu dient, das Gebäude einer tugendhaften Politik auf die schmählichste Weise zu untergraben und umzukehren. Verächtliche Wahlintrigen; verstecktes Gaunerspiel mit bestochenen Beamten; feige Angriffe auf jeden Gegner, bei denen aberwitzige Zeitungen als Schild und gemietete Federn als Dolche dienen; schmachvolle Kriecherei vor feigen Schurken, deren einziges Recht auf Anerkennung sich darauf gründet, daß sie täglich und wöchentlich neuen Samen der Verderbnis aussäen mit ihren käuflichen Typen, die den Drachenzähnen der alten Sage gleichen, nur daß sie nicht so scharf sind; ein Hegen und Pflegen aller bösartigen Gelüste der öffentlichen Meinung, während deren gute Einflüsse durch Gewalt und Hinterlist unterdrückt werden: solche und ähnliche Dinge oder, mit einem Wort, die ehrlose Parteilichkeit in ihrer verderbtesten und schamlosesten Gestalt glotzte aus allen Winkeln der überfüllten Halle hervor.
Sah ich unter ihnen den Verstand und die Bildung, das treue, ehrliche, patriotische Herz Amerikas? Hie und da war ein Tropfen seines Blutes zu sehen, aber der reichte kaum hin, den Strom von verzweifelten Abenteurern zu färben, der nach Gewinn und Sold dahinstürmt. Es ist ein Kunstgriff dieser Leute und ihrer verworfenen Organe, den politischen Streit so roh und bestialisch zu machen, so zerstörend für alles höhere Selbstgefühl, daß alle gemütvollen und edler denkenden Charaktere sich von ihm fernhalten und ihnen und ihresgleichen das Schlachtfeld überlassen, auf dem sie dann ungehindert ihre selbstsüchtigen Zwecke verfolgen. Und so entsteht diese niedrigste aller Katzbalgereien, und jene, die in andern Ländern, ihrer Stellung und Einsicht gemäß, sich am meisten bemühen würden, ihrem Beruf zur Gesetzgebung zu folgen, ziehen sich hier so weit als möglich von diesem erniedrigenden Geschäft zurück.
Daß es trotzdem unter den Volksvertretern in beiden Häusern und unter allen Parteien einige Männer von edlem Charakter und großen Fähigkeiten gibt, brauche ich nicht erst zu sagen. Die hervorragendsten unter diesen Staatsmännern, die man in Europa kennt, sind schon geschildert worden, und ich finde daher keinen Grund, von meinem Vorsatz, keine Persönlichkeit zu berühren, gerade hier abzugehen. Genug, wenn ich hinzufüge, daß ich die günstigsten je über sie gefällten Urteile von ganzem Herzen gern unterschreibe und daß die persönliche Bekanntschaft und der freie geistige Verkehr mit ihnen meine Bewunderung und Ehrfurcht vor ihrem Charakter sehr gesteigert haben. Es sind Männer, deren Anblick imponiert; sie sind schwer zu täuschen, rasch im Handeln, tatkräftig wie die Löwen, Indianer in der Glut ihres Auges und Gebärdenspiels, Crichtons in der Mannigfaltigkeit ihrer Kenntnisse, Amerikaner in der Kraft und Hochherzigkeit ihrer Triebfedern; und sie vertreten die Ehre und Weisheit ihres Vaterlandes zu Hause ebenso gut wie der ausgezeichnete Mann, der jetzt ihr Botschafter am britischen Hofe ist, im Auslande.
Ich habe beide Häuser während meines Aufenthaltes in Washington beinahe täglich besucht. Bei meinem ersten Besuch im Haus der Repräsentanten kämpften sie gegen einen Beschluß des Präsidenten, allein dieser gewann. Das zweite Mal wurde der Gentleman, der eben sprach, durch ein Gelächter unterbrochen; er äffte es nach, wie ein kleiner Junge im Streit mit einem andern tun würde, und meinte noch, er werde die ehrenwerten Herren von der Gegenseite gleich lehren, andere Gesichter zu machen. Unterbrechungen fallen aber selten vor, da man den Sprecher gewöhnlich in Ruhe anhört. Zänkereien sind häufiger als bei uns, und Drohungen werden ausgestoßen, wie sie sonst in keiner gebildeten Gesellschaft unseres Wissens üblich sind; dagegen sind die künstlichen Hühnerhofkonzerte, die man im Parlament des Vereinigten Königreichs von Großbritannien hört, in Amerika noch nicht eingeführt worden. Die beliebteste und gebräuchlichste Redefigur ist die hartnäckige Wiederholung desselben Gedankens oder Schattens von einem Gedanken in andern Worten; und die Nachfrage vor der Türe lautet nicht: »Was hat er gesprochen?«, sondern: »Wie lang hat er gesprochen?« Dies ist jedoch nur eine gründlichere Befolgung eines Grundsatzes, der auch anderswo vorherrscht.
Der Senat ist eine ehrenhafte und würdevolle Körperschaft, und die Verhandlungen werden in großer Ordnung und mit feierlichem Ernst gepflogen. Beide Häuser sind mit hübschen Teppichen belegt; allein der Zustand, in den diese Teppiche durch die allgemeine Ignorierung des Spucknapfes geraten, der jedem der ehrenwerten Mitglieder zur Verfügung gestellt ist, und die außerordentlichen Verschönerungen, die auf dem gewirkten Muster dadurch angebracht werden, daß es von allen Seiten bespritzt und bespien wird, lassen sich gar nicht beschreiben. Ich muß nur bemerken, daß ich jedem Fremden raten will, nicht auf den Fußboden zu sehen; und wenn er vielleicht etwas fallen gelassen hat, sei es auch seine Geldbörse, es um keinen Preis aufzuheben, ohne erst seine Handschuhe anzuziehen.
Es ist, gelinde gesagt, ein merkwürdiges Schauspiel, so viele ehrenwerte Herren mit geschwollenen Backen zu sehen, und es kommt einem nicht minder seltsam vor, wenn man entdeckt, daß diese Geschwulst von der Masse Tabak herrührt, welche sie sehr geschickt in die hohle Backe zu stopfen verstehen. Es ist auch ein seltsamer Anblick, einen ehrenwerten Herrn zu sehen, der mit dem Rücken an der Lehne sich im Sessel wiegt, die Beine auf den Schreibtisch streckt, mit dem Federmesser sich ein passendes Priemchen schneidet und, wenn es fertig ist, das alte aus dem Mund schießt wie aus einer Knallbüchse, um das neue an seiner Statt hineinzupfropfen.
Es überraschte mich zu bemerken, daß selbst alte, erfahrene Tabakkauer nicht immer gute Schützen sind, was mir beinahe an der allgemeinen Geschicklichkeit der Amerikaner im Büchsenschießen, wovon wir in England so viel gehört haben, einen Zweifel einflößen könnte. Mehrere Herren besuchten mich, die im Laufe des Gesprächs den Spucknapf oft auf fünf Schritte verfehlten, und einer (doch der war gewiß kurzsichtig) traf auf drei Schritt die geschlossene Fensterscheibe statt der offenen. Bei einer andern Gelegenheit, als ich außer Hause zu Tische war, saß ich vor dem Diner mit zwei Damen und mehreren Herren ums Feuer, und einer aus der Gesellschaft verfehlte das Feuer sechsmal hintereinander. Ich möchte jedoch annehmen, es rührte daher, daß er nicht gezielt hatte, da sich vor dem Feuereisen ein weißer marmorner Herd befand, der ihm bequemer gelegen war und wohl auch seinem Zweck besser diente.
Das Patentamt in Washington gibt ein außerordentliches Bild von amerikanischem Unternehmungs- und Erfindungsgeist; denn die unermeßliche Anzahl von Modellen, die es enthält, sind das Resultat einer bloß fünfjährigen Sammlung: der ganze, früher angehäufte Reichtum ist durch eine Feuersbrunst vernichtet worden. Die Post ist ein sehr solides und schönes Gebäude. In einer ihrer Abteilungen sind unter andern Seltenheiten und Merkwürdigkeiten die Geschenke niedergelegt, die von Zeit zu Zeit den amerikanischen Gesandten an fremden Höfen von den verschiedenen Potentaten, bei denen sie von Seiten der Republik beglaubigt waren, gemacht worden sind; das Gesetz erlaubt ihnen nämlich nicht, dergleichen Präsente zu behalten. Ich muß gestehen, daß mir dies eine peinliche Ausstellung war, die nach meiner Ansicht für den Nationalbegriff von dem, was Ehre und Ehrbarkeit sind, nichts weniger als schmeichelhaft vorkommt. Das kann kaum ein hoher Grad sittlicher Bildung sein, wo man einen Mann von Ruf und Stellung für fähig hält, sich in der Ausübung seiner Pflicht durch eine geschenkte Schnupftabakdose oder einen reich besetzten Degen oder einen türkischen Schal bestechen zu lassen; und gewiß wird eine Nation, die zu ihren Dienern Vertrauen hat, besser bedient werden als eine, welche ihre Beamten zum Gegenstand eines so niedrigen und kleinlichen Verdachtes macht.
Zu Georgetown, in der Vorstadt, ist ein Jesuitenkollegium, welches köstlich gelegen ist und, soweit ich es beobachten konnte, gut geleitet wird. Viele, die der römisch-katholischen Kirche nicht angehören, benützen, glaube ich, diese Anstalt und die vorteilhafte Gelegenheit, die sie ihnen zur Erziehung ihrer Kinder bietet. Die Anhöhen in der Umgegend, über dem Potomac River, sind sehr pittoresk und auch frei, wie ich denke, von einigen der ungesunden Verhältnisse Washingtons. Die Luft in dieser hohen Region war ganz kühl und erfrischend, während sie in der Stadt brennend heiß war.
Das Palais des Präsidenten wüßte ich, sowohl nach dem Innern wie nach dem Äußern, mit nichts anderem zu vergleichen als mit einem englischen Klubhaus. Ringsum sind hübsche und fürs Auge recht gefällige Gartenwege angelegt; doch haben sie das Unangenehme, daß sie aussehen, als ob sie erst gestern entstanden wären, was der Wirkung von solchen Schönheiten großen Eintrag tut.
Zum erstenmal sah ich dies Haus am Morgen nach meiner Ankunft. Ein Beamter, der die Güte haben sollte, mich dem Präsidenten vorzustellen, führte mich hin.
Wir traten in eine große Vorhalle, und nachdem wir zwei- oder dreimal die Glocke gezogen, ohne daß uns jemand öffnete, gingen wir ohne weitere Umstände durch die Zimmer im Erdgeschoß, gleich mehreren anderen Gentlemen, die meist den Hut auf dem Kopf und die Hände in den Taschen hatten. Manche dieser Herren hatten ihre Frauen mit und führten sie im Hause herum, ihnen die Wirtschaftsgebäude zu zeigen; andere lungerten auf Stühlen und Sofas umher; wieder andere, matt und müde vor Langeweile, gähnten fürchterlich. Der größere Teil der Gesellschaft zeigte bloß seine souveräne Oberherrlichkeit und hatte im Grunde nichts da zu tun. Einige wenige besahen sich sehr genau die Möbel, wie um sich zu überzeugen, ob der (nichts weniger als populäre) Präsident nicht etwas vom Hausgerät, welches als öffentliches Gut am Hause haftet, beiseite geschafft oder zum Besten seiner Privatkasse verkauft habe.
Wir warfen nur einen flüchtigen Blick auf diese Herren und Damen, die teils in einem größern Staatsgemach, der orientalische Salon genannt, teils in einem auf eine Terrasse gehenden Saal sich umhertrieben, wo man einer schönen Aussicht auf den Strom und die Umgegend genoß, und gingen die Treppen hinauf nach einem Zimmer, wo sich die auf Audienz wartenden Gäste befanden. Ein Schwarzer in gewöhnlicher Kleidung und gelben Pantoffeln schlurfte geräuschlos hin und her und flüsterte den Ungeduldigeren seinen Bescheid ins Ohr; als er jedoch meinen Führer erblickte, gab er ihm ein Erkennungszeichen und schlüpfte fort, um uns zu melden.
Wir hatten vorher in einen anderen Raum hineingeblickt, der ringsum ganz mit einem großen, leeren hölzernen Pult oder Schreibtisch möbliert war, worauf Stöße von Zeitungen lagen, mit denen sich mehrere Herren unterhielten. Solchen Zeitvertreib gab es aber in diesem Zimmer nicht, welches so langweilig und trostlos war, wie nur irgendein Vorzimmer in einem unserer öffentlichen Amtsgebäude oder das Gesellschaftszimmer eines Doktors der Medizin in einer seiner Ordinationsstunden sein kann.
Es befanden sich etwa fünfzehn oder zwanzig Personen im Zimmer. Der eine war ein hoher, drahtfester, muskulöser alter Mann aus dem Westen, sonnverbrannt und schwarz, mit einem braunweißen Hut auf und einem riesengroßen Sonnenschirm zwischen den Knien; er saß kerzengerade auf seinem Stuhl, blickte fortwährend finster auf den Teppich und verzog die harten Linien um seinen Mund, als nähme er sich vor, dem Präsidenten tüchtig die Wahrheit zu sagen. Ein Landmann aus Kentucky, sechs Fuß sechs Zoll hoch, lehnte mit dem Hut auf dem Kopf und den Händen hinter den Rockschößen an der Wand und stampfte mit dem Stiefelabsatz auf den Fußboden, als hätte er die Zeit unter seinem Fuß und wollte sie buchstäblich totschlagen. Der dritte war ein gallig aussehender Mann mit ovalem Gesicht, schlicht anliegenden schwarzen Haaren und glatt rasiert, bis auf die bläuliche Bartspur; er hatte einen dicken Stock im Mund, den er zuweilen herausnahm, um den Knopf anzusehen. Ein vierter pfiff, und ein fünfter spuckte in einem fort. In letzterem Punkte waren übrigens sämtliche Gentlemen so ausdauernd fleißig und so rücksichtsvoll für den Teppich, daß ich glaube, die Mägde des Präsidenten müssen einen hohen Wochenlohn oder, vornehmer zu reden, eine große »Entschädigung« bekommen; denn dies ist der amerikanische Ausdruck für Geld und Lohn bei allen Staatsbediensteten.
Wir hatten kaum einige Minuten in diesem Zimmer zugebracht, da kam der schwarze Bote wieder und führte uns in ein zweites kleineres Gemach, wo an einem mit Papieren überdeckten Arbeitstisch der Präsident selbst saß. Er sah etwas abgemattet und sorgenvoll aus, und er hatte wohl Grund dazu, da er sich mit aller Welt herumschlagen muß – doch war der Ausdruck seines Gesichtes mild und freundlich und sein Benehmen außerordentlich natürlich, angenehm und kultiviert. Seine ganze Art und Haltung schien seiner Stellung durchaus angemessen.
Die Etikette, welche an einem republikanischen Hofe herrscht, ist, sagte man mir, so vernünftig, daß sie einem Fremden, wie ich bin, eine Einladung zum Diner abzulehnen gestattet, ohne daß er damit eine Unschicklichkeit begeht. Da ich überdies zu meiner Abreise bereits alle Vorkehrungen getroffen hatte, konnte ich die Einladung zum Diner, die ich auf einen Tag erhielt, wo ich schon fort sein wollte, um so weniger annehmen und kam daher nur einmal noch in das Haus des Präsidenten. Es war bei Gelegenheit einer jener großen Gesellschaften, die zu bestimmten Perioden zwischen neun und zwölf Uhr abends gegeben werden und seltsamerweise Levers heißen.
Ich kam mit meiner Frau ungefähr um zehn Uhr. Im Hofe stand eine ziemlich dichte Masse Equipagen und Menschen, und soviel ich erkennen konnte, hatte man für das Aus- und Einsteigen, das Vorfahren und Abfahren usw. durchaus keine bestimmte Ordnung vorgeschrieben. Es waren keine Polizisten da, um scheue Pferde zu beruhigen, entweder sie am Zügel hin und her zerrend oder mit den Stöcken ihnen um den Kopf sausend, wie es bei uns Mode ist; und doch kann ich darauf schwören, daß kein Unschuldiger durch einen heftigen Schlag auf den Kopf oder etwa durch einen derben Stoß in die Herzgrube und den Rücken oder durch sonst ein sanftes Mittel zum Stehen gebracht und dann, weil er sich nicht vom Fleck rühren wollte, arretiert wurde. Jedenfalls herrschte nicht die geringste Verwirrung oder Unordnung. Unser Wagen fuhr vor, als die Reihe an ihm war, ohne Lärm, ohne Fluchen, Schreien und Zurückstoßen von irgendeiner Seite, und wir stiegen so bequem und in Ruhe aus, als ob wir die ganze Polizeimacht der Hauptstadt von A bis Z zu unserer Bedeckung mitgehabt hätten.
Alle Räume zu ebener Erde waren erleuchtet, und in der Vorhalle spielte eine Militärkapelle. In dem kleinern Salon, im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Kreises, befanden sich der Präsident und seine Schwiegertochter, eine sehr anmutige und interessante Dame, die als Dame des Hauses die Honneurs machte. Ein Gentleman, der zu dieser Gruppe gehörte, schien das Amt des Zeremonienmeisters übernommen zu haben. Andere Salon- und Hausoffizianten waren nicht zu sehen und auch nicht nötig.
Der große Salon, den ich schon einmal erwähnte, und die übrigen Zimmer im Erdgeschoß waren zum Erdrücken vollgestopft. Die Gesellschaft war nicht gewählt in unserem Sinn des Wortes, denn es gab darunter Leute von jedem Stand und jeder Sorte; auch sah man wenig Putz und Aufwand; manche Gäste waren sogar in einem ziemlich grotesken Kostüm erschienen. Allein das anständige und würdige Benehmen, welches allgemein beobachtet wurde, störte kein unangenehmer oder roher Zwischenfall, und jedermann, selbst unter dem gemischten Zuschauerhaufen, der ohne Billetts oder besondere Erlaubnis in die Halle gelassen wurde, schien zu fühlen, daß er zum Ganzen gehöre und mit dafür verantwortlich sei, daß es den ihm geziemenden Charakter behalte und im vorteilhaftesten Licht erscheine.
Diese Gäste aber, welchem Stande sie auch angehören mochten, waren durchaus nicht ohne einen gewissen feineren Geschmack und wußten sehr wohl und mit großer Dankbarkeit die Talente jener Männer zu schätzen, die auf dem friedlichen Wege des Geistes neue Reize ihrem Vaterland verleihen und den Charakter ihres Volkes in fremden Ländern zu Ehren bringen. Dies sah ich deutlich an der Aufnahme, die meinem teuern Freund Washington Irving zuteil wurde, der, jüngst zum Gesandten am spanischen Hof ernannt, sich an jenem Abend in seiner neuen Eigenschaft hier zum ersten und letzten Male zeigte, ehe er nach Spanien ging. Ich glaube gewiß, bei aller politischen Raserei der Amerikaner, würden doch nur wenige öffentliche Charaktere mit so aufrichtiger, so ehrfurchtsvoller und liebevoller Teilnahme empfangen worden sein wie dieser anziehende und graziöse Schriftsteller; und ich fühlte selten eine größere Hochachtung vor einer öffentlichen Gesellschaft als vor diesem gedrängten Haufen, da ich sah, wie sie einmütig sich von geräuschvollen Rednern und Staatsbeamten wegwandten, um sich mit großherziger und edler Begeisterung um den Mann des ruhigen Strebens zu scharen: stolz auf seine Erhebung, die, wie sie fühlten, einen Glanz auf sie selbst zurückwirft, und von ganzem Herzen dankbar für den Schatz von reizenden Erfindungen und Phantasiebildern, die er über sie ausgestreut. Möge er solche Kleinode noch lang mit vollen Händen ausstreuen, und mögen sie auch noch lang so würdig seiner gedenken!
Die Frist, die wir für unsern Aufenthalt in Washington festgelegt hatten, war nun abgelaufen, und wir sollten anfangen zu reisen; denn die Strecken, die wir bisher auf der Eisenbahn zurückgelegt, werden auf diesem großen Kontinent für so viel wie nichts angesehen.
Anfangs hatte ich beabsichtigt, gegen Süden zu reisen – nach Charleston. Doch wenn ich die lange Zeit bedachte, die uns diese Reise kosten würde, die vorzeitige Hitze der Jahreszeit, welche schon zu Washington oft sehr lästig geworden war, und wenn ich das peinliche Gefühl erwog, beständig das Schauspiel der Negersklaverei vor Augen zu haben: da fing ich lieber an, den alten Sagen zu lauschen, die in England, als ich noch nicht daran dachte, jemals hierherzukommen, mir in die Seele flüsterten, und von den Städten zu träumen, die, gleich den Palästen im Feenmärchen, mitten unter den Wildnissen und Wäldern des Westens emporwachsen.
Freilich erhielt ich fast überall, wo ich mich dieser neuen Reise wegen erkundigte, den trostlosesten Bescheid und die entmutigendsten Ratschläge; meiner Gefährtin prophezeite man mehr Gefahren und Unannehmlichkeiten, als ich mir merken konnte oder mochte; genug, das geringste, was uns drohte, war, daß wir mit jedem Dampfboot in die Luft gesprengt werden und mit jeder Kutsche den Hals brechen würden. Da mir jedoch die beste und gütigste Autorität, an die ich mich hätte wenden können, meine Route nach Westen aufzeichnete, so schenkte ich jenen Entmutigungen keinen zu großen Glauben und beschloß die baldige Ausführung meines Planes.
Dieser Plan war, gegen Süden bloß bis Richmond in Virginia zu reisen und von da uns nach dem fernen Westen zu wenden, wohin ich den freundlichen Leser mich zu begleiten bitte. 

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11/28 11:26