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狄更斯小说:小杜丽-Zweiunddreißigstes Kapitel. Mehr Wahrsagerei.
日期:2017-11-15 10:56  点击:221
Maggy saß in ihrer großen weißen Haube mit der Masse undurchsichtiger Krausen, die verbargen, was sie an Profil hatte (sie hatte keinen Überfluß daran), an ihrer Arbeit, und ihr dienstfähiges Auge besorgte an der Fensterseite des Zimmers ihre Geschäfte. Durch ihre schlaff herabhängende Haube und ihr dienstunfähiges Auge aber war sie ganz geschieden von ihrem Mütterchen, das auf der entgegengesetzten Seite, entfernt vom Fenster, saß. Die Tritte und das Geschlürfe der Füße auf dem Pflaster des Hofes hatten sich bedeutend vermindert, seit der Präsidentenstuhl besetzt worden war, da die Flut der Kollegen sich stark nach der Richtung der Geselligkeit bewegte. Einige wenige, die keine Musik in ihrem Herzen oder kein Geld in ihren Taschen hatten, trieben sich noch umher, und das alte Schauspiel weiblicher Besuche und niedergedrückter, noch nicht abgelagerter Gefangener war noch immer in Ecken und Winkeln zu sehen, wie sich zerrissene Spinngewebe und dergleichen unscheinbare Trostlosigkeiten in Ecken und Winkeln anderer Orte im Staub herumziehen. Es war die ruhigste Zeit, die das Kollegium kannte, mit Ausnahme der Nachtstunden, wenn die Kollegen sich der Wohltat des Schlafes erfreuten. Das dann und wann hörbare Beifallsgerassel auf den Tischen der Snuggery deutete den glücklichen Schluß eines Stückes Festprogramms oder die entsprechende Aufnahme eines Toastes oder eines Trinkspruchs des Vaters von seiten der versammelten Kinder an. Bisweilen belehrte ein sonorer Gesang, der hier an der Tagesordnung war, den Zuhörer, daß ein prahlerischer Baß auf der blauen See, oder auf der Jagd, oder hinter einem Renntier her, oder auf den Bergen, oder in der Heide war; aber der Marschall des Marshalsea wußte es besser und hielt ihn hinter Schloß und Riegel fest. Als Arthur Clennam sich näherte, um sich neben Klein-Dorrit zu setzen, zitterte sie so sehr, daß sie Mühe hatte, ihre Nadel festzuhalten. Clennam legte sanft die Hand auf ihre Arbeit und sagte: »Liebe Klein-Dorrit, lassen Sie mich das weglegen.«
Sie ließ es zu, und er legte die Arbeit beiseite. Ihre Hände waren ängstlich ineinander geschlungen, aber er nahm eine derselben.
»Wie selten habe ich Sie in letzter Zeit gesehen, Klein-Dorrit!«
»Ich war beschäftigt, Sir!«
»Aber ich hörte erst heute«, sagte Clennam, »durch einen reinen Zufall, daß Sie bei den guten Leuten dicht neben mir waren. Warum besuchten Sie mich nicht?«
»Ich – ich weiß nicht. Oder vielmehr, ich dachte, auch Sie würden viel beschäftigt sein. Sie sind es doch jetzt gewöhnlich, nicht wahr?«
Er sah ihre zitternde kleine Gestalt und ihr gesenktes Gesicht und die Augen im selben Augenblick wieder niedergeschlagen, in dem sie sich zu den seinigen erhoben – er sah sie beinahe mit ebenso viel Unruhe wie Zärtlichkeit an.
»Mein Kind, Ihr Wesen ist so verändert!«
Nun ihres Zitterns nicht mehr Herr, entzog sie ihm sanft ihre Hand, legte sie in die andere und saß mit gesenktem Haupt vor ihm, während ihre ganze Gestalt zitterte.
»Meine liebe Klein-Dorrit«, sagte Clennam teilnahmsvoll.
Sie brach in Tränen aus. Maggy sah sich plötzlich um und betrachtete sie wenigstens eine Minute; aber sie mischte sich nicht darein. Clennam wartete einen kurzen Augenblick, ehe er wieder sprach.
»Ich kann es nicht ertragen«, sagte er dann, »Sie weinen zu sehen: aber ich hoffe, das wird ein übervolles Herz erleichtern.«
»Gewiß, Sir. Ganz gewiß!«
»Nun, nun! Ich fürchtete, Sie würden sich's zu sehr zu Herzen nehmen, was soeben hier vorgegangen. Es ist von keiner Bedeutung; nicht der geringsten Bedeutung. Ich bedaure nur, eine Störung gemacht zu haben. Lassen Sie es mit diesen Tränen vergessen sein. Es ist nicht eine einzige wert. Nicht eine einzige! Solch eine nichtige Sache sollte, mit meiner freudigen Zustimmung, fünfzigmal des Tages wiederholt werden, wenn Ihnen der Schmerz eines Augenblicks damit erspart würde, Klein-Dorrit.«
Sie hatte jetzt Mut gefaßt und antwortete weit mehr in ihrer gewöhnlichen Weise: »Sie sind so gut! Aber wenn auch nichts sonst dabei wäre, worüber man sich zu grämen oder zu schämen hätte, es ist eine so schlechte Vergeltung –«
»Ach wo!« sagte Clennam lächelnd und berührte ihre Lippen mit seiner Hand. »Vergessen bei Ihnen, die Sie so mancherlei und so treu in Ihrem Gedächtnis bewahren, wäre wahrlich neu. Soll ich Sie daran erinnern, daß ich nichts anderes bin und nie war als der Freund, dem Sie zu trauen versprachen? Nun, Sie erinnern sich dessen, nicht wahr?«
»Ich suche es zu tun, sonst hätte ich das Versprechen eben jetzt gebrochen, als mein im Irrtum befindlicher Bruder hier war. Sie werden in Betracht ziehen, daß er hier erzogen worden, und werden den armen Jungen, ich weiß es, nicht hart beurteilen!« Indem sie bei diesen Worten ihre Augen erhob, betrachtete sie sein Gesicht noch näher als bisher und sagte mit einer lebhaften Änderung des Tones: »Sie waren doch nicht unwohl, Mr. Clennam?«
»Nein.«
»Haben Sie vielleicht Kummer und Sorgen? Wurden von der Welt verletzt?« fragte sie ihn besorgt.
Clennam wußte in diesem Augenblick seinerseits nicht, was er antworten sollte. Endlich erwiderte er:
»Aufrichtig gesagt, ich hatte einigen Kummer, aber es ist vorüber. Zeige ich es denn so offen? Ich sollte mehr Charakterstärke und Selbstbeherrschung besitzen. Ich glaubte, ich hätte sie. Ich muß das von Ihnen lernen. Wer könnte es mich besser lehren?«
Er hätte nie gedacht, daß sie in seinem Innern sehe, was niemand sonst sehen konnte. Er dachte nie, daß in der ganzen Welt je Augen seien, die mit demselben Licht und derselben Stärke wie die ihren auf ihn sähen.
»Aber das führt mich auf etwas, was ich sagen wollte«, fuhr er fort, »und deshalb will ich mit meinem Gesicht nicht hadern, daß es Geschichten erzählt und mir ungetreu ist. Auch ist es ein Privilegium und ein Vergnügen für mich, auf meine Klein-Dorrit zu vertrauen. Lassen Sie mich Ihnen denn gestehen, daß ich, vergessend, wie gesetzt ich war, und wie alt ich war, und wie die Zeit für solche Dinge bei mir mit den vielen eintönigen und wenig glücklichen Jahren, in denen sich mein langes Leben verzehrte, ohne eine Spur zurückzulassen, – daß ich, all dies vergessend, mir einbildete, ich liebe jemanden.«
»Kenne ich sie, Sir?« fragte Klein-Dorrit.
»Nein, mein Kind.«
»Nicht die Dame, die um Ihretwillen freundlich gegen mich war?«
»Flora. Nein, nein. Dachten Sie –«
»Ich dachte das nie so eigentlich,« sagte Klein-Dorrit, mehr zu sich selbst, als zu ihm. »Ich wunderte mich immer ein wenig darüber.«
»Nein!« sagte Clennam, in das Gefühl versunken, das ihn in jener Allee zur Nacht der Rosen ergriffen hatte, das Gefühl, daß er ein älterer Mann sei, der mit dieser sentimentalen Periode des Lebens abgeschlossen: »Ich habe meinen Irrtum erkannt, und ich dachte ein wenig – ja, ziemlich viel – darüber nach und wurde klüger. Klüger geworden, zählte ich meine Jahre und betrachtete, was ich bin, und sah rückwärts und sah vorwärts und fand, daß ich bald grau werden würde. Ich fand, daß ich den Hügel erklommen und die Hochebene hinter mir habe und nun rasch hinabsteige.«
Wenn er gewußt, welch herben Schmerz er dem geduldigen Herzen verursachte, als er so sprach! Und er tat es doch mit der Absicht, sie zu beruhigen und ihr zu dienen.
»Ich fand, daß der Tag, wo irgend etwas der Art in mir wertvoll, oder gut, oder Hoffnung erweckend, oder glückbringend für mich, oder irgend sonst etwas hätte durch mich sein können, untergegangen ist und mir nie wieder leuchten wird.«
O, wenn er gewußt, wenn er gewußt hätte! Wenn er den Dolch in seiner Hand und die grausamen Wunden hätte sehen können, die er in die treue blutende Brust seiner Klein-Dorrit wühlte!
»All das ist vorbei, und ich habe mein Gesicht davon abgewandt. Warum spreche ich davon mit Klein-Dorrit? Warum zeige ich Ihnen, mein Kind, die Kluft von Jahren, die zwischen uns ist, und erinnere Sie daran, daß ich um die ganze Summe von Jahren, die Sie zählen, älter bin als Sie?«
»Weil Sie mir hoffentlich vertrauen. Weil Sie wissen, daß nichts Sie berühren kann, was nicht auch mich berührt. Daß nichts Sie glücklich oder unglücklich machen kann, was nicht auch mich, die Ihnen zu so großem Dank verpflichtet ist, glücklich oder unglücklich machte.«
Er vernahm das Zittern in ihrer Stimme, sah den Ernst in ihrem Gesicht, sah in ihre klaren, wahren Augen, sah den bewegten Busen, der sich freudig vor ihm niedergeworfen hätte, um den Todesstoß, der auf seine Brust gezückt war, mit dem sterbenden Ausruf: »Ich liebe ihn!« zu empfangen, und auch die entfernteste Ahnung der Wahrheit tauchte nicht in ihm auf. Nein. Er sah dies hingebende, kleine Geschöpf mit ihren abgetragenen Schuhen, in ihrer dürftigen Kleidung, in ihrer Gefängnisheimat; ein schwaches Kind an Leib, eine starke Heldin an Seele: und das Licht ihrer häuslichen Geschichte ließ ihm alles andere dunkel erscheinen.
»Aus diesem Grunde allerdings, Klein-Dorrit, aus keinem andern. So entfernt, so verschieden und so viel älter, bin ich um so besser zu Ihrem Freund und Ratgeber geeignet. Ich glaube, man kann mir um so leichter vertrauen; und jeder kleine Zwang, den Sie vor einem andern fühlen, kann vor mir verschwinden. Warum sind Sie so fern von mir geblieben? Sagen Sie mir.«
»Ich bin besser hier. Mein Platz ist hier, hier kann ich nützen. Ich bin weit besser hier«, sagte Klein-Dorrit halblaut.
»So sagten Sie an jenem Tag auf der Brücke. Ich dachte später oft daran. Haben Sie mir kein Geheimnis anzuvertrauen, dessen Mitteilung Ihnen Hoffnung und Beruhigung einflößte?«
»Geheimnis? Nein, ich habe kein Geheimnis«, sagte Klein-Dorrit in einiger Verlegenheit.
Sie sprachen leise miteinander; mehr, weil es natürlich war, zu dem, was sie sich mitteilten, diesen Ton anzuschlagen, als weil sie besorgt gewesen, es vor Maggy, die an ihrer Arbeit saß, geheimzuhalten. Plötzlich sah Maggy sie starr an und sagte jetzt:
»Höre! Mütterchen!«
»Ja, Maggy.«
»Wenn du ihm kein Geheimnis von dir selbst zu sagen hast, so erzähle ihm das von der Prinzessin. Sie hat ein Geheimnis, weißt du.«
»Die Prinzessin hat ein Geheimnis?« sagte Clennam etwas überrascht. »Was für eine Prinzessin war das, Maggy?« »Na, na! Wie Sie das alles untereinander bringen«, sagte Maggy, »und fassen das arme Ding von zehn Jahren. Wer sagte denn, daß die Prinzessin ein Geheimnis hat? Ich habe das nicht gesagt.«
»Ich bitte um Entschuldigung. Ich meinte, Sie sagten das.«
»Nein, ich nicht. Wie kann ich auch, da sie es war, die verlangte, daß man es enträtsle? Die kleine Frau war es, die das Geheimnis hütete, und sie spann immer an ihrem Rade. Und da sagt sie zu ihr, warum bewahrst du es da? Und da sagt die andere zu ihr, nein, ich tue es nicht; und so sagt die andere zu ihr, ja, du tust es; und dann gehen sie beide zu dem Speiseschrank, und da ist es. Und sie wollte nicht ins Hospital gehen, und so starb sie. Du weißt, Mütterchen, erzähle ihm das. Und es war gar ein schönes rechtes Geheimnis, das!« rief Maggy sich selbst umarmend.
Arthur sah Klein-Dorrit bittend an, daß sie es ihm verstehen helfe, was Maggy gesagt hatte, und war betroffen, da er sie verlegen und rot werden sah. Als sie ihm jedoch sagte, daß es nur eine Feengeschichte sei, die sie eines Tages für Maggy ersonnen, und daß nichts darin, was sie sich schämen würde, jedem wieder zu erzählen, wenn sie sich derselben erinnern könnte, ließ er die Sache auf sich beruhen.
Er begann dagegen wieder von seiner eigenen Sache zu sprechen und bat sie zuerst, ihn öfter zu besuchen und nicht zu vergessen. Er sagte, daß niemand ein größeres Interesse an ihrem Wohlergehen nehme als er und mehr bereit sei, es zu fördern, als er. Als sie lebhaft antwortete, sie wisse das wohl, sie habe das nie vergessen, berührte er den zweiten und zarteren Punkt – den Verdacht, der in ihm aufgestiegen war.
»Klein-Dorrit«, sagte er, indem er ihre Hand nahm und leiser sprach, als er bisher gesprochen, so daß selbst Maggy in dem kleinen Zimmer ihn nicht hören konnte, »noch ein Wort. Ich habe sehr verlangt, Ihnen dies zu sagen: ich habe nur auf eine Gelegenheit gelauert. Achten Sie nicht auf mich, der den Jahren nach Ihr Vater oder Ihr Oheim sein könnte. Betrachten Sie mich immer als einen alten Mann. Ich weiß, daß all Ihre Hingebung sich auf diesen Raum beschränkt und daß nichts bis ans Ende Sie je von den Pflichten, die Sie hier erfüllen, abbringen wird. Wenn ich dessen nicht gewiß wäre, würde ich Sie schon früher gebeten haben und Ihren Vater gebeten haben, mir zu erlauben, Ihnen an einem passenderen Ort eine Stellung zu verschaffen. Aber Sie haben vielleicht ein Interesse – ich will nicht sagen, obwohl auch das möglich ist – haben vielleicht später einmal ein Interesse für sonst jemanden, ein Interesse, das mit Ihrer Liebe hier nicht unvereinbar ist.«
Sie wurde sehr, sehr blaß und schüttelte schweigend den Kopf.
»Es ist vielleicht doch der Fall, liebe Klein-Dorrit.«
»Nein, nein, nein.« Sie schüttelte nach jeder langsamen Wiederholung des Wortes den Kopf mit einem Ausdruck ruhiger Verzweiflung, dessen er sich noch lange erinnerte. Die Zeit kam, wo er sich noch lange nachher innerhalb dieser Gefängnismauern, ja innerhalb dieses Zimmers selbst daran erinnerte.
»Aber wenn es je so wäre, so sagen Sie es mir, mein liebes Kind, vertrauen Sie mir die Wahrheit an, bezeichnen Sie mir den Gegenstand solchen Interesses, und ich werde mit allem Eifer, aller Verehrung, Freundschaft und Achtung, die ich für Sie, gute Klein-Dorrit, in meinem Herzen nähre, versuchen, Ihnen einen dauernden Dienst zu erweisen.«
»Ich danke Ihnen, danke Ihnen! Nein, nein, nein!« Sie sagte das, indem sie die von der Arbeit mageren Hände ineinander legte und ihn ansah, mit demselben resignierten Ton wie zuvor.
»Ich dringe auf kein Geständnis in diesem Augenblick. Ich bitte Sie nur, ein rückhaltloses Vertrauen in mich zu setzen.«
»Kann ich weniger tun als das, während Sie so gut gegen mich sind?«
»So werden Sie Ihr volles Vertrauen in mich setzen? Werden keinen geheimen Kummer, keine Besorgnis mir verheimlichen?«
»Beinahe keine.«
»Und Sie haben jetzt keinen Kummer?«
Sie schüttelte den Kopf. Aber sie war sehr blaß.
»Wenn ich zur Nacht mich niederlege, und meine Gedanken schweifen – wie dies der Fall sein wird, da sie es jede Nacht tun, auch wenn ich Sie nicht gesehen – nach diesem traurigen Ort zurück, darf ich dann glauben, daß hier in diesem Zimmer und unter seinen gewöhnlichen Bewohnern kein Kummer weilt, der an Klein-Dorrits Herzen nagt?«
Sie schien nach diesen Worten zu haschen – was er sich gleichfalls lange nachher erinnerte – und sagte heiterer: »Ja, Mr. Clennam; ja. Sie dürfen das!«
Die schwache Treppe, die gewöhnlich nicht faul war, bemerklich zu machen, wenn jemand hinauf- oder hinabging, ächzte jetzt unter einem raschen Tritt, und man vernahm noch ein weiteres Geräusch auf ihr; als wenn eine kleine Dampfmaschine mit mehr Dampf, denn sie zu verbrauchen weiß, nach dem Zimmer sich hinarbeitete. Als sie nahte, was sie sehr rasch tat, arbeitete sie mit vergrößerter Energie. Nachdem an die Tür gepocht worden, glaubte man zu hören, wie sie sich herabbeugte und in das Schlüsselloch hineinschnaubte.
Ehe Maggy die Tür öffnen konnte, stand Mr. Pancks, der sie von außen geöffnet hatte, ohne Hut und mit dem bloßen Kopf in wilder Unordnung auf der Schwelle und sah Clennam und Klein-Dorrit über ihre Schulter an. Er hatte eine angezündete Zigarre in seiner Hand und brachte Bier- und Tabakgeruch mit sich.
»Pancks der Zigeuner«, sagte er außer Atem, »beim Wahrsagen.«
Er stand mit einer ungemein seltsamen Miene da, lächelte schmutzig und atmete ihnen ins Gesicht. Er sah aus, als wenn er, statt seines Eigentümers Ausjäter, der triumphierende Eigentümer des Marschallgefängnisses, des Marschalls, aller Schließer und aller Kollegen wäre. In seiner großen Selbstzufriedenheit brachte er die Zigarre an seine Lippe (er war sichtlich kein Raucher) und nahm, während er das rechte Auge zu diesem Zweck fest schloß, einen solchen Zug, daß er krampfhaft zusammenfuhr und schauerte. Aber auch mitten in diesem Krampf suchte er noch seine Lieblingsweise sich vorzustellen zu wiederholen: »Pa–-ancks, der Zi–geuner, beim Wahr–sagen.«
»Ich bringe den Abend mit den andern zu«, sagte Pancks. »Ich habe gesungen. Ich habe eine Partie ›weißen Sand und grauen Sand‹ gemacht. Ich verstehe nichts davon, tut nichts. Ich mache bei allem mit. Es ist alles eins, wenn man nur laut genug ist.«
Anfangs glaubte Clennam, er sei berauscht. Aber er bemerkte bald, daß, wenn ihm auch etwas schlimmer (oder besser) durch das Bier geworden, der Sturm seiner Aufregung nicht aus Malz gebraut oder aus irgendeiner Beere oder einem Korn destilliert war.
»Wie geht es Ihnen, Miß Dorrit?« sagte Pancks. »Ich dachte, Sie würden nicht übelnehmen, wenn ich hier auf einen Augenblick vorspreche. Mr. Clennam, hörte ich von Mr. Dorrit, sei hier. Wie geht es Ihnen, Sir?«
Clennam dankte ihm und sagte, er freue sich, ihn so heiter zu sehen.
»Heiter!« sagte Pancks. »Ich bin in herrlicher Gesellschaft, Sir. Ich kann keinen Augenblick bleiben, sonst vermißt man mich, und ich will nicht, daß man mich vermisse – hm, Miß Dorrit?«
Er schien ein unersättliches Vergnügen daran zu finden, sie anzureden und sie anzusehen, während sein Haar zu gleicher Zeit starr in die Höhe stand wie die Federn einer dunklen Art von Kakadu.
»Ich bin noch nicht eine halbe Stunde hier. Ich wußte, daß Mr. Dorrit im Präsidentenstuhl sitzt, und ich sagte: Ich will gehen und ihn unterstützen. Ich sollte eigentlich im Hof zum blutenden Herzen drunten sein: aber ich kann sie morgen quälen. – Hm, Miß Dorrit?«
Seine kleinen schwarzen Augen funkelten elektrisch. Sein Haar sogar schien Funken zu sprühen, wenn er durch dasselbe strich. Er war in einem so aufgeregten Zustande, daß man hätte glauben können, er werde Funken und Schläge von sich geben, wenn man einen Muskel an irgendeinen Teil seines Körpers halte.
»Eine Kapitalgesellschaft hier«, sagte Pancks. – »Nicht wahr, Miß Dorrit?«
Halb fürchtete sie sich vor ihm, halb war sie unentschlossen, was sie sagen sollte. Er lachte und nickte Clennam zu.
»Seien Sie seinetwegen unbesorgt, Miß Dorrit. Er ist einer von den Unsrigen. Wir kamen überein, daß Sie vor den Leuten mich nicht kennen sollten. Aber wir meinen damit nicht Mr. Clennam. Er ist einer von den Unsrigen, Er hält zu uns. Nicht wahr, Mr. Clennam? – Hm, Miß Dorrit?«
Die Aufregung dieses seltsamen Menschen war nahe daran, sich auf Clennam zu übertragen. Klein-Dorrit sah dies mit Verwunderung und bemerkte, daß sie lebhafte Blicke wechselten.
»Ich machte eine Bemerkung«, sagte Pancks, »aber ich erkläre, daß ich vergesse, was es war. Oh, ich weiß! Eine Kapitalgesellschaft hier. Ich habe sie sämtlich bewirtet. – Hm, Miß Dorrit?« »Sehr freigebig von Ihnen«, versetzte sie, indem sie wieder einen der lebhaften Blicke zwischen den beiden bemerkte.
»Keineswegs«, sagte Pancks. »Sprechen Sie nicht davon. Ich komme in mein Eigentum, das ist die Sache. Ich kann gut freigebig sein. Ich denke, ich will sie bewirten. Die Tische werden im Hof gedeckt. Brot in Haufen. Pfeifen in Bündeln. Tabak in Heulasten. Roastbeef und Plumpudding für jeden. Ein Quart Doppelbier für den Kopf. Ein Viertel Wein dazu, wenn sie Lust haben und die Vorgesetzten es erlauben. – Hm, Miß Dorrit?«
Sie war durch sein Benehmen oder vielmehr durch Clennams wachsendes Verständnis seines Wesens so verwirrt (denn sie sah ihn nach jeder neuen Anrede und Kakadudemonstration des Mr. Pancks wieder an), so daß sie nur ihre Lippen zur Antwort bewegte, aber kein Wort hervorbrachte.
»Ja, ja, nach und nach!« sagte Pancks. »Sie sollen es erleben, daß Sie es sehen, was hinter uns auf Ihrer kleinen Hand ist. Das werden, das werden Sie, mein Liebling. – Hm, Miß Dorrit?«
Er hielt plötzlich inne. Woher er all die schwarzen Zinken bekam, die jetzt an seinem Kopf emporstarrten wie die Myriaden Spitzen, die im letzten Augenblick eines großen Feuerwerks hervorbrechen; das war ein unerklärliches Geheimnis.
»Aber man wird mich vermissen«, sagte er, darauf zurückkommend, »und ich möchte nicht, daß man mich vermißt. Mr. Clennam, Sie und ich machten einen Pakt. Ich sagte, Sie sollen finden, daß ich fest daran halte, und Sie werden finden, daß ich jetzt fest daran halte, Sir, wenn Sie einen Augenblick mit mir hinaus vor das Zimmer kommen wollen. Miß Dorrit, ich wünsche Ihnen gute Nacht. Miß Dorrit, ich wünsche Ihnen viel Glück.«
Er schüttelte ihr rasch beide Hände und fuhr die Treppen hinunter. Arthur folgte ihm so eilig, daß er auf dem letzten Absatz beinahe über ihn gestolpert wäre und ihn in den Hof hinausgeschleudert hätte.
»Was gibt es, um des Himmels willen?« fragte Arthur, als sie beide hinausstürzten.
»Warten Sie einen Augenblick, Sir. Mr. Rugg. Erlauben Sie mir, daß ich ihn vorstelle.«
Mit diesen Worten stellte er einen Mann vor ohne Hut, auch mit einer Zigarre, und gleichfalls mit einem Bier- und Tabakgeruch. Dieser Mann befand sich, obgleich nicht aufgeregt wie er selbst, in einem Zustand, der mit der Mondsucht verwandt gewesen, wenn er nicht im Vergleich zu Mr. Pancks' Ausschweifung nüchtern erschienen wäre.
»Mr. Clennam, Mr. Rugg«, sagte Pancks. »Warten Sie einen Augenblick. Kommen Sie zu der Pumpe.«
Sie begaben sich nach der Pumpe. Mr. Pancks hielt augenblicklich seinen Kopf unter die Röhre und bat Mr. Rugg tüchtig zu pumpen. Da Mr. Rugg seinen Wunsch wörtlich erfüllte, so kam Mr. Pancks schnaubend und blasend darunter hervor und trocknete sich mit seinem Taschentuch ab. »Ich sehe jetzt um so klarer«, fauchte er Clennam an, der erstaunt dastand. »Aber, auf Ehre, ihren Vater Reden im Präsidentenstuhl halten zu hören, wahrend wir wissen, was wir wissen, und sie droben in einem solchen Zimmer, in einem solchen Kleid zu sehen, während wir wissen, was wir wissen, das ist genug, und – geben Sie mir noch eins in den Nacken, Mr. Rugg, – etwas höher, Sir – das wird recht sein!«
Dann und hier, auf diesem Pflaster des Marschallgefängnisses, in der Abenddämmerung, flog Mr. Pancks, in eigener Person, über Kopf und Schultern von Mr. Rugg von Pentonoille, dem Generalagenten, Rechnungsführer und Schuldeneintreiber. Als er wieder auf seine Füße herabkam, nahm er Clennam am Knopfloch, führte ihn hinter die Pumpe und brachte keuchend ein Bündel Papiere aus der Tasche. Rugg brachte gleichfalls keuchend ein Bündel Papiere aus der Tasche.
»Ha!« sagte Clennam flüsternd. »Sie haben eine Entdeckung gemacht?« –
Mr. Pancks antwortete salbungsvoll, wie sie keine Sprache wiederzugeben vermag: »Wir glauben, ja.«
»Wird jemand dadurch kompromittiert?«
»Wie kompromittiert?«
»Durch eine Unterdrückung oder eine schlechte Handlung irgendwelcher Art?«
»Keineswegs.«
»Gott sei Dank!« sagte Clennam bei sich. »Nun, zeigen Sie mir.«
»Sie müssen wissen«, schnaubte Panck«, fieberhaft die Papiere entfaltend, indem er in kurzgestoßenen Sätzen sprach: »Wo ist der Stammbaum? Wo ist das Verzeichnis Nummer vier, Mr. Rugg? Ja, ganz recht! Hier sind wir. – Sie müssen wissen, daß wir eben heute tatsächlich fort sind. Rechtlich werden wir's erst in zwei bis drei Tagen sein. Nehmen Sie höchstens eine Woche an. Wir waren, ich weiß nicht wie lange, Tag und Nacht bei der Sache. Mr. Rugg, Sie wissen, wie lange. Tut nichts zur Sache. Brauchen's nicht zu sagen. Sie wollen mich nun verwirren. Sie werden es ihr sagen, Mr. Clennam. Aber nicht eher, als bis wir es Ihnen erlauben. Wo ist die rohe Bilanz, Mr. Rugg? Oh! Hier sind wir. Da, mein Herr. Das ist's, was Sie ihr zu eröffnen haben. Dieser Mann ist Ihr Vater des Marschallgefängnisses.« 

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