Um das Jahr 1585 herrschte in seinem Lande ein mächtiger König, welcher eine wunderschöne Tochter hatte. Eines Tages ließ dieser König bekanntmachen, daß derjenige, welcher seine dreihundert wilden Feldhasen einen Tag lang hüten könne, ohne einen zu verlieren, seine Tochter zur Frau bekommen werde; wenn aber am Abend ein einziges Stück fehle, müsse der Hasenhirte am Galgen baumeln. Gar viele edle Jünglinge versuchten, die Prinzessin zu erringen, jedoch keinem gelang es, die dreihundert Hasen zu hüten, und alle mußten ihren Wagemut mit dem Leben bezahlen.
Zur Zeit lebte ein reicher Kaufmann mit seinen drei Söhnen, von denen die beiden älteren stolz und hochmütig, während der jüngste freundlich und gutmütig war, aber freilich nicht danach aussah, als ob er das Pulver erfunden hätte. Sein Vater und seine beiden Brüder mochten ihn daher nicht leiden, foppten ihn bei jeder Gelegenheit und immer mußte er als Sündenbock herhalten. Als die Kunde, wie die Königstochter zu erobern wäre, auch zu ihnen drang, trat der älteste Sohn vor seinen Vater und sprach: „Vater, laßt mich ziehen, ich möchte die dreihundert Hasen hüten, damit ich die Prinzessin zur Frau bekomme und König werde." „Wenn Du glaubst, lieber Sohn, in der Fremde Dein Glück zu machen, so geh' in Gottes Namen", sagte der Vater, „wie viel willst Du Reisegeld?" „Gebt mir dreihundert Gulden, Vater, und ein gutes Pferd." Der Vater gab ihm die gewünschte Summe Geldes und ließ ihm sein schönstes Pferd satteln. Hierauf nahm der Sohn Abschied, bestieg das Pferd und ritt von dannen. Gegen Abend kam er zu einem Flusse, über den eine Brücke führte. Hier stand neben dem Zollhäuschen ein kleines Wirtshaus. Hungrig und durstig vom langen Ritt, kehrte er ein und übernachtete daselbst. Am ändern Morgen setzte er die Reise fort und bezahlte der Zöllnerin das Brückengeld. „Ihr wollt zum König, die dreihundert Hasen hüten?" fragte ihn die Zöllnerin, die eine Wahrsagerin und in allen Zauberkünsten wohl bewandert war. „Ja, das will ich", erwiderte stolz der Kaufmannssohn und ritt über die Brücke. Am anderen Ufer des Flusses kam er in einen großen Wald. Mitten in demselben traf er ein zweites Wirtshaus. Als man darin von den Fenstern aus des Reiters ansichtig wurde, traten aufgeputzte Frauenzimmer heraus und luden ihn ein, bei ihnen einzukehren. Er ließ sich das nicht zweimal sagen, stieg vom Pferde und betrat, umringt von den jubelnden Dirnen das Wirtshaus. Hier waren lauter wüste, bezechte Gesellen beisammen und getanzt wurde „wie der Lump am Stecken". Drei Tage lang hatte er sich hier gütlich getan, als er sah, daß das ganze Reisegeld verpraßt war. Hierauf verkaufte er sein Pferd und seinen Mantel. Als auch der Erlös davon verzecht war, wurde er von der sauberen Gesellschaft zum Haus hinaus-geworfen. Nun mußte er zu Fuß weiterwandern. Als er endlich in das Königsschloß kam, ließ er sich zum König führen und verlangte die dreihundert Hasen zu hüten. „Ihr könnt die Hasen haben", sagte der König, „aber wisset, wenn Ihr einen einzigen verliert, ist es Euer Tod." „O, so dumm bin ich nicht, daß ich einen verlöre", war die Antwort. Nun ließ ihm der König die dreihundert Hasen zeigen und ihn auch in das Gewölbe führen, wo all die Galgen standen, an denen die unglücklichen Hasenhüter baumelten. Trotz alledem ließ sich der Kaufmannssohn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Da versah man ihn mit einer Hirtentasche, welche Käse und Brot enthielt, ließ dann die dreihundert Hasen aus dem Stalle, die sofort in den nahen Wald rannten und dort den Blicken entschwanden. Der Kaufmannssohn machte sich hinterdrein und brachte den ganzen Tag im Walde zu. Am Abend wollte er die Hasen zusammentreiben, aber, o Schreck, er bekam nicht drei Stück zusammen. Als er nun ohne die Hasen ins Schloß zurückkehrte, wurde mit ihm kurzer Prozeß gemacht und er ohneweiters aufgehängt.
Nachdem der Kaufmann die Kunde von dem traurigen Geschick seines ältesten Sohnes erhalten hatte, wollte das Wagestück der zweite Sohn versuchen und verlangte von seinem Vater ein Pferd und zweihundert Gulden Reisegeld. Vergeblich hatte der Kaufmann versucht, seinen Sohn zurückzuhalten, und ließ ihn endlich ziehen. Es erging ihm aber wie seinem älteren Bruder, und er bezahlte das Wagnis gleichFalls am Galgen mit seinem Leben.
Da nun auch der zweite Sohn nicht mehr ins Vaterhaus zurückkehrte, bat der jüngste Sohn Hans seinen Vater um ein Pferd und hundert Gulden Reisegeld, er möchte gleichalls zum König und versuchen, die Hasen zu hüten. „Du dummer Bub", sagte der Vater, „wenn Deine beiden klugen Brüder das Kunststück, die dreihundert wilden Feldhasen zu hüten, nicht zuwege brachten, wie sollte es da so einem einfältigen Burschen, wie Du einer bist, gelingen?", ließ ihn aber doch ziehen und gab ihm die hundert Gulden Reisegeld und ein Pferd. Hans ritt fort und kam abends zu der Brücke, wo das Wirtshaus und das Zöllnerhäuschen standen. Im Wirtshaus mußte er übernachten und setzte ändern Tags die Reise fort. Der Zöllnerin bezahlte er das Brückengeld, welches für das Pferd elf und für ihn selbst zwei Kreuzer betrug. Da er keine kleine Münze besaß, legte er ihr einen Taler hin. Sie wollte denselben wechseln, er aber sagte, sie solle diese Kleinigkeit nur behalten. „Vergelts Gott tausendmal", sagte die Alte, „Ihr seid ein guter Herr, ich werde Euch dafür wahrsagen: Ihr habt bisher keine guten Tage gehabt, denn Euer Vater und die Brüder sind hart und lieblos gegen Euch gewesen, aber ich sage Euch, Ihr werdet noch glücklich werden in Zukunft; nur möchte ich Euch vor dem nächsten Wirtshaus im Walde gewarnt haben, haltet Euch nicht lange dort auf, es ist ein schlimmes Lumpenpack darin." Hans versprach, der Warnung zu gedenken, und ritt über die Brücke in den Wald hinein. Nach mehreren Stunden anstrengenden Rittes erreichte er das Wirtshaus, woselbst es wieder zuging, als ob Kirmes wäre. Die Weibsbilder kamen ihm entgegen und luden ihn unter Scherzen und Lachen ein, mit ihnen zu tanzen und lustig zu sein. Um sich und seinem Rößlein die nötige Stärkung und Rast zu gönnen, kehrte er ein und nahm einen Imbiß. Hierauf erhob er sich und wollte sogleich wieder aufbrechen, jedoch man versuchte, ihn zurückzuhalten und dazu zu verleiten, noch länger in der Schenke zu verweilen; er aber machte sich mit Gewalt von dieser Gesellschaft los und bestieg sein Pferd. Weiter und immer weiter ritt er, bis er das Schloß des Königs erreichte. Dort angekommen, ließ er sich sogleich beim König melden. Als dieser den Hans vor sich sah, meinte er lächelnd zu seiner Tochter: „Der sieht mir nicht aus, als ob er die dreihundert Hasen hüten könnte." „Ach", flüsterte die Prinzessin erschrocken ihrem Vater zu, „sorgt, daß er an den Galgen kommt, ich will nicht seine Gattin werden." „Habe keine Sorge, meine liebe Tochter, wir werden's schon machen, warum sollte denn das Kunststück gerade dem Dümmsten gelingen", tröstete sie der König. „Also Du willst die dreihundert Hasen hüten", redete er den Ankömmling an. „Ja, Herr König", sagte Hans, „aber zuerst möchte ich mein Pferd verkaufen." Darauf der König: „Gut, was verlangst Du dafür?" Hans erwiderte, „zweihundert Gulden würde wohl nicht zuviel sein". Da es ein schönes Pferd war, kaufte es ihm der König um den geforderten Preis ab. Nun sagte Hans: „Jetzt gebt mir eine Schleuder, einen Mantel und einen breiten Hut!" Der König ließ ihm das Gewünschte verabfolgen und ihm auch die Hirtentasche mit Brot und Käse füllen. Hierauf führte man ihn zum Hasenstall, öffnete die Türe und ließ die dreihundert Hasen ins Freie. Husch, rannten alle wie besessen dem Walde zu. „Das geht gut an", dachte sich Hans, als er im Augenblick nur noch zehn, dann drei, dann noch einen und bald gar keinen Hasen mehr sah. Alle waren im Walde den Blicken entschwunden. Trotzdem verlor Hans den Mut nicht und ging den Hasen nach. Mitten im Walde kam er zu einem Brunnen, wo er seinen Hut mit Wasser füllte und damit seinen Durst löschte. Da er auch großen Hunger verspürte, setzte er sich nieder, nahm aus der Hirtentasche Brot und Käse heraus und fing zu essen an. Auf einmal stand ein altes Weiblein vor ihm. „Jetzt kommt Ihr grad recht, haltet fleißig mit und laßt es Euch schmecken", redete sie Hans freundlich an. Das Weiblein lehnte jedoch bescheiden ab, er solle sich zuerst selbst sattessen, wenn dann noch etwas übrig bleibe, so nehme sie es gerne an. Der gute Hans ließ aber nicht nach, das Weiblein mußte mithalten. Als die einfache Mahlzeit beendet war, gab ihm die Alte, welche niemand anderer als die Zöllnerin war, sich ihm jedoch unkenntlich gemacht hatte, ein Pfeiflein und sagte, daß, wenn er damit pfeife, alle dreihundert Hasen zu ihm herliefen und sich um ihn versammelten. Darauf war sie verschwunden. Neugierig, ob ihn die Alte nicht zum Narren habe, wollte Hans die Sache versuchen und blies in das Pfeiflein. Da, o Wunder, allsogleich kamen die Hasen haufenweis dahergerast, sammelten sich um Hans herum und waren so zahm wie junge Kätzchen. „So", sagte Hans befriedigt, „jetzt macht nur, daß ihr wieder fortkommt, es ist noch zu früh zum Heimgehen", und die Hasen stoben davon. Als der Abend gekommen war, nahm er das Pfeiflein wieder zur Hand, ein Pfiff, darauf ein Rauschen und Knacken, und alle dreihundert wilden Feldhasen waren zu Stelle und gingen schön reihenweise, vier und vier, vor dem Hans her, dem Schlosse zu. Der König sah ihn schon von weitem mit all seinen Hasen daherkommen. „Der kann auch mehr als Birnen sieden", dachte er sich kopfschüttelnd und rief seine Tochter herbei. Die Prinzessin erschrak nicht wenig, als sie die Hasen erblickte. „Vater, lieber Vater", jammerte sie, „laßt ihn doch schleunig aufhängen!" „Das geht jetzt nicht, mein Kind, ich habe mein Wort gegeben und darf es nicht brechen, aber wir werden ihn schon überlisten." Als Hans mit seiner Hasenherde in den Schloßhof eingezogen kam, sagte er zum König, welcher gleichfalls in den Schloßhof kam: „Herr König, da habt Ihr alle dreihundert Hasen, gebt mir also Eure Tochter zur Frau!" „Gemach, lieber Hans", erwiderte der König, „Du wirst sie schon bekommen, aber wir können die Hochzeit nicht sogleich halten, es müssen noch entfernte Fürstlichkeiten zu diesem Feste geladen werden. Wolltest Du nicht unterdessen noch einige Tage die Hasen hüten?" „O ja, das kann ich schon machen", sagte Hans und ging am ändern Morgen wieder mit den Hasen in den Wald. Beim Brunnen nahm er Brot und Käse aus der Tasche und labte sich am frischen Quell. Jetzt stand die Alte von gestern wieder vor ihm, und Hans lud sie abermals zum Mitessen ein. Während sie beisammensaßen und aßen, erzählte er ihr, daß er die Hasen noch einige Tage hüten müsse. „Mein guter Hans, paßt auf, man will Euch überlisten; wenn man Euch einen Hasen abkaufen will, gebt ihn ja nicht her!" warnte die Alte und war verschwunden.
Alsbald kam die Köchin des Königs zu Hans in den Wald mit dem Bescheid, sie brauche einen Hasen, er müsse auf Befehl des Königs zum Hochzeitsmahl hergerichtet werden. „Da wird nichts d'raus", erwiderte Hans, „die Hasen gehören jetzt mir, wenn ich sie abends dem König übergeben habe, dann kannst Du meinetwegen Hasen haben so viel Du willst." Die Köchin mußte also ohne einen Hasen ins Schloß zurückkehren. Darauf sandte der König seinen Diener zu Hans in den Wald. Dieser fuhr ihn barsch an: „Was fällt Euch ein, den Befehl des Königs so zu mißachten, gebt mir sofort einen Hasen oder Ihr werdet der verdienten Strafe nicht entgehen!" Aber unerschrocken anwortete Hans: „Ich gebe um's Leben keinen Hasen her, jetzt gehören sie mir, da hilft Euch nichts." Da nun auch der Diener nichts ausgerichtet und von Hans keinen Hasen erhalten hatte, wurde die Prinzessin immer besorgter und wußte sich vor Angst kaum zu fassen. Nun entschloß sich der König, auf seinem Esel selbst zu Hans in den Wald zu reiten. „Geht's nicht mit Strenge, geht's vielleicht mit Güte", dachte sich der König. Im Walde bei Hans angekommen, klopfte er diesem herablassend auf die Schulter und sagte zu ihm: „Ich brauche sofort drei Hasen für die Tafel, sei doch nicht so einfältig und gib sie her; schau, da habe ich einen Korb mitgenommen, hier sperrst Du sie hinein." Endlich willigte Hans ein, dem König drei Hasen zu geben, aber nur unter einer Bedingung. „Also laß' hören, was Du willst", sagte der König. „Ihr müßt Eurem Esel da den Schwanz aufheben und ihm zweiundsiebzigmal ins Loch blasen", erwiderte Hans. Das war freilich für den König ein starkes Stück, aber der geängstigten Tochter zuliebe, bequemte er sich schließlich doch dazu. Hans hatte sich hinter den König gestellt und zählte. Als dieser zweiundsiebzigmal geblasen hatte, brachte ihm Hans die verlangten drei Hasen und sperrte sie in den Korb, welcher am Sattel des Esels befestigt war. Darauf schwang sich der König in den Sattel und ritt, arglistig lächelnd, dem Schlosse zu. Hans aber, nicht faul, zog sein Pfeiflein aus der Tasche und tat einen Pfiff. Augenblicklich sprangen die drei im Korbe eingeschlossenen Hasen aus demselben heraus und liefen zu Hans zurück, ohne daß es der König bemerkte. Die Prinzessin spähte nach ihrem Vater aus und harrte mit banger Erwartung auf seine Rückkehr. Endlich erblickte sie ihn und sah ihn von ferne ihr zuwinken. Hoffnungsfreudig eilte sie ihm entgegen. „Nun bin ich vom dummen Hans befreit", jubelte sie und hoffte nun, dem Manne ihrer Wahl, einem schönen Prinzen, die Hand zum ewigen Bunde reichen zu können. Aber, wer beschreibt ihr Entsetzen, als sie in den Korb guckte und keine Hasen darin sah. Der König stand gleichfalls wie versteinert da, als er den Deckel des Korbes öffnete und statt der Hasen nur drei Hasenbollen darin waren.