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大卫·科波菲尔 58. Kapitel Unterwegs
日期:2017-07-21 10:57  点击:232
Eine lange finstere Nacht hüllte mich ein, von den Gespenstern teuerer Erinnerungen, vieler Irrtümer, mancher Sorge und Reue belebt.
Ich verließ England und erfaßte selbst da noch nicht, wie groß der Verlust war, den ich zu tragen hatte. Ich verließ alle, die mir lieb waren, und ging fort und glaubte, daß ich es überstanden hätte. Wie ein Soldat auf dem Schlachtfelde die Todeswunde empfängt und kaum weiß, daß er getroffen ist, so hatte ich, mit meinem ungeschulten Herzen jetzt allein gelassen, keinen Begriff von dem Schmerz, den es zu bekämpfen galt.
Die Erkenntnis kam über mich nicht schnell, sondern ganz langsam und allmählich. Das Gefühl der Öde, mit dem ich ins Ausland ging, wurde von Stunde zu Stunde weiter und tiefer. Zuerst war es der unbestimmte Druck von Gram und erlittenem Verlust, dann wurde es unmerklich ein hoffnungsloses Bewußtsein alles dessen, was ich verloren – Liebe, Freundschaft, Lust am Leben –, alles dessen, was zertrümmert war, – meines ersten Vertrauens, meiner ersten Liebe, des ganzen Luftschlosses meines Lebens, alles dessen, was mir blieb: – ein ödes, leeres Dasein, das mich umfing wie eine Wüste, soweit der dunkle Horizont reichte.
Wenn mein Gram egoistisch war, so wußte ich es wenigstens nicht. Ich trauerte um mein kindisches Frauchen, das so jung die blühende Welt hatte verlassen müssen. Ich trauerte um den, der sich die Liebe und Bewunderung von Tausenden hätte erwerben können, wie er sich die meine gewonnen vor langer Zeit. Ich trauerte auf meiner Wanderung um das gebrochene Herz, das Ruhe gefunden im stürmischen Meer, und die zertrümmerte Familie, in deren Mitte ich als Kind den Nachtwind hatte klagen hören.
Ich hatte keine Hoffnung mehr, mich aus diesem Trübsinn je wieder herausreißen zu können. Ich schweifte von Ort zu Ort und trug meinen Schmerz wie eine Bürde mit mir überall hin. Ich fühlte seine ganze Last und härmte mich ab unter ihr und sagte mir in meinem Herzen, daß sie nie leichter werden könnte.
Als meine Schwermut ihren Höhepunkt erreicht hatte, glaubte ich, ich würde sterben, und kehrte zuweilen um auf meinem Wege, um in meine Heimat zu reisen. Dann wieder fuhr ich weiter von Stadt zu Stadt und suchte, ich weiß nicht was.
Meine Träume lassen sich nur unvollkommen und unbestimmt beschreiben. Ich sehe mich gleich einem Träumer dahinwandeln durch die Sehenswürdigkeiten fremder Städte, – Paläste, Kirchen, Tempel, Gemälde, Schlösser, Gräber, phantastische Straßen, – alte Wohnstätten der Geschichte und der Sage –, die Last meines Grams überall mit mir herumtragend und kaum wissend, wie die Dinge vor mir kamen und gingen. Gleichgültigkeit gegen alles außer jenen brütenden Schmerz war die Nacht, die sich auf mein ungeschultes Herz senkte.
Monatelang reiste ich mit dieser immer dunkler werdenden Wolke über meiner Seele. Irgendwelche Gründe, nicht nach Hause zurückzukehren, die ich mir vergeblich klarzumachen suchte, ließen mich meine Pilgerfahrt fortsetzen. Ruhelos von Ort zu Ort wandernd, verweilte ich nie lange an ein und derselben Stelle. Nirgends hatte ich ein Ziel oder einen Gedanken, der mich aufrechthielt.
 
Ich war in der Schweiz. Ich kam aus Italien über einen der großen Alpenpässe und wanderte mit einem Führer in den Seitentälern der Gebirge umher. Was diese furchtbare Einsamkeit zu meinem Herzen gesprochen hat, weiß ich nicht. Ich habe Wunder und Erhabenheit gesehen in den schauerlichen Höhen und Abgründen, in den tosenden Wasserfällen, Eis– und Schneewüsten, aber weiter lehrten sie mich nichts.
Ich kam eines Abends vor Sonnenuntergang in ein Tal, wo ich die Nacht über bleiben wollte. Während ich auf dem vielgewundnen Pfad hinabstieg, überkam mich langentwöhntes Gefühl für Schönheit und Ruhe, und ein durch den Frieden der Umgebung erweckter, Milderung bringender Einfluß regte sich leise in meiner Brust. Ich weiß noch, daß ich einmal stehenblieb, erfüllt von einer Art Schmerz, die gar nicht erdrückend und nicht verzweifelt war. Fast hoffte ich, es könnte sich noch mit mir zum Bessern wenden.
Ich erreichte das Tal, als die Abendsonne auf die fernen, schneebedeckten Gipfel schien. Der Fuß der Berge war üppig grün, und hoch darüber wuchsen Wälder schwarzer Tannen, wie Keile in die winterliche Schneefläche eindringend und den Lawinen entgegengestemmt. Steile Wände, grauer Fels, schimmerndes Eis und samtene Rasenflächen erhoben sich Reihe um Reihe darüber, bis sie allmählich in den die Gipfel krönenden Schnee übergingen. Hie und da an den Berglehnen zerstreut, jeder winzige Fleck ein Heim, lagen vereinzelte hölzerne Hütten, durch den Anblick der ragenden Gipfel so zwerghaft verkleinert, daß sie zu winzig für ein Spielzeug erschienen. So auch das Dörfchen im Tal mit der Holzbrücke, unter der der Gebirgsbach über Felsentrümmer sprang und tosend weiter unter den Bäumen dahineilte. Durch die stille Luft ertönte ferner Gesang – Hirtenstimmen –, und mitten an der Berglehne hin schwebte eine einzelne lichte Abendwolke, daß ich fast hätte glauben können, das Singen käme von dort und sei keine irdische Musik ... Ganz plötzlich aus diesem Frieden sprach die Natur zu mir, mein müdes Haupt auf den Rasen zu legen und zu weinen, wie ich seit Doras Tod noch nicht geweint hatte.
Ich fand ein Paket Briefe für mich vor und ging außerhalb des Dorfs spazieren, um sie zu lesen, während man das Abendessen fertig machte. Andere Briefsendungen hatten mich verfehlt, und lange hatte ich keine Nachricht aus der Heimat bekommen.
Ich hielt das Paket in der Hand; ich öffnete es und erblickte Agnes' Handschrift.
Sie fühlte sich glücklich, war vollauf beschäftigt und hatte den Erfolg, auf den sie gehofft. Das war alles, was sie von sich schrieb. Das Übrige bezog sich auf mich.
Sie gab mir keinen Rat, stellte mir keine Pflicht vor Augen, sie sagte mir nur in der ihr eignen innigen Weise, welche Hoffnungen sie auf mich setzte. Sie wüßte, sagte sie, Prüfungen und Kummer würden meinen Charakter nur stärken, – sie sei sicher, daß der Schmerz, den ich hatte ertragen müssen, meinem ganzen Streben nur eine festere und höhere Richtung geben würde. Sie sei so stolz auf meinen Ruhm und so überzeugt, daß er noch wachsen würde, und wisse bestimmt, ich werde weiter arbeiten.
Wie die schweren Tage meiner Kinderjahre mich zu dem gemacht, was ich war, so müßten mich die größern Leiden jetzt befähigen noch emporzusteigen. Sie wies mich an Gott, der meinen Liebling in sein Reich genommen, gedachte in schwesterlicher Liebe immer meiner, stolz auf das, was ich bereits vollbracht, aber noch unendlich stolzer darauf, was mir zu tun noch vorbehalten wäre.
Ich steckte den Brief in meine Brusttasche und dachte: was warst du vor einer Stunde noch! Als ich die Stimmen verklingen hörte, die goldne Abendwolke grau werden und alle Farben im Tal verbleichen und den schimmernden Schnee auf dem Gipfel zu einem Teil des Nachthimmels werden sah, da fühlte ich die Nacht von meiner Seele weichen und alle Schatten sich klären und fand keinen Namen für die Liebe, die mir von da an teuerer war als je zuvor.
Ich las ihren Brief viele Male. Ich schrieb an sie noch vor dem Schlafengehen. Ich sagte ihr, wie nötig ich ihren Beistand gehabt und ohne sie nie das geworden wäre, für das sie mich halte. Und daß ich versuchen wollte, mich aufzuraffen.
Und ich versuchte es. In drei Monaten jährte sich der Tag meines Leides. Ich beschloß vor Ablauf dieser Zeit keinen festen Entschluß zu fassen, aber den Versuch zu machen. Ich blieb die ganze Zeit über in diesem Tal und seiner Nachbarschaft.
Als die drei Monate um waren, beschloß ich noch einige Zeit von Hause wegzubleiben und mich vorderhand in der Schweiz, die mir durch die Erinnerung an jenen Abend wert geworden war, niederzulassen, um die Feder zur Hand zu nehmen und zu arbeiten.
Ich suchte die Natur auf und suchte nie vergebens; ich ließ in meine Brust die menschlichen Interessen, die ich in letzter Zeit zurückgedrängt hatte, wieder einziehen. Es dauerte nicht lange, so hatte ich fast so viele Freunde im Tal wie in Yarmouth, und als ich es vor Anbruch des Winters verließ, um nach Genf zu ziehen, und im Frühling zurückkehrte, hatten ihre herzlichen Begrüßungen einen heimischen Klang für mich.
Ich arbeitete früh und spät, geduldig und angestrengt. Ich schrieb einen Roman, dessen Inhalt nahezu meinen eignen Erlebnissen entsprang, und schickte ihn an Traddles, der seine Veröffentlichung unter sehr vorteilhaften Bedingungen für mich besorgte; und Nachrichten vom Wachsen meines Rufs begannen mich durch Reisende, die ich zufällig traf, zu erreichen. Nach einiger Rast und Zerstreuung machte ich mich wieder in meiner alten eifrigen Weise an ein neues Werk, das mich auf das lebhafteste beschäftigte. Je weiter ich damit vorrückte, desto mehr wuchs mein Interesse daran, und ich strengte meinen Geist aufs äußerste an, um es so gut wie möglich zu vollenden. Das war mein dritter Roman, und in einer Ruhepause dachte ich ans Nachhausereisen.
Seit langer Zeit hatte ich mich trotz eifrigen Studierens und Arbeitens an kräftige Leibesübung gewöhnt. Meine bei der Abreise aus England ernstlich angegriffene Gesundheit war wieder ganz hergestellt. Ich war in vielen Ländern gewesen, hatte viel gesehen und meine Kenntnisse vervollkommnet.
Ich habe von dieser Reisezeit alles, was ich für notwendig hielt, erzählt – mit einem Vorbehalt. Ich habe es nicht mit der Absicht getan, irgend etwas von meinen Gedanken zu verheimlichen, denn wie ich bereits sagte, ist diese Erzählung meine niedergeschriebene Erinnerung. Ich wünschte nur die geheime Seite meines Innern bis zuletzt aufzusparen. Ich gehe nun darauf ein.
Ich kann das Geheimnis meines Herzens nicht so vollständig durchdringen, als daß ich wissen könnte, wann ich zu denken begann, ich hätte meine frühesten und herrlichsten Hoffnungen auf Agnes stützen können. Ich weiß nicht, in welchem Zeitabschnitt meines Schmerzes mir zuerst der Gedanke kam, daß ich in jugendlicher Gedankenlosigkeit das Kleinod ihrer Liebe achtlos weggeworfen.
Ich glaube, eine Ahnung davon dämmerte in mir auf vor Jahren, als ich so etwas wie einen schmerzlichen Mangel oder eine Leere in meinem Innern fühlte. Aber der Gedanke trat wie ein neuer Vorwurf und ein neues Bedauern in meine Seele, als ich so bekümmert und einsam in der Welt dastand.
Wenn ich zu jener Zeit viel mit ihr beisammen gewesen wäre, würde ich es ihr in meiner Haltlosigkeit verraten haben. Eine solche Befürchtung veranlaßte mich im Anfange, von England fortzubleiben. Ich hätte es nicht ertragen können, auch nur den geringsten Teil ihrer schwesterlichen Liebe zu verlieren, und doch würde ich, wenn ich mich verraten hätte, eine Schranke zwischen uns aufgerichtet haben. Ich begriff, daß das Gefühl, das sie jetzt für mich empfand, durch meine eigne freie Wahl und Handlungsweise entstanden war. Wenn sie mich jemals mit einer andern Liebe geliebt, so hatte ich mir das selbst verscherzt. Die Glut meines Herzens hatte ich einer andern geschenkt, – was ich hätte tun können, hatte ich unterlassen, und zu dem, was Agnes jetzt für mich war, hatte ich sie selbst gemacht. Im Anfang der Veränderung, die allmählich in mir Platz griff, dachte ich daran, nach einer unbestimmten Prüfungsdauer sie um ihre Hand zu bitten. Aber im Verlauf der Zeit verblich diese schattenhafte Absicht und verließ mich zuletzt ganz. Ich sagte mir, wenn sie mich jemals geliebt, müßte ich sie jetzt um so heiliger halten, um des Sieges willen, den sie über sich selbst errungen. Und wenn sie mich früher nicht geliebt hätte, wie könnte ich dann glauben, daß sie mich jetzt lieben werde.
Ich wurde mir meines Fehlers immer mehr und mehr bewußt. Was wir einander hätten sein können, war jetzt vorüber. Ich hatte die Zeit verstreichen lassen und Agnes verloren.
Ich machte mir kein Hehl daraus, daß ich sie auf das innigste liebte, aber ich fühlte, daß es zu spät war, und daß ich unser so lange bestehendes Freundschaftsverhältnis nicht verrücken dürfte. So kam ich zu der Überzeugung, daß nie werden konnte, was ich wünschte.
Diese Gedanken mit ihren Wandlungen und Widersprüchen waren der wehende Triebsand meines Innern von der Zeit meiner Abreise bis zu der meiner Rückkehr, drei Jahre später.
Drei Jahre! Eine lange Zeit, wenn auch kurz und schnell vergangen. Und die Heimat war mir teuer, und Agnes, wenn sie auch nicht mein war und nie werden sollte. –
Das war vorbei. 

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