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狄更斯德语小说:双城记-21 Der ehrliche Gewerbsmann
日期:2017-07-17 11:11  点击:230
Wenn Mr. Jeremias Cruncher mit seinem greulichen Zwerge neben sich in der Fleetstraße auf seinem Schemel saß, so sah er jeden Tag eine Menge der verschiedensten Gegenstände vor seinen Augen vorüberziehen. Und wer konnte auch irgendwo in der Fleetstraße während der geschäftigen Stunden des Tages seinen Platz haben, ohne stetig von zwei endlosen Prozessionen geblendet und betäubt zu werden, von denen eine westwärts der Sonne nach und die andere ostwärts der Sonne entgegenzog?
Seinen Strohhalm im Munde, betrachtete Mr. Cruncher die beiden Ströme gleich dem heidnischen Bauern, der vor Jahrhunderten die Obliegenheit hatte, einen Strom zu überwachen, nur mit dem Unterschiede, daß Jerry sich keine Aussicht machte, seine beiden je versiegen zu sehen. Es wäre dies auch keineswegs eine hoffnungsvolle Erwartung gewesen, sofern ein kleiner Teil seines Einkommens darin bestand, daß er furchtsame Weiber, meist schmuck herausgeputzte Personen, die die Hälfte des Lebens bereits hinter sich hatten, von der Tellsonschen Seite nach dem andern Ufer hinüberlotste. So kurz auch ein solcher Verkehr in dem einzelnen Falle war, versäumte doch Mr. Cruncher nie, sich für die Dame in einem Grade zu interessieren, daß er gegen sie den lebhaften Wunsch ausdrückte, es möchte ihm die Ehre zuteil werden, auf ihre Gesundheit zu trinken. Und mit den Gaben, die ihm zur Erfüllung dieser wohlwollenden Absicht gereicht wurden, verstärkte er, wie wir eben bemerkten, seine Finanzen.
Es gab eine Zeit, in der an einem öffentlichen Platze ein Dichter auf einem Schemel saß und angesichts der Menschen sich seine Gedanken machte. Mr. Cruncher saß auch an öffentlichem Platze auf einem Schemel; da er aber kein Dichter war, so dachte er so wenig wie möglich und schaute nur umher.
So war er auch zu einer Zeit beschäftigt, als die Menschenmassen spärlicher, der verspäteten Damen immer weniger wurden und seine Angelegenheiten sich im allgemeinen auf so wenig prosperierendem Fuße befanden, daß in seiner Brust der lebhafte Verdacht erwachte, Mrs. Cruncher müsse wieder aufs entschiedenste hingefallen sein. Da fügte sich's denn, daß ein ungewöhnliches Gedränge nach Westen, das sich die Fleetstraße herunter bewegte, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Blicke in diese Richtung entsendend, machte er die Wahrnehmung, daß eine Art Leichenzug einherkam, und daß der Lärm, der ihn begleitete, von protestierenden Volksmassen herrührte.
»Junger Jerry«, sagte Mr. Cruncher, sich an seinen Sprößling wendend, »'s ist eine Leiche.«
»Hurra, Vater!« rief der junge Jerry.
Der junge Gentleman stieß diesen jubelnden Ton mit geheimnisvoller Bedeutung aus; der alte aber nahm ihn so übel, daß er die Gelegenheit ersah, dem wackern Jüngling eine Ohrfeige zu geben.
»Was soll das heißen? Warum krakeelst du so, und was willst du deinem Vater damit sagen, du junger Rüpel? Der Bub wird mir allmählich zuviel«, sagte Mr. Cruncher, ihn vom Kopfe bis zu den Füßen betrachtend. »Ja, wohl da – Hurra! Laß mich das nicht wieder hören, oder du sollst's zu fühlen kriegen. Hast du mich verstanden?«
»Ich hab's nicht bös gemeint«, versicherte der junge Jerry, den getroffenen Teil reibend.
»Das will ich hoffen, denn mit deinen Tücken kämst du mir übel an«, sagte Mr. Cruncher. »Da, steig' auf diesen Sitz hinauf und schau' mir nach den Leuten.«
Sein Sohn gehorchte. Das Gewühl kam näher. Man lärmte und zischte um einen unscheinbaren Trauerwagen und um eine unscheinbare Trauerkutsche her, in der nur ein einziger Leidtragender mit den für die Würde seiner Stellung unerläßlich scheinenden, schwarzen Florbehängen saß. Die Stellung gefiel ihm übrigens, wie man wohl sehen könnte, nicht sonderlich; denn es sammelte sich um die Kutsche immer mehr Pöbel, der Grimassen gegen ihn schnitt, spottete, zischte und ihm nebst vielen andern Komplimenten, die zu zahlreich und saftig für die Wiederholung sind, unablässig den Ehrentitel »Spion« zurief.
Leichenbegängnisse hatten für Mr. Cruncher stets eine merkwürdige Anziehungskraft besessen: er strengte immer alle seine Sinne an und geriet in Aufregung, wenn ein Leichenzug an Tellsons vorbeikam. Die Aufregung war natürlich um so größer, wenn er von einem ungewöhnlichen Gefolge begleitet wurde, und unser Ehrenmann fragte daher den ersten besten, der gegen ihn anrannte:
»Was gibt's da, Bruder? Was treibt man?«
»Ich weiß nicht«, versetzte der Mann. »Y-ha! Spion!«
Er fragte einen andern: »Wer ist's?«
»Weiß nicht«, entgegnete der Gefragte, schlug aber gleichwohl die Hände zusammen und schrie aus Leibeskräften: »Y-ha! Spion! Y-ha! Spion!«
Endlich kugelte einer, der besser über das Nähere des Vorgangs unterrichtet war, gegen ihn an, und von diesem erfuhr Mr. Cruncher, daß das Leichenbegängnis einem gewissen Robert Cly galt.
»War der ein Spion?« fragte Cruncher.
»Old-Bailey-Spion«, erwiderte der Auskunftgeber. »Joho! Y-ha! Old-Bailey-Spi-i-on!«
»Der Tausend, ja«, rief Jerry, sich der Gerichtsverhandlung erinnernd, der er beigewohnt hatte. »Ich hab' ihn gesehen. Er ist also tot?«
»Tot wie eine Hammelkeule«, entgegnete der andere, »und kann nicht tot genug sein. Holt sie heraus da! Spione! Heraus mit ihnen! Spione!«
Diese Idee erschien bei der vorherrschenden Abwesenheit einer Idee überhaupt so annehmbar, daß die Menge sie mit Begier aufgriff: sie wiederholte das »Heraus!« so laut und bedrängte die beiden Fuhrwerke so sehr, daß sie nicht mehr weiter konnten. Man riß den Kutschenschlag auf, der einzige Leidtragende fiel von selbst heraus und befand sich für einen Augenblick in den Händen des Pöbels; er war jedoch so hurtig und wußte seine Zeit so gut zu benutzen, daß er im nächsten Augenblicke schon eine Nebenstraße hinaufeilte, nachdem er seinen Mantel, seinen Hut, seinen langen Hutflor, das weiße Taschentuch und anderes symbolisches Trauerzubehör im Stiche gelassen hatte.
Das Volk riß diese Hinterlassenschaft in Stücke und streute sie mit wilder Lust weit und breit umher, während die Gewerbsleute hastig ihre Buden schlossen; denn in jenen Zeiten war ein Pöbelhaufen ein gefürchtetes Ungeheuer und durch nichts zu halten. Man hatte sich bereits bis zum Öffnen des Wagens und Herunternehmen des Sarges verstiegen, als mit einem Male ein genialerer Geist den Vorschlag machte, man solle den Leichnam unter schallendem Jubel an den Ort seiner Bestimmung bringen. Praktische Andeutungen waren gewiß sehr am Platze, und so fand auch diese eine beifällige Aufnahme. Im Nu hatten acht Mann das Innere und ein Dutzend das Äußere der Kutsche eingenommen, während sich so viele, als nur immer hinaufgingen, auf das Dach des Leichenwagens setzten. Unter den erstgenannten Freiwilligen befand sich Jerry Cruncher selbst, der seinen spießigen Kopf bescheiden gegen eine Wahrnehmung von Tellsons aus in der hintersten Ecke der Trauerkutsche schützte.
Die diensttuenden Leichenbesorger erhoben zwar einige Einwendungen gegen diesen Wechsel in der Zeremonie, bestanden aber nicht lange darauf, denn der Fluß lag in beunruhigender Nähe, und einige Stimmen ließen die Andeutung fallen, daß ein kaltes Bad ein sehr wirksames Mittel sei, um widerspenstige Personen zur Vernunft zu bringen. Der umgemodelte Zug brach auf mit einem kutschierenden Schornsteinfeger auf dem Bock des Leichenwagens, während der Kutscher überwachend ihm zur Seite saß; in gleicher Weise vertrat den Dienst der Leitung ein von dem ordentlichen Kutscher unterstützter Pastetenbäcker auf der Trauerkutsche. Ein Bärenführer, damals ein populärer Straßencharakter, wurde, noch eh' der Zug den Strand erreicht hatte, als Zierobjekt in den öffentlichen Dienst gepreßt, und der Bär, der schwarz und sehr schäbig war, verlieh dem Teile der Prozession, in dem er marschierte, ein echtes und gerechtes Leichenbestattungsaussehen.
So ging unter Biertrinken, Tabakrauchen, Brüllen und karikierten Trauergebärden der unordentliche Zug seines Weges, bei jedem Schritte Zuwachs aufnehmend, während vor ihm her überall die Läden sich schlossen. Sein Bestimmungsort war die alte Sankt-Pankraz-Kirche, weit draußen in den Feldern. Man langte im Laufe der Zeit dort an; die Menge stürmte in den Kirchhof hinein und besorgte in ihrer Art und zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit die Beerdigung des verstorbenen Robert Cly.
Nachdem der Tote bestattet war, sah sich die Masse genötigt, sich nach einem andern Zeitvertreib umzusehen, weshalb ein anderer genialer Geist (oder vielleicht der frühere) auf den Einfall kam, Leute, die zufällig vorübergingen, als Old-Bailey-Spione zu bezeichnen und die Volksrache auf sie zu lenken. Demgemäß wurden einige Dutzend harmloser Personen, die vielleicht in ihrem ganzen Leben Old Bailey nie gesehen hatten, hin und her gezerrt und mißhandelt. Der Übergang zu dem Spaße des Fenstereinwerfens und dann zum Plündern der Wirtshäuser war leicht und natürlich. Als endlich nach Ablauf mehrerer Stunden etliche Gartenhäuschen in Trümmern lagen und zur Bewaffnung der kriegerisch gesinnten Gemüter unterschiedliche Hofumzäunungen eingerissen waren, verbreitete sich das Gerücht von der Ankunft der Garden. Vor dieser bedrohlichen Kunde schmolz der Haufen allmählich zusammen. Vielleicht kamen die Garden, vielleicht auch nicht; genug, der Auflauf nahm das gewöhnliche Ende.
Mr. Cruncher hatte sich an den Schlußbelustigungen nicht beteiligt, sondern war auf dem Kirchhofe zurückgeblieben, um mit den Leichenbestattern sich zu unterhalten und ihnen sein Beileid auszudrücken. Der Platz übte einen beruhigenden Einfluß auf ihn. Er besorgte sich aus der nahen Schenke eine Pfeife, rauchte wacker drauf los, sah zu dem Gitter hinein und betrachtete sich wohlbedächtig die Stelle.
»Jerry«, sagte Mr. Cruncher, sich selbst anredend, »du siehst, daß man heute den Cly dort begraben hat, und du weißt aus eigener Anschauung, daß er ein junger, gutgebauter Bursche war.«
Nachdem er seine Pfeife ausgeraucht und noch eine Weile länger seinen Gedanken Gehör geschenkt hatte, trat er den Heimweg an, um vor der Schlußstunde sich wieder auf seinem Posten bei Tellsons zu zeigen. Ob seine Betrachtung über Sterblichkeit eine schlimme Einwirkung auf seine Leber geübt oder ob er vorher schon sich nicht recht wohl gefühlt hatte – vielleicht wollte er auch nur einem ausgezeichneten Mann eine kleine Aufmerksamkeit erweisen; kurz, er machte unterwegs einen kleinen Besuch bei seinem ärztlichen Ratgeber, einem Chirurgen von hohem Ruf.
Der junge Jerry tröstete mit pflichtschuldiger Teilnahme seinen Vater und meldete, daß in seiner Abwesenheit kein Geschäft vorgekommen sei. Die Bank wurde geschlossen; die alten Kontoristen kamen heraus; es wurde die gewöhnliche Wache bestellt, und Mr. Cruncher begab sich mit seinem Sohn nach Hause zum Tee.
»Ich weiß jetzt, wo es steckt«, sagte Mr. Cruncher beim Eintreten zu seiner Frau. »Wenn mir, einem ehrlichen Geschäftsmann, heute nacht mein Ausgang mißglückt, so kann ich überzeugt sein, daß du gegen mich gebetet hast, und ich werde dich dafür so gut bearbeiten, als ob ich mit eigenen Augen zugesehen hätte.«
Die verzagte Mrs. Cruncher schüttelte den Kopf.
»Was, das tust du angesichts meiner?« rief Cruncher mit den Zeichen unwilliger Besorgnis.
»Ich sage ja nichts.«
»Gut: aber du sollst auch nichts denken. Du könntest mir ebensogut umfallen wie denken; denn das eine wie das andere geht gegen mich. Ich sag' dir, laß es bleiben.«
»Ja, Jerry.«
»Ja, Jerry«, wiederholte Mr. Cruncher, sich zum Tee niedersetzend. »Es ist mir ernst, und darum kein Wort mehr. Du hast Ursache, zu sagen: Ja, Jerry.«
Mr. Cruncher hatte keine besondere Absicht bei dieser zänkischen Bekräftigung, sondern bediente sich ihrer nur, um, wie dies häufig von den Leuten geschieht, im allgemeinen eine ironische Unzufriedenheit kundzugeben.
»Du mit deinem ›Ja, Jerry‹«, sagte Mr. Cruncher indem er ein Stück aus seinem Butterbrot biß. »Ah, ich kann mir's denken – glaub's wohl.«
»Du gehst heute nacht aus?« fragte sein anständiges Weib, als er abermals einen Biß tat.
»Ja.«
»Darf ich mitgehen, Vater?« fragte sein Sohn hastig.
»Nein, du darfst nicht. Ich gehe fischen, wie deine Mutter weiß. Ja, das ist der Zweck meines Ausgangs. Fischen.«
»Dein Fischzeug ist ziemlich rostig, nicht wahr, Vater?«
»Das kann dir gleichgültig sein.«
»Bringst du auch Fische nach Hause, Vater?«
»Wenn's nicht geschieht, wird's morgen schmale Kost geben«, versetzte der Ehrenmann mit Kopfschütteln. »Du hast doch jetzt genug gefragt. Ich werde erst ausgehen, nachdem du längst im Bett bist.«
Er beschäftigte sich für den Rest des Abends damit, daß er ein äußerst wachsames Auge auf Mrs. Cruncher hielt und sie durch stetiges Zanken hinderte, auch nur in Gedanken zu seinem Nachteil zu beten. In dieser Absicht drängte er auch seinen Sohn, seine Mutter stets im Atem zu halten, und die unglückliche Frau hatte schwer darunter zu leiden; denn Mr. Cruncher zog lieber jede Kleinigkeit an den Haaren herbei, um ihr Vorwürfe zu machen, als daß er ihr nur einen Augenblick Zeit zum Nachdenken gelassen hätte. Selbst der frömmsten Person wäre es unmöglich gewesen, der Wirksamkeit eines ehrlichen Gebetes tiefere Anerkennung zu zollen, als durch dieses Mißtrauen gegen das arme Weib geschah. Geradeso sieht man oft entschiedene Gespensterleugner durch eine Geistergeschichte in Zittern geraten.
»Und wohlgemerkt, keine Possen morgen«, sagte Mr. Cruncher. »Wenn es mir als einem ehrlichen Geschäftsmann gelingt, eine Hammelkeule oder zwei heimzubringen, so laß mich nicht hören, daß du nichts davon anrühren, sondern bei deinem Brot bleiben wollest. Und wenn ich als ehrlicher Geschäftsmann imstande bin, mir ein bißchen Bier kommen zu lassen, so schwatze mir nicht von Wasser. Wer in Rom ist, muß tun, wie man in Rom tut. Und tust du's nicht, so wird dir Rom sauber über den Kopf fahren. Ich bin dein Rom, das weißt du.«
Und dann begann er wieder zu brummen:
»Kommst mir da immer mit deinem abgesonderten Essen und Trinken! Ich möchte nur wissen, wie du hier zu Essen und Trinken kommen wolltest mit deinem heuchlerischen Wesen und deinem gefühllosen Benehmen. Schau deinen Buben an – gehört er nicht dir? Er ist so dünn wie ein Span. Du willst dich eine Mutter nennen und weißt nicht einmal, daß es die erste Pflicht einer Mutter ist, ihr Kind zum Wachsen zu bringen.«
Dies berührte bei dem jungen Jerry eine zarte Seite. Er beschwor seine Mutter, ihre erste Pflicht zu erfüllen und, was sie auch sonst darüber vernachlässigen mochte, besonders die Vollziehung der mütterlichen Pflicht sich angelegen sein zu lassen, auf die der Vater so liebevoll und fein hingedeutet hatte. So entschwand der Abend ln der Familie Cruncher, bis endlich der junge Jerry die Weisung erhielt, zu Bett zu gehen. An seine Mutter wurde der gleiche Befehl erlassen, dem sie demütig gehorchte. Mr. Cruncher kürzte sich die früheren Stunden der Nacht durch Pfeiferauchen und trat seinen Ausflug erst gegen ein Uhr an. Um diese kleinzahlige gespenstische Stunde erhob er sich von seinem Stuhl, zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete einen Schrein und holte einen Sack, ein Brecheisen von anständiger Größe, ein Seil, eine Kette und anderes derartiges Fischgerät heraus. Nachdem er diese Gegenstände geschickt bei sich versteckt hatte, warf er Mrs. Cruncher einen trotzigen Abschiedsblick zu und ging hinaus.
Der junge Jerry, der nur so getan hatte, als kleide er sich aus, war im Nu wieder aus seinem Bett und hinter dem Vater her. Im Schutz der Dunkelheit folgte er ihm zur Stube hinaus, die Treppe hinunter, in den Hof und auf die Straße. Wegen des Wiedernachhausekommens war ihm nicht bange, denn die Tür stand um der vielen Mietleute willen die ganze Nacht durch offen.
Von dem löblichen Ehrgeiz getrieben, die Kunst und das Geheimnis von seines Vaters ehrlichem Gewerbe zu studieren, ließ der junge Jerry, der sich so nahe, wie seine Augen beieinander standen, an die Häuser und Mauern hielt, seinen geehrten Erzeuger nicht aus dem Auge. Der geehrte Erzeuger steuerte nordwärts und war noch nicht weit gegangen, als sich ihm ein anderer Nachtgeselle anschloß, mit dem er gemeinschaftlich weitertrabte.
Nach einer halbstündigen Wanderung waren sie außer dem Bereiche neugieriger Lampen und der noch neugierigeren Nachtwächter draußen auf einsamer Landstraße. Hier wurde noch ein dritter Fischer aufgelesen, und zwar so in aller Stille, daß der junge Jerry, wenn er abergläubisch gewesen wäre, wohl hätte auf den Gedanken kommen können, daß der zweite Genosse der edlen Kunst sich plötzlich verdoppelt habe.
Die drei gingen weiter, und der junge Jerry folgte ihnen, bis sie unter einer Wegböschung haltmachten, auf der ein niedriges Backsteingemäuer mit einem eisernen Geländer bemerklich wurde. In dem Schatten der Böschung und des Gemäuers stahlen sie sich von der Straße ab, eine Sackgasse hinauf, die durch die acht bis zehn Fuß hohe Mauer begrenzt wurde. Der junge Jerry kauerte in einer Ecke nieder und schaute die Gasse hinauf. Der erste Gegenstand, dessen er ansichtig wurde, war sein geehrter Erzeuger, dessen Umrisse scharf gegen einen wässerigen, umwölkten Mond abstachen, wie derselbe hurtig ein eisernes Gittertor hinankletterte. Er war bald hinüber: darauf folgte der Zweite und dann der Dritte. Sie alle langten weich auf dem Boden hinter dem Gitter an und blieben eine Weile liegen, vielleicht, um zu horchen. Dann krochen sie auf Händen und Füßen weiter.
Jetzt war an dem jungen Jerry die Reihe, sich dem Gitter zu nähern, er tat dies mit verhaltenem Atem. Er duckte sich dort wieder in eine Ecke, sah hinein und bemerkte, daß die drei Fischer in dem hohen Grase weiterkrochen. Und alle die Grabsteine – es war ein großer Kirchhof – schienen wie weiße Gespenster zuzuschauen, und der Kirchturm selbst sah darein wie der Geist eines ungeheuren Riesen. Sie krochen nicht weit, sondern machten bald halt und richteten sich auf. Dann begannen sie zu fischen.
Anfangs fischten sie mit einem Spaten. Dann gewann es den Anschein, als setze der geehrte Erzeuger ein Instrument von der Gestalt eines großen Korkziehers an. Welcher Art indes die Werkzeuge sein mochten, die Leute arbeiteten mit allem Eifer, bis der schauerliche Schlag der Kirchenuhr den jungen Jerry so erschreckte, daß er mit einem Haar, so steif wie das seines Vaters, von dannen floh.
Aber der lang gehegte Wunsch, von diesen Dingen mehr zu erfahren, hielt ihn nicht nur in seinem Lauf an, sondern lockte ihn sogar wieder zurück. Sie fischten noch beharrlich fort, als er zum zweitenmal zum Gitter hineinsah, schienen aber jetzt etwas an der Angel zu haben. Es ging an ein Schrauben; von unten ließ sich ein ächzender Ton vernehmen, und die schattigen Gestalten strengten sich an, als höben sie eine schwere Last. Allmählich brach sich diese Last durch die Erde und kam an die Oberfläche. Der junge Jerry wußte recht gut, was jetzt kommen mußte; aber als er es wirklich sah und dabei bemerkte, wie sein Vater sich anschickte, es mit dem Stemmeisen aufzubrechen, wandelte ihn bei dem Anblick eine solche Angst an, daß er wieder Reißaus nahm und nicht eher haltmachte, bis er eine schöne Strecke Wegs hinter sich hatte.
Er würde auch dann noch nicht angehalten haben, wenn ihm nicht der Atem ausgegangen wäre; denn sein Rennen war eine Art Wettlauf mit Gespenstern, denen er aus dem Weg zu kommen zitterte. Es war ihm, als habe er gesehen, wie der Sarg ihm nachkam; er stellte sich vor, als hüpfe derselbe hinter ihm her, gerade auf seinem schmäleren Ende sich bewegend und stets auf dem Punkt, ihn einzuholen und an seiner Seite weiterzuhüpfen, vielleicht gar ihn am Arm zu nehmen – kurz, es war ein fürchterlicher Verfolger. Dazu noch ein inkonsequenter, überall gegenwärtiger Dämon; denn da der Spuk die ganze Nacht hinter ihm mit Schrecken erfüllte, so stürzte er in die Straße hinaus, um die dunklen Alleen zu vermeiden, fürchtend, das Gespenst möchte wie ein wassersüchtiger Papierdrache ohne Schwanz und Flügel hinter den Bäumen hervor auf ihn zukommen. Auch in den Torwegen versteckte es sich, rieb seine schrecklichen Schultern an den Türpfosten und zog sie, als lache es, bis an die Ohren hinauf. Es versteckte sich im Schatten der Straße und blieb tückisch auf dem Rücken liegen, um ihm ein Bein zu stellen. Und diese ganze Zeit über hüpfte es ohne Unterlaß hart hinter ihm drein, so daß Jerry junior, als er endlich zu Hause anlangte, halbtot zu sein meinte. Ja, selbst da wollte es noch nicht von ihm ablassen, sondern es folgte ihm mit einem Gepolter auf jeder Stufe die Treppe hinauf, stieg mit ihm ins Bett hinein und plumpste schwer und tot ihm auf die Brust, bis er endlich einschlief.
Aus diesem angstvollen Schlummer wurde der junge Jerry in seinem Alkoven nach Tagesanbruch und vor Sonnenaufgang durch die Anwesenheit seines Vaters in dem Familienzimmer geweckt. Diesem mußte etwas nicht nach Wunsche gegangen sein; so schloß wenigstens der junge Jerry aus dem Umstand, daß der Alte Mrs. Cruncher an den Ohren hatte und ihr den Hinterkopf an dem Kopfbrett ihres Bettes zerbeulte.
»Ich hab' dir's gesagt, ich wolle«, sagte Mr. Cruncher; »und jetzt hast du's.«
»Jerry, Jerry, Jerry«, rief sein Weib flehentlich.
»Du hast ein Aber gegen den Profit des Geschäfts«, sagte Jerry, »und darunter haben ich und meine Kameraden zu leiden. Du sollst ehren und gehorchen – warum zum Teufel tust du's nicht?«
»Ich gebe mir ja alle Mühe, eine gute Frau zu sein«, versicherte die Arme unter Tränen.
»Ist man eine gute Frau, wenn man sich dem Geschäfte des Mannes widersetzt? Heißt es den Mann ehren, wenn man sein Gewerbe verachtet? Heißt es dem Manne gehorchen, wenn man ihm den Gehorsam verweigert in der Lebensfrage seines Geschäftes?«
»Du hast also wieder zu dem schrecklichen Gewerbe gegriffen, Jerry?«
»Für dich ist es genug«, versetzte Mr. Cruncher, »das Weib eines ehrlichen Geschäftsmanns zu sein, und du hast nicht nötig, deinen Weiberkopf mit Berechnungen anzustrengen, wenn er einem Beruf nachgeht oder nicht. Ein Weib, das ehrt und gehorcht, läßt ihn gewähren. Du willst eine fromme Frau sein? Wenn die religiösen so sind, so will ich lieber eine unreligiöse. Du hast so wenig ein natürliches Gefühl für deine Pflicht, als es dieses Themsebett da für einen Pfahl hat, und sie muß deshalb gleichermaßen in dich hineingeschlagen werden.«
Der Streit wurde mit gedämpfter Stimme geführt und endigte damit, daß der ehrliche Geschäftsmann die kotigen Stiefel vom Fuß schleuderte und der Länge nach sich auf den Boden legte. Nachdem sein Sohn einen scheuen Blick nach ihm, wie er so rücklings dalag mit den rostigen Händen als Kissen unter dem Kopfe, hingeworfen hatte, legte auch er sich wieder und schlief aufs neue ein.
Zum Frühstück gab es keinen Fisch und auch nicht viel anderes. Mr. Cruncher war verstimmt und mißmutig und hielt stets einen eisernen Topfdeckel in der Nähe als Korrektionsgeschoß für Mrs. Cruncher, im Falle sie Miene machte, ihren Morgensegen zu sprechen oder zu denken. Zu der gewohnten Stunde hatte er sich gewaschen und gekämmt und machte sich mit seinem Sohne auf den Weg, um seinen vorweisbaren Beruf anzutreten.
Der junge Jerry, der mit seinem Schemel unter dem Arm neben seinem Vater in dem Gedränge der sonnigen Fleetstraße dahinschritt, war ein ganz anderer junger Jerry als in der letzten Nacht, solange er durch Einsamkeit und Dunkel vor seinem schrecklichen Verfolger her nach Hause lief. Sein Geist hatte sich mit dem Tage aufgefrischt, und die Nebel waren mit der Nacht vergangen, eine Eigentümlichkeit, in der er an jenem schönen Morgen viele seinesgleichen hatte, in der Fleetstraße sowohl wie in der Stadt London überhaupt. »Vater«, sagte der junge Jerry unterwegs, indem er zugleich Sorge trug, sich auf Armeslänge fernzuhalten und den Schemel zwischen sich und den Alten zu bringen, »was ist ein Auferstehungsmann?«
Mr. Cruncher blieb wie auf das Pflaster gebannt stehen, ehe er antwortete:
»Wie soll ich dies wissen?«
»Ich dachte, du wüßtest alles, Vater«, lautete die arglose Erwiderung des Knaben.
»Hm! Nun«, entgegnete Mr. Cruncher, den Weg wieder aufnehmend und den Hut lüpfend, um seinen Spießen freies Spiel zu lassen, »er ist ein Geschäftsmann.«
»Und was erwirbt er?« fragte der schlaue junge Jerry.
»Was er erwirbt?« versetzte Mr. Cruncher nach einigem Besinnen. »Er handelt mit wissenschaftlichen Gegenständen.«
»Nicht wahr, mit Leichnamen, Vater?« fragte der aufgeweckte Knabe.
»Ich glaube, es ist etwas der Art«, antwortete Mr. Cruncher.
»Oh, Vater, ich möchte wohl auch ein Auferstehungsmann werden, wenn ich einmal groß bin.«
Mr. Cruncher fühlte sich beruhigt, schüttelte aber doch bedenklich und moralisierend den Kopf.
»Es hängt davon ab, wie du deine Talente entwickelst. Laß dir's angelegen sein, deine Talente auszubilden, und sprich von solchen Dingen gegen niemand mehr, als gerade notwendig ist; denn vorderhand kann man noch nicht wissen, für was du mit der Zeit passen magst.«
Als der junge Jerry, in solcher Weise ermutigt, einige Schritte vorausging, um den Schemel in den Schatten der Bar aufzustellen, fügte Mr. Cruncher für sich selbst hinzu:
»Jerry, ehrlicher Geschäftsmann, es ist Hoffnung vorhanden, daß der Knabe noch ein Segen für dich und ein Ersatz werden wird für seine Mutter!« 

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