Es war so seltsam, als die Flitterwochen vorbei und die Brautjungfern heimgereist waren und ich in meinem eigenen Häuschen allein mit Dora saß, ganz aus der Bahn gebracht, sozusagen, aus der Bahn der alten, herrlichen Beschäftigung der Brautwerbung.
Wie merkwürdig, daß Dora immer da war! Ich konnte es gar nicht fassen, daß ich nicht mehr ausgehen mußte, um sie zu sehen, und mich ihretwegen zu peinigen brauchte oder nur den Kopf zu zermartern, um Gelegenheiten, mit ihr allein sein zu können, auszuhecken. Manchmal abends, wenn ich von meinem Schreibtisch aufblickte und sie mir gegenübersitzen sah, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und dachte bei mir, wie seltsam es sei, daß wir so ganz selbstverständlich allein beisammen wären, daß die ganze Romantik unseres Verhältnisses weggelegt war, um zu rosten, – daß wir niemand anders mehr zu gefallen hatten als uns selbst fürs ganze Leben.
Wenn Parlamentsdebatten stattfanden und ich erst spät heimkam, war es so sonderbar, daß Dora zu Hause wartete; so wunderlich am Anfang, wenn sie leise herabkam, um mit mir zu plaudern, während ich mein Abendessen verzehrte. Es war so wunderbar zu wissen, daß sie ihr Haar in Papilloten wickelte, und noch wunderbarer, ihr dabei zuzusehen.
Ich weiß nicht, ob zwei junge Vögel weniger vom Haushalten wissen konnten als ich und meine hübsche Dora. Wir hielten natürlich eine Dienstmagd. Sie besorgte für uns das Hauswesen. Ich kann mich immer noch nicht von dem Verdachte losmachen, daß sie eine verkleidete Tochter Mrs. Crupps war, so Schreckliches hatten wir von Mary Anne auszustehen.
Sie hieß Mary Anne Vorbild. Ihr Name wäre, sagte man uns, als wir sie aufnahmen, nur ein schwaches Abbild ihres Charakters. Sie besaß ein Zeugnis so lang wie eine Proklamation und konnte laut diesem Dokument in häuslichen Dingen alles vollbringen, wovon ich jemals gehört hatte, und noch vieles andere, was mir gänzlich unbekannt war. Sie stand in der Blüte der Jahre, war von strengem Gesichtsausdruck und, vorzüglich auf den Armen, einer Art beständiger Masern unterworfen. Sie hatte einen Vetter in der Leibgarde mit so langen Beinen, daß er wie der Nachmittagschatten eines gewöhnlichen Menschen aussah. Sein Uniformrock war ihm um so viel zu klein, wie er zu groß für das Haus war. Da überdies die Wände nicht besonders dick waren, vernahmen wir, wenn er abends immer in der Küche weilte, ein beständiges Brummen.
Da unser Hausgeist verbürgtermaßen nüchtern und ehrlich war, muß sie wohl krank gewesen sein, als wir sie einmal bewußtlos unter dem Herd liegen fanden, und offenbar trug an dem Fehlen der Teelöffel der Kehrichtmann die Schuld.
Unsere Seelenruhe fiel ihr in erschreckender Weise zum Opfer. Wir fühlten unsere Unerfahrenheit und sahen uns außerstande, uns selbst zu helfen. Wir waren ihr völlig preisgegeben, und sie trug die Schuld an unserm ersten kleinen Zwist.
»Herzensschatz«, sagte ich eines Tages zu Dora, »glaubst du, Mary Anne hat einen Begriff von der Zeit?«
»Warum, Doady?« fragte Dora und sah unschuldig von ihrem Zeichenbrett auf.
»Weil es fünf Uhr ist, Liebling, und wir um vier Uhr essen wollten.«
Dora sah betroffen auf die Wanduhr und meinte, sie ginge vor.
»Im Gegenteil, Liebling«, sagte ich und zog meine Uhr heraus, »sie geht ein paar Minuten nach.«
Mein kleines Frauchen setzte sich mir auf den Schoß, um mich schmeichelnd zu besänftigen, und zog mit dem Bleistift eine Linie auf der Mitte meiner Nase; aber davon konnte ich nicht zu Mittag essen, so angenehm es auch war.
»Meinst du nicht, Schatz, es wäre besser, wenn du Mary Anne deshalb Vorstellungen machtest?«
»O nein! Das könnte ich nicht, Doady!«
»Warum nicht, Liebling?« fragte ich sanft.
»Ach, weil ich so eine kleine Gans bin«, sagte Dora, »und weil sie das genau weiß.«
Mir erschien diese Ansicht so unvereinbar mit irgendeinem System, Mary Anne zu bändigen, daß ich die Stirn ein wenig kraus zog.
»Was das für häßliche Falten auf der Stirn meines bösen Jungen sind!« sagte Dora und zeichnete sie mit dem Bleistift nach, und ich mußte wider Willen lachen.
»So. Jetzt ist das Kind wieder gut«, sagte Dora. »Das Gesicht sieht viel hübscher aus, wenn es lacht.«
»Aber mein Liebling!«
»Nein, nein, ich bitte dich«, rief Dora und gab mir einen Kuß. »Sei kein böser Blaubart. Sei nicht ernsthaft!«
»Mein Herzensschatz«, sagte ich, »wir müssen manchmal ernsthaft sein. Komm! Setz dich hier neben mich! Gib mir den Bleistift! So! Nun wollen wir einmal vernünftig miteinander reden. Du weißt, liebes Kind, wie hübsch die kleine Hand mit dem allerliebsten Trauring war, du weißt, Schatz, es ist nicht sehr angenehm, ohne Mittagessen fortgehen zu müssen, nicht wahr?«
»N-n-nein«, erwiderte Dora beklommen.
»Aber liebes Kind, wie du zitterst!«
»Weil ich weiß, daß du mich ausschelten willst«, rief Dora mit kläglicher Stimme aus.
»Aber ich will doch bloß vernünftig mit dir sprechen!«
»Vernünftig sprechen ist noch viel schlimmer als ausschelten«, rief Dora voll Verzweiflung. »Ich habe doch nicht geheiratet, um vernünftig zu sprechen. Wenn du mit so einem armen kleinen Geschöpf wie ich vernünftig zu sprechen beabsichtigtest, hättest du es mir vorher sagen sollen, du grausamer Junge.«
Ich versuchte Dora zu beruhigen, aber sie wandte ihr Gesicht weg und schüttelte ihre Locken und sagte: »Du grausamer, grausamer Junge« so oft, daß ich wirklich nicht wußte, was ich tun sollte. Ich ging in meiner Hilflosigkeit ein paar Mal im Zimmer auf und ab und trat wieder vor sie hin.
»Dora, mein Liebling!«
»Nein, ich bin nicht dein Liebling. Denn es muß dir leid tun, mich geheiratet zu haben, sonst würdest du nicht vernünftig mit mir reden.«
Ich fühlte mich so verletzt von der Inkonsequenz dieser Beschuldigung, daß ich Mut faßte, ernsthaft zu sein.
»Meine liebste Dora«, sagte ich, »du bist sehr kindisch und redest dummes Zeug. Du wirst dich gewiß erinnern, daß ich gestern schon fort mußte, ehe ich mit dem Mittagessen halb fertig war, und daß es mir am Tag vorher ganz übel wurde, weil ich halbgares Kalbfleisch mit aller Hast herunterschlingen mußte. Heute kann ich gar nichts essen, und wie lange wir auf das Frühstück warten mußten, während das Wasser nicht einmal kochte, will ich gar nicht erwähnen. Ich mache dir gewiß keine Vorwürfe darüber, Liebling, aber angenehm ist es wahrhaftig nicht.«
»O du grausamer, grausamer Junge; zu sagen, ich wäre ein garstiges Weib«, jammerte Dora.
»Aber liebste Dora, das habe ich doch niemals gesagt.«
»Du sagtest, ich sei nicht angenehm.«
»Ich sagte, dieses Wirtschaften sei nicht angenehm.«
»Das ist doch genau dasselbe«, rief Dora aus. Offenbar glaubte sie es auch, denn sie weinte bitterlich.
Ich ging noch einmal im Zimmer auf und ab, erfüllt von Liebe für mein hübsches Frauchen und gequält von Selbstanklagen und dem Wunsch mit dem Kopf an die Tür zu rennen. Ich setzte mich wieder nieder und sagte: »Ich mache dir gewiß keine Vorwürfe, Dora. Wir haben beide noch viel zu lernen. Ich versuche nur, dir klarzumachen, daß du dich gewöhnen mußt – wirklich mußt –, ein wenig hinter Mary Anne herzusein und auch selbst etwas für dich und mich zu tun.«
»Daß du nur so undankbare Reden führen kannst«, schluchzte Dora, »wo du doch weißt, daß ich neulich, als du gern Fisch essen wolltest, selber meilenweit ging, um dich zu überraschen.«
»Und das war sehr lieb von dir, Herzensschatz«, sagte ich; ich fühlte es so innig, daß ich um keinen Preis erwähnt hatte, daß der Lachs viel zu groß für uns beide war und daß ein Pfund und sechs Schillinge, die er kostete, mehr waren, als wir ausgeben konnten.
»Und du freutest dich noch so sehr darüber«, schluchzte Dora, »und nanntest mich eine Maus.«
»Das werde ich noch tausendmal wieder sagen, Liebste!«
Aber ich hatte Doras weiches Herzchen verletzt, und sie ließ sich nicht trösten. Sie sah so rührend in ihrem Schluchzen und Klagen aus, daß ich das Gefühl hatte, sie schwer verletzt zu haben. Ich mußte forteilen, kam erst spät nach Hause und wurde die ganze Zeit von solchen Gewissensbissen gefoltert, daß ich mich ganz elend fühlte. Mir war zumute wie einem Mörder, und ein unbestimmtes Gefühl maßloser Verderbtheit wollte mich nicht verlassen.
Ich kam erst zwei oder drei Stunden nach Mitternacht nach Hause. Meine Tante wartete auf mich.
»Ist etwas vorgefallen, Tante?« fragte ich voll Unruhe.
»Nichts, Trot«, gab sie zur Antwort. »Setz dich doch, setz dich doch! Blümchen ist etwas betrübt gewesen, und ich habe ihr Gesellschaft geleistet. Das ist alles.«
Ich stützte den Kopf in die Hand und fühlte mich bedrückter und niedergeschlagener, wie ich in das Feuer blickte, als ich es so kurz nach der Erfüllung meiner schönsten Hoffnungen für möglich gehalten hätte. Wie ich nachdenklich so dasaß, begegnete ich zufällig den Augen meiner Tante, die auf meinem Gesicht ruhten. Sie hatten einen besorgten Ausdruck, der aber sogleich wieder verschwand.
»Ich versichere dir, Tante«, sagte ich, »der Gedanke, daß Dora betrübt ist, hat mich die ganze Nacht unglücklich gemacht. Aber ich beabsichtigte weiter nichts, als mit ihr in aller Liebe über unsere häuslichen Angelegenheiten zu sprechen.«
Meine Tante nickte mir ermutigend zu.
»Du mußt Geduld haben, Trot«, sagte sie.
»Natürlich. Der Himmel weiß, daß ich nicht unverständig sein wollte, Tante.«
»Nein, nein«, sagte meine Tante, »aber Blümchen ist eine sehr zarte kleine Blüte, und der Wind muß sanft mit ihr umgehen.«
Ich dankte meiner guten Tante im Herzen für ihre Zärtlichkeit gegen meine Gattin, und ich bin überzeugt, sie wußte, was ich fühlte.
»Meinst du nicht, Tante«, sagte ich, nachdem ich eine Weile ins Feuer geblickt hatte, »daß du dann und wann zu unserm gemeinsamen Vorteil Dora einen kleinen Rat geben könntest.«
»Trot«, antwortete meine Tante bewegt, »nein! verlange das nicht von mir!«
Sie sprach in so ernstem Ton, daß ich überrascht aussah.
»Ich blicke auf mein Leben zurück, Kind, und denke an so manche, die in ihren Gräbern liegen, mit denen ich auf freundlicherem Fuße hätte stehen können. Wenn ich die Irrtümer anderer Leute bei ihren Heiraten hart beurteilte, so kam dies vielleicht daher, daß ich selbst leider Grund genug hatte, meine eignen hart zu beurteilen. Schweigen wir davon. Ich bin eine launische, mürrische Frau seit vielen Jahren und werde es immer sein. Aber du und ich haben einander einiges Gute getan, Trot, – jedenfalls hast du mir viel Liebe entgegengebracht, mein Sohn, und es darf keine Uneinigkeit zwischen uns entstehen.«
»Eine Uneinigkeit zwischen uns, Tante?!«
»Kind, Kind«, sagte meine Tante und strich ihr Kleid glatt. »Wie bald sie entsteht, oder wie unglücklich ich unser liebes Blümchen machen würde, wenn ich mich in irgend etwas dreinmischte, vermag nicht einmal ein Prophet voraussagen. Ich will, daß unser Liebling mich gern hat und so sorglos ist wie ein Schmetterling. Denke an dein eignes Vaterhaus nach jener zweiten Heirat und tue niemals mir und dir zum Schaden, was du erwähnt hast.«
Ich begriff sofort, daß meine Tante recht hatte und verstand ihre Fürsorge für meine liebe Gattin in ihrer ganzen Fülle.
»Ihr seid noch nicht lange verheiratet, Trot, und Rom wurde nicht in einem Tag erbaut und auch nicht in einem Jahre. Du hast frei gewählt!« – Mir kam es vor, als ob für einen Augenblick ein Schatten ihr Gesicht überfliege – »Und du hast ein sehr hübsches und dich zärtlich liebendes Mädchen gewählt. Es ist deine Pflicht und wird auch deine Freude sein das weiß ich natürlich, und ich will dir keine Vorlesung halten –, sie gemäß den Eigenschaften zu schätzen, die sie hat, und nicht nach denen, die ihr fehlen. Die letzteren mußt du in ihr entwickeln, wenn du kannst. Und wenn du es nicht kannst, Kind«, – hier rieb sich meine Tante die Nase – »so mußt du dich eben gewöhnen, auch so auszukommen. Niemand kann euch beistehen, und ihr müßt euch eure Zukunft selber schaffen. So ist die Ehe, Trot, und der Himmel segne die eure, ihr beiden armen Kinderchen im Walde.«
Meine Tante sagte dies in einem fast heitern Tone und gab mir einen Kuß, um ihren Segen zu bekräftigen.
»Jetzt zünde mir meine Laterne an und bring mich durch den Garten in mein Putzkästchen. Grüße unser Blümchen von Betsey Trotwood, wenn du zurückkommst, und was du immer tun magst, Trot, niemals denke daran, Betsey als Vogelscheuche aufzustellen, denn wenn der Spiegel recht hat, sieht sie grimmig und abschreckend genug auch sowieso aus.«
Damit wickelte sie ihren Kopf in ein Taschentuch, machte wie immer bei solchen Gelegenheiten ein Bündel daraus, und ich geleitete sie nach Hause. Als sie in ihrem Garten stand und ihre Laterne, um mir zurückzuleuchten, in die Höhe hielt, glaubte ich wieder jenen bekümmerten Ausdruck in ihrem Auge zu erkennen.
Dora kam in ihren Pantöffelchen heruntergeschlichen, um mich zu begrüßen, und sank weinend an meine Schulter und sagte, ich sei hartherzig und sie nichtsnutzig, und ich glaube, ich sagte dasselbe, und wir söhnten uns aus und kamen überein, daß unser erster kleiner Zwist auch unser letzter sein sollte. Und wenn wir hundert Jahre alt würden.
Unsere nächste häusliche Prüfung war die Feuertaufe der Dienstboten. Mary Annes Vetter desertierte und wurde von einem Piquet seiner Kameraden mit Handschellen aus unserer Kohlenkammer geholt und in einer Prozession, die unsern Hausgarten mit Schmach bedeckte, abgeführt. Das gab mir den Mut, mich von Mary Anne loszumachen, die nach Empfang ihres Lohnes so sanft schied, daß ich mich wunderte, bis ich die Geschichte mit den Teelöffeln entdeckte und dahinterkam, daß sie kleine Summen in meinem Namen bei den Kaufleuten in der Nachbarschaft schuldig geblieben war. Nach einem Interregnum der Mrs. Kidgerbury – der ältesten Einwohnerin von Kentish Town, die sich als Zugeherin vermietete, aber zu schwach war, um diese Kunst auszuüben, – gewannen wir ein anderes Kleinod, ein außerordentlich liebenswürdiges Frauenzimmer, das es sich aber für gewöhnlich zur Aufgabe machte, mit dem Präsentierbrett die Küchentreppe hinauf- oder herunterzufallen, und sich stets mit dem Teeservice in das Zimmer wie in ein Bad stürzte. Nachdem die Verwüstungen, die diese Unglückliche anrichtete, ihre Entlassung notwendig gemacht hatten, folgte ihr – wieder nach einem Interregnum der Mrs. Kidgerbury – eine lange Reihe gänzlich Unfähiger, deren Schluß ein junges Mädchen von feinem Aussehen bildete, das schließlich mit Doras Hut auf den Jahrmarkt von Greenwich ging. Nach diesem Vorfall weiß ich nur von einer durchschnittlichen Gleichförmigkeit von Mißgriffen zu berichten.
Jedermann, der mit uns in Berührung kam, schien uns zu betrügen. Unser Eintritt in einen Laden gab das Signal, auf das alle verdorbenen Waren sogleich herbeigeschleppt wurden. Wenn wir einen Hummer kauften, war er voll Wasser. Unser Fleisch war immer zäh und auf dem Brot niemals Rinde. Um das Prinzip herauszufinden, nach dem eine Keule gebraten werden mußte, um gerade richtig gar zu sein, sah ich selbst im Kochbuch nach und fand dort eine Viertelstunde für jedes Pfund angegeben. Aber das Prinzip gelangte durch seltsames Mißgeschick niemals in Anwendung, und niemals konnten wir den Mittelweg zwischen rohem Fleisch und Kohle treffen.
Ich glaube, daß wir bei all diesen Fehlschlägen teuerer lebten, als wenn wir jeden Tag ein Siegesgepränge veranstaltet hätten. Wenn ich die Rechnungen durchsah, kam es mir vor, als ob wir das ganze untere Stockwerk mit Butter hätten pflastern können, so entsetzlich viel verbrauchten wir von diesem Artikel. Ich weiß nicht, ob die Steuerberichte dieser Zeit eine vermehrte Nachfrage nach Pfeffer nachgewiesen haben; aber wenn unser Konsum wirklich keinen Einfluß auf den Markt ausübte, so müssen wahrscheinlich zahllose Familien gleichzeitig die Verwendung von Pfeffer ganz aufgegeben haben.
Und das Allerwunderbarste war, daß wir nie etwas im Hause hatten.
Daß die Waschfrau unsere Kleider versetzte und in reuiger Betrunkenheit uns um Verzeihung bitten kam, will ich nicht erwähnen, ebenso nichts über den Schornsteinbrand und die Kirchspielspritze und den Amtsmeineid des Ortsdieners.
Eine unserer ersten Niederlagen bildete ein kleines Mittagessen für Traddles. Ich traf ihn in der Stadt und lud ihn ein, zum Essen mit mir zu kommen. Da er annahm, schrieb ich an Dora, daß ich ihn mitbringen würde. Mein häusliches Glück bildete unterwegs unser Gesprächsthema. Traddles war ganz benommen davon und sagte, er könne sich keine größere Wonne denken, als sich eine solche Häuslichkeit mit Sophie auszumalen.
Ich konnte mir kein hübscheres Frauchen am Tisch wünschen, hätte aber gern mehr Platz gehabt, als wir uns hinsetzten. Ich weiß nicht, wie es kam, selbst wenn wir nur zu zweit aßen, waren wir wie eingezwängt, und doch fehlte es nie an Platz, wenn es galt, etwas zu verlieren. Ich vermute, die Ursache war, daß nie etwas an seinem richtigen Orte stand, außer daß Jips Pagode stets den Eingang versperrte. Diesmal saß Traddles so eingeklemmt zwischen der Pagode, dem Gitarrenfutteral, Doras Staffelei und meinem Schreibtisch, daß ich wirklich zweifelte, ob er Messer und Gabel würde gebrauchen können. Aber er wollte es mit der ihm eigenen guten Laune nicht eingestehen. »Ein Weltmeer von Platz, Copperfield. Ich versichere dir, ein Weltmeer.«
Noch etwas anderes hätte ich gerne gesehen, nämlich daß Jip nicht während des Essens auf dem Tischtuch hätte herumlaufen dürfen. Es kam mir so vor, als ob sich das überhaupt nicht gehörte, selbst wenn er nicht die Gewohnheit gehabt hätte, mit dem Fuß in das Salzfaß oder in die zerlassene Butter zu treten. Diesmal schien er sich ausdrücklich für berufen zu halten, Traddles einzuschüchtern, denn er bellte meinen alten Freund an und machte mit solcher Hartnäckigkeit Ausfälle gegen seinen Teller, daß er die Unterhaltung fast allein in Anspruch nahm.
Da ich aber wußte, wie schmerzlich meine liebe Dora jede Beeinträchtigung ihres Lieblings empfand, wagte ich keinen Einwand. Ich konnte auch nicht umhin mich zu fragen, als ich die Schöpsenkeule tranchierte, warum unsere Fleischstücke immer so seltsam geformt seien; – als ob unser Fleischer alle mißgestalteten Hammel, die auf die Welt kamen, zusammenkaufte. Aber ich behielt meine Gedanken für mich.
»Liebling«, sagte ich zu Dora, »was ist in dieser Schüssel?«
Ich verstand nicht, warum Dora mir immer ein Gesichtchen schnitt, als ob sie mich küssen wollte.
»Austern, Schatz!« sagte Dora schüchtern.
»Bist du auf den Einfall gekommen?« fragte ich ganz erfreut.
»J-ja, Doady.«
»Ein brillanter Einfall!« rief ich aus und legte das Tranchiermesser hin. »Traddles ißt sie außerordentlich gern.«
»J-ja, Doady. Ich habe ein kleines Fäßchen gekauft, und der Mann sagte, sie wären sehr gut. Aber ich – ich fürchte, es ist etwas nicht ganz in der Ordnung damit.« Sie senkte den Kopf, und Diamanten glitzerten in ihren Augen.
»Man muß sie aufmachen«, sagte ich. »Nimm die oberste Schale weg, Liebling.«
»Aber sie geht nicht auf«, sagte Dora, machte mit großer Anstrengung einen Versuch und sah sehr betrübt drein.
»Weißt du was, Copperfield«, lachte Traddles fröhlich, »die Ursache ist – es sind vortreffliche Austern, aber ich glaube die Ursache ist –, sie sind noch nicht aufgebrochen worden.«
So war es. Wir hatten kein Austernmesser und hätten es auch nicht zu gebrauchen verstanden. So sahen wir denn die Austern bloß an und aßen das Schöpsenfleisch. Das heißt den Teil, der nicht roh war, und vervollständigten das Mahl mit Kapern. Wenn ich es gestattet hätte, würde Traddles aus sich einen wahren Wilden gemacht und einen Teller rohen Fleisches gegessen haben, um die Schmackhaftigkeit des Gerichtes zu beweisen; aber ein solches Opfer auf dem Altar der Freundschaft wollte ich nicht dulden, und zum Glück fand sich zufällig Schinken in der Speisekammer.
Mein armes kleines Frauchen war so betrübt, als es glaubte, ich ärgere mich, und so erfreut, als es sah, daß es nicht der Fall war, daß die Mißstimmung bald verschwand und wir einen sehr fröhlichen Abend verlebten. Während Traddles und ich ein Glas Wein tranken, ergriff sie jede Gelegenheit, um mir zuzuflüstern, es sei hübsch von mir, daß ich mich nicht wie ein alter, böser, zänkischer Mann benähme. Später goß sie Tee für uns auf und sah dabei so hübsch aus, daß ich mich um die Beschaffenheit des Getränks nicht sehr kümmerte. Dann spielte ich mit Traddles eine Partie Cribbage, und Dora sang dabei zur Gitarre, und mir war, als ob unser Brautstand und unsere Heirat nur ein schöner Traum seien und ich immer noch wie damals an jenem ersten Abend ihrer Stimme lauschte.
Als Traddles fort war, setzte sie sich dicht neben mich und sagte:
»Ich bin so unglücklich; möchtest du nicht versuchen, Doady, mir etwas beizubringen?«
»Ich muß selbst erst lernen, Dora«, sagte ich. »Ich bin auch nicht klüger als du, Schatz.«
»Aber du kannst lernen und bist ein sehr, sehr gescheiter Mann.«
»Unsinn, meine kleine Maus!«
»Ich wollte«, begann sie nach einem langen Schweigen wieder, »ich hätte einige Jahre aufs Land gehen und mit Agnes zusammenwohnen können.«
Ihre Hände lagen gefaltet auf meiner Schulter, ihr Kinn ruhte darauf, und ihre blauen Augen sahen still in die meinen.
»Warum?« fragte ich.
»Ich glaube, es hätte mir viel nützen können, und ich hätte viel von ihr gelernt.«
»Du mußt bedenken«, sagte ich, »daß Agnes viele Jahre für ihren Vater die Wirtschaft führte. Als Kind schon war sie die Agnes, die wir kennen.«
»Willst du mir einen Namen geben, den ich gerne haben möchte, Doady?«
»Was für einen Namen?« fragte ich lächelnd.
»Es ist ein dummer Name«, sagte sie und schüttelte einen Augenblick die Locken: »kindisches Frauchen.«
Ich fragte sie lachend, was sie sich bei diesem Wunsche denke.
»Ich meine nicht etwa, du närrischer Junge, daß du mich so rufen sollst, anstatt Dora. Ich will nur, daß du so an mich denken sollst. Wenn du mir bös bist, so denk dir: ich wußte schon lange, daß sie auch als Gattin nur ein kindisches Frauchen sein wird. Wenn du an mir vermissest, was ich gern sein möchte und vielleicht nie werden kann, so sag dir nur: mein kindisches Frauchen liebt mich doch.«
Ich hatte nicht ernsthaft mit ihr gesprochen, denn ich ahnte nicht, daß sie selbst in vollem Ernste war. Aber ihr weiches Gemüt war so glücklich über das, was ich ihr jetzt aus vollem Herzen sagte, daß ihr Gesicht vor Freude strahlte, ehe noch ihre Augen trocken wurden. Sie war bald wieder das kindische Frauchen und setzte sich auf den Fußboden neben die Pagode und läutete nacheinander alle die kleinen Glocken, um Jip für eine Unfolgsamkeit zu bestrafen, während er blinzelnd auf dem Boden lag, zu träge, um sich necken zu lassen.
Doras Bitte machte einen großen Eindruck auf mich. Ich blickte auf die Zeit zurück, von der ich schreibe; ich beschwöre die unschuldvolle Gestalt, die ich so innig liebte, herauf aus dem Schatten der Vergangenheit, damit das sanfte Antlitz sich noch einmal mir zuwende, und immer noch leben ihre Worte in meinem Gedächtnis. Ich habe sie mir vielleicht nicht so sehr zu Herzen genommen, wie ich sollte – ich war jung und unerfahren –, aber niemals blieb mein Ohr taub gegen die schlichte Bitte.
Kurz darauf sagte mir Dora, daß sie auf dem besten Wege sei, eine ausgezeichnete Hausfrau zu werden. Wirklich polierte sie die Schreibtäfelchen blank, spitzte den Bleistift, kaufte ein ungeheures Rechenbuch, nähte sorgfältig die Blätter des Kochbuchs, die Jip zerrissen hatte, wieder zusammen und nahm einen geradezu verzweifelten Anlauf »gut zu sein«, wie sie es nannte. Aber die Ziffern blieben störrisch wie früher und »wollten sich nicht addieren lassen.« Wenn sie mit großer Mühe zwei oder drei Posten in das Rechnungsbuch eingetragen hatte, geruhte Jip mit wedelndem Schweif über die Seite zu schreiten und alles zu verwischen. Doras kleiner Mittelfinger war bis zur Wurzel schwarz von Tinte, und ich glaube, das war der einzig bleibende Erfolg des Unternehmens.
Manchmal abends, wenn ich zu Hause war und arbeitete – denn ich schrieb jetzt viel und mein Ruf als Schriftsteller wuchs, – legte ich die Feder hin und sah zu, wie mein kindisches Frauchen versuchte, »gut zu sein«. Zuerst holte sie das große Rechnungsbuch hervor und legte es mit einem tiefen Seufzer auf den Tisch. Dann schlug sie die Stellen auf, die Jip am Abend vorher unleserlich gemacht hatte, und er mußte seine Missetat selbst ansehen. Das verursachte eine Abschweifung zu Jips Gunsten und brachte ihm schlimmstenfalls als Strafe einen Tintenstrich auf die Nase ein. Dann befahl sie ihm, sich sofort auf den Tisch zu legen »wie ein Löwe«, – eins seiner Kunststücke, wenn auch die Ähnlichkeit nicht sehr groß war –; und wenn er gelaunt war, gehorchte er. Dann nahm sie eine Feder, um anzufangen, und fand ein Haar drin. Dann nahm sie eine andere Feder und fing wieder an zu schreiben und fand, daß sie spritzte. Dann nahm sie eine dritte, fing an zu schreiben und sagte leise: die hört man und das stört Doady. Und dann gab sie es als ein schlechtes Geschäft auf und legte das Rechnungsbuch weg, nachdem sie vorher noch getan hatte, als wollte sie den »Löwen« damit erdrücken.
Einmal, als sie sehr ernst und pflichteifrig gestimmt war, setzte sie sich mit der Schreibtafel und einem kleinen Korb voll Rechnungen und andern Papieren, die mehr wie Lockenwickel als sonst etwas aussahen, hin und bestrebte sich, ein Resultat herauszubekommen. Nachdem sie alles aufmerksam miteinander verglichen, Notizen auf die Täfelchen geschrieben, sie wieder weggewischt und alle Finger ihrer linken Hand vorwärts und rückwärts gezählt hatte, machte sie ein so verdrießliches und entmutigtes Gesicht und sah so unglücklich drein, daß es mich ordentlich schmerzte und ich leise zu ihr ging und sagte: »Was ist denn, Dora?«
Dora blickte mit hoffnungsloser Miene auf und antwortete: »Sie wollen nicht stimmen. Sie machen mir Kopfweh. Sie tun nicht, was ich will.«
»Wir wollen es zusammen versuchen, ich will dirs zeigen, Dora«, tröstete ich sie.
Ich fing einen praktischen Kursus an, dem Dora vielleicht fünf Minuten lang mit tiefster Aufmerksamkeit zuhörte; aber dann wurde es ihr zu langweilig, und sie brachte Abwechslung in das trockne Thema, indem sie mir die Locken drehte oder versuchte, wie mein Gesicht mit umgeschlagnem Hemdkragen aussähe. Wenn ich ihr stillschweigend wehrte und im Rechnen fortfuhr, machte sie ein so erschrockenes und unglückliches Gesicht, daß die Erinnerung an ihre Worte wie ein Vorwurf über mich kam und ich den Bleistift hinlegte und sie um die Gitarre bat.
Ich hatte viel zu tun und manche Sorge, doch dieselben Rücksichten veranlaßten mich, sie für mich zu behalten. Aber es verbitterte mein Leben nicht. Wenn ich bei schönem Wetter allein meine täglichen Wege ging und an die Sommertage dachte, wo die ganze Luft erfüllt gewesen war mit dem Zauber meiner Kinderjahre, da fehlte mir wohl etwas an der Verwirklichung meiner Träume, aber ich glaubte, es sei der mildernde Glanz der Vergangenheit, den nichts in die Gegenwart herüberbringen kann. Manchmal wünschte ich mir fast, meine Gattin wäre meine Beraterin und besäße mehr Selbständigkeit und Charakter, mich aufrechtzuerhalten und mir beizustehen, – besäße die Kraft, die Leere auszufüllen, die, ich weiß nicht wie, in mir zu wohnen schien.
Ich war den Jahren nach ein fast knabenhafter Ehemann. Wenn ich manchmal etwas Unrechtes getan habe, so geschah es aus mißverstandner Liebe und aus Mangel an Einsicht.
So hatte ich denn die Mühen und Sorgen unseres Lebens auf mich allein genommen, und niemand half mir dabei. Wir lebten fast ganz wie zuvor hinsichtlich der Unordnung unseres Haushaltes, aber ich hatte mich daran gewöhnt und es freute mich, jetzt Dora selten betrübt zu sehen. Sie war in ihrer alten, kindischen Art lustig und heiter, liebte mich zärtlich und fühlte sich glücklich bei ihren gewohnten Spielereien.
Wenn die politischen Debatten von Bedeutung waren ? nämlich der Länge nach, nicht der Qualität – und ich spät nach Hause kam, schlief Dora nicht, sondern kam stets die Treppe herab, wenn sie meine Schritte hörte. War ich abends frei und arbeitete zu Hause, saß sie ruhig neben mir, wie spät es auch immer werden mochte, und verhielt sich so still, daß ich oft glaubte, sie sei eingeschlafen. Aber fast immer, wenn ich aufblickte, sah ich ihre blauen Augen mit ruhiger Aufmerksamkeit auf mich gerichtet.
»O, wie müde du sein mußt, Liebling«, sagte sie eines Nachts, als ich meine Schreibmappe zumachte und ihren Blicken begegnete.
»O, wie müde mein Herzensschatz sein muß«, sagte ich. »Das paßt besser. Ein anderes Mal mußt du zu Bett gehen. Es ist viel zu spät für dich geworden.«
»Nein, schicke mich nicht zu Bett«, bat Dora und schmiegte sich an mich. »Bitte, tu das nicht!«
»Dora!« Zu meinem Erstaunen schluchzte sie an meiner Schulter.
»Bist du nicht wohl, Liebling? nicht glücklich?«
»Ja! Ganz wohl und sehr glücklich. Aber laß mich immer bei dir bleiben und dir zusehen, wenn du schreibst.«
»Aber was ist das für so helle Augen um Mitternacht für ein Anblick!«
»Sind sie wirklich hell?« fragte Dora lächelnd. »Ich bin so froh, wenn sie hell sind.«
»Kleine Eitelkeit!« sagte ich.
Aber es war nicht Eitelkeit, es war bloß harmlose Freude an meiner Bewunderung. Ich wußte das genau, und sie hätte es mir nicht erst versichern brauchen.
»Wenn du meinst, sie sind hübsch, so laß mich doch dableiben und dir beim Schreiben zusehen«, sagte sie. »Meinst du wirklich, sie sind hübsch?«
»Sehr hübsch!«
»Dann laß mich dableiben und dir beim Schreiben zusehen.«
»Ich fürchte sehr, daß das zu ihrem Glanz nicht beiträgt, Dora.«
»Doch! Doch! Weil du mich dann nicht vergessen wirst, du gescheiter Mann, während du von stillen Phantasien erfüllt bist. Wirst du böse sein, wenn ich etwas sehr, sehr Albernes sage?« fragte Dora, mir über die Schulter ins Gesicht blickend.
»Was denn?«
»Bitte laß mich die Federn halten, Doady. Ich möchte etwas zu tun haben während der vielen Stunden, wo du so fleißig bist. Darf ich die Federn halten?«
Die Erinnerung an ihren allerliebsten Freudenausbruch, als ich Ja sagte, treibt mir die Tränen in die Augen. Schon beim nächsten Mal und von da an jeden Abend, wenn ich schrieb, saß sie auf ihrem alten Platze mit einem Bündel Federn neben sich. Ihr Triumph, auf diese Art an meiner Arbeit teilzunehmen, und ihre Freude, wenn ich eine neue Feder brauchte, brachte mich auf einen neuen Gedanken. Ich tat, als müßte ich ein paar Seiten Manuskript abschreiben lassen. Und dann strahlte Dora. Die Vorbereitungen, die sie zu solchen großen Arbeiten traf, sind für mich liebe rührende Erinnerungen. Die Schürzen, die sie vornahm, die Lätzchen, die sie aus der Küche borgte, um sich nicht Tintenflecke zu machen, die Zeit, die sie dazu brauchte! Die unzähligen Pausen, die sie einflocht, um Jip anzulachen, als ob er alles verstünde, – wie sie überzeugt war, daß die Arbeit nicht fertig sei, wenn nicht ihr voller Name darunter stünde! Und die Art, mit der sie mir die Schrift überreichte, als wäre es eine Schularbeit, und mir dann, wenn ich sie lobte, um den Hals fiel!
Nicht lange später nahm sie eines Tages die Schlüssel in Besitz und klimperte mit dem ganzen Bund in einem kleinen Körbchen an ihrer schlanken Taille im Hause herum. Nur selten fand ich die Schränke verschlossen und nur selten waren sie zu etwas anderm gut als zu einem Spielzeug für Jip; aber Dora hatte ihre Freude dran, und das machte auch mir Freude. Sie war fest überzeugt, daß durch dieses Spiel viel für die Wirtschaft geschähe, und war so fröhlich, als ob wir zum Spaß haushielten und eine Puppenwirtschaft führten.
So lebten wir fort. Dora war gegen meine Tante kaum weniger zärtlich als gegen mich und erzählte ihr oft, wie sie sich einst vor ihr gefürchtet habe als vor einer mürrischen alten Frau. Noch nie habe ich meine Tante so systematisch milde gegen jemand auftreten sehen wie gegen Dora. Sie hätschelte Jip, obgleich er es ihr nie vergalt, hörte Tag für Tag dem Gitarrenspiel zu, obgleich sie, fürchte ich, keinen Sinn für Musik hatte. Nie fiel sie über unsere unfähigen Dienstboten her, so stark die Versuchung gewesen sein muß. Sie legte erstaunliche Strecken zurück, um Dora mit manchen nötigen Kleinigkeiten zu überraschen, und kam nie, ohne unten an der Treppe mit einer Stimme, die fröhlich durch das ganze Haus klang, zu rufen:
»Wo ist das kleine Blümchen?«