Auf einem Lager von weichen, weißen Bärenfellen ruhte ein schöner blasser Jüngling; neben ihm kniete eine hoheitsvolle Frau mit strengen harten Zügen; aber jetzt sah man nur Leid in ihren Augen, Gram und heiße Angst. Sie sah die Eintretenden nicht, sprach nur immer mit flehenden Worten zu dem Jüngling:
"Du darfst nicht sterben! Du darfst mich nicht verlassen! O könnte ich dir geben, wonach du verlangst! Siehe, den Kupferwald schuf ich dir, den silbernen Wald, den goldenen Wald und die Demantwiese. Sind sie nicht schöner als alles auf der Erde, schöner als alle grünen Wälder mit ihren vergänglichen bunten Blumen?"
"Mutter, da singen keine Vögel, da reifen keine Früchte, da spielen und scherzen keine fröhlichen Menschen; ich sterbe vor Sehnsucht nach Blumen, Vogelsang, nach fröhlichen, glücklichen Menschen."
Ermattet schloß er die Augen. Die Königin blickte verzweifelt um sich, da gewahrte sie die Eingetretenen. Ach, zu keiner glücklichen Stunde waren sie gekommen. Der Anblick der Prinzessin erfüllte die Königin mit namenlosem Grimm.
"Wie wagst du es hier einzudringen, die du Schuld trägst an all dem Leid! - Nun mußt du sterben!"
Peter hatte schützend seinen Arm um die Jungfrau gelegt. "Gibt es denn nichts auf Erden, was deinen Zorn wenden kann? Alles, alles, was du gebeutst [gebietest], will ich erfüllen. Nur schenke dieser Jungfrau das Leben! Erlöse sie von dem Fluche, den du über sie gesprochen", sprach er.
Voll Zorn wollte ihn die Königin zurückstoßen; schon hatte sie das Schwert erhoben, ihn zu töten; doch langsam ließ sie den Arm sinken. Ein Blick auf ihren Sohn, der reglos auf dem Lager ruhte, und sie sprach: "Es gibt einen Becher der Freude und ein Kraut der Glückseligkeit. Drei Tropfen vom Safte dieses Krautes aus diesem Becher getrunken heilen alle Leiden. Schafft sie mir, so schenke ich euch das Leben, gebe dir, Prinzessin Sonnenschein, deine Gestalt zurück und ihr mögt heimkehren in euer Land. Doch den Becher hütet ein Drache im Lande der Nacht, und das Kraut wächst auf dem Berg Fragmichnichtwo. Nun geht und Glück zur Reise!"
Damit wies sie die beiden aus der Burg. Die Fackeln erloschen, und Nacht und Dunkel war ringsumher.
"Prinzessin, wir müssen uns trennen", sprach Peter. SSuche du das Kraut, ich werde den Drachen suchen und ihn bekämpfen. Der liebe Gott möge dich leiten! - Wäre nur mein Glühwürmchen hier, uns den Weg zu erhellen!"
Da war es auch schon taghell. Peter erkannte seinen kleinen Freund, der mit seinem Volk gekommen war, ihnen zu helfen.
"Wer wird mir den Weg weisen zum Berge Fragmichnichtwo, zum Kraute der Glückseligkeit? Glühwürmchen, kennt ihr ihn?" fragte die Prinzessin; doch bekümmert schwiegen die Glühwürmchen.
"Sei guten Mutes," sprach eine sanfte Stimme, "ich kenne alle Kräuter der Welt, ich weiß, wo das Kraut der Glückseligkeit zu finden ist. Aber der Weg ist weit, er geht über Dornen und Disteln, durch Sonnenglut und Eisesnacht. Fühlst du dich stark, das alles zu erdulden?"
Die Prinzessin schaute sich um und gewahrte das treue Lamm, das also gesprochen hatte.
"Der gute Jüngling hat um mich alles gewagt." sprach sie, "wie sollte ich nicht das eine tun können, sein Leben zu erretten? Zeige mir den Weg, führe mich! Ich folge dir!"
Ehe Peter noch ein Wort sagen konnte, war sie enteilt.
"Nun denn, so führt mich durch die Nacht hin zum Drachen!" sprach er und schritt den hellen Sternen nach, die ihn leiteten.
Durch grause Tiefen ging der Weg, über stille Felsen. Schließlich langten sie bei einer tiefen Schlucht an, und als Peter hinabblickte, da lag dort der Drache und schlief; unter dem einen Flügel glänzte etwas mit rotem Schein. Als Peter sich über den Rand des Abgrundes beugte, da löste sich ein Stein und rollte hinab. Der Drache erwachte, wutschnaubend fuhr er empor. Doch Peter war nicht faul, er zog sein goldenes Schwert und hieb ihm alle drei Köpfe auf einmal ab, denn das hatte ich noch zu sagen vergessen: der Drache hatte drei Köpfe. Da lag das Untier nun tot.
Peter stieg hinab, durchsuchte die Kluft, und richtig, da lag ein Becher von rotem Rubin, der funkelte und strahlte, als sei Leben in ihm.
"Heil dir, du Becher der Freude!" sprach Peter und schwang ihn, "bringe Genesung dem bleichen Jüngling und uns die Freiheit!"
So schnell er konnte, eilte er nun zurück zur Burg doch je näher er kam, desto banger wurde ihm ums Herz, ob Prinzessin Sonnenschein glücklich ans Ziel gelangte und zurückkehren würde.
Die Königin empfing ihn wortlos, wortlos nahm sie ihm den Becher aus der Hand, stellte ihn neben das Lager und harrte, daß die Prinzessin käme. Doch Stund auf Stunde verrann; sie kehrte nicht zurück. Der Tag neigte sich, die Nacht brach an; niemand kam. So vergingen Tage und Tage. Der Prinz wurde schwächer und schwächer. Angstvoll lauschte die Königin auf die Schläge seines Herzens, angstvoll lauschte sie, ob nicht Prinzessin Sonnenschein nahe.
Da, eines Tages, war es ihr, als stünde sein Herz still. Voll Verzweiflung sprang sie auf:
"Sie soll es büßen, die Saumselige! Kehrt sie jetzt zurück, so töte ich sie, wie sie meinen Sohn getötet hat Sein Herz steht still; er ist tot."
Da sprang Peter vor, warf sich ihr zu Füßen, zog sein Schwert und sprach: "Nimm mich hin, nur schon ihrer! Siehe, ich gebe dir mein Herz aus der Brust. Nimm es, setze es deinem Sohne ein! Fühle, wie heil und wild es schlägt! Hier, nimm mein Herz!"
Schon setzte er das Schwert an - da hörten st einen Jubelruf, und in der Tür stand Prinzessin Sonnenschein, neben ihr das treue Lamm. Hoch in der Rechten schwang sie das Kraut. Sie weinte und lächelte vor Freude, und die Perlen rollten und die Rosen fielen von ihren Lippen, daß sie wie in einem Blütenmeer stand. Der wundersame Rosenduft durchzog das Gemach, drang auch zum Lager des Prinzen. Da röteten sich seine Wangen; er schlug die Augen auf, und eine unendliche Freude strahlte in ihnen auf.
"Mutter, schau diese Blumen, die fröhlichen Menschen! Ich bin gesund", und frisch und kräftig stand er vor der Königin.
Da ergriff Prinzessin Sonnenschein den Becher der Freude, träufte drei Tropfen vom Kraute der Glückseligkeit hinein. Hell strahlte er auf in purpurrotem Schimmer. Sie reichte ihn der Königin, und als die ihn an die Lippen setzte, da erscholl ein Donnerschlag, und als sie sich umsahen, da war die Eisburg verwandelt in ein herrliches Schloß aus Kristall und weißem Marmor.
Wo aber eben noch das treue Lamm gestanden, da stand ein holdseliges Mägdlein mit goldlockigem Haar und einem Lächeln wie die Sonne.
Der Prinz nahm sie bei der Hand und sprach: "Du bist mein, ich bin dein, nur das Grab soll uns trennen."
Die Königin aber umarmte und küßte Prinzessin Sonnenschein und Peter, schenkte ihnen die Freiheit und ließ sie heimziehen in ihr Land.
Daß ich aber das Wichtigste nicht vergesse: Als die Eisburg verschwunden war, da schwanden draußen auch Eis und Nacht. Eine helle Sonne schien auf die braune Erde; doch die blieb nicht lange braun und nackt. Prinzessin Sonnenschein schaute sie an: da grünte und blühte es allüberall; das ganze Land war bald wie ein Garten zu sehen. Einen Kupfer-, Silber- und Goldwald gab es nun freilich nicht mehr, dafür aber prächtige grüne Wälder, und das ist denn doch viel schöner, meine ich. Nun kamen auch die Vöglein, bauten dort ihre Nester und sangen und jubilierten.
Als Prinzessin Sonnenschein und Peter heimkamen in ihr Land, da herrschte Jubel und Freude. Peter heiratete die Prinzessin, und der König übergab ihm die Herrschaft im Lande. Und es wurde wieder das schönste Land der Erde; denn die junge Königin ließ alles in ewigem Frühling blühen und bannte Mangel und Not. Und so lebten sie in Glückseligkeit, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.