Es lebte einst ein König, der hatte eine schöne Tochter. Von weit und breit zogen die Prinzen hin, um sie zu freien. Doch sie wollte nicht heiraten und ließ sich von ihren Freiern ein Rätsel aufgeben; wenn sie es auflösen konnte, verfiel der Waghals dem Tode und wurde gehängt.
Ein benachbarter Königssohn hörte von der wunderlichen Prinzessin und nahm sich vor, sein Glück zu versuchen. Seinem alten Diener teilte er sein Vorhaben mit, verbot ihm aber, seinen Eltern etwas davon zu sagen. Der nächste Morgen war zur Abreise festgesetzt. Doch der Diener, dem alten König treu ergeben, verriet den Plan.
Der König ließ seinen Sohn rufen und wollte ihn von seinem Vorhaben abbringen, doch der Prinz hörte nicht auf seinen Vater; dieser nahm sich daher vor, seinen Sohn zu vergiften, damit er nicht durch Henkershand sterbe.
Früh am nächsten Morgen stand der Prinz auf und bestieg das von seinem Diener vorgeführte Pferd; er wollte die Burg verlassen, ohne seinem Vater Lebewohl gesagt zu haben. Indes erschien der König an der Tür und reichte ihm zum Abschied einen Becher. Der Prinz aber, Böses ahnend, schüttete das Getränk über den Kopf des Pferdes hinab, rief seinem Vater einen Gruß zu und ritt zur Pforte hinaus; sein Diener hinter ihm her. Nachdem sie einige Tage geritten waren, kamen sie in einen großen Wald, welcher kein Ende zu nehmen schien. Da machte das Pferd des Prinzen auf einmal einen fürchterlichen Satz, der Prinz verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden, und das Pferd stürzte tot nieder. Das Gift hatte den ganzen Kopf und den Hals des Tieres durchfressen. Nun mussten sie sich mit einem Pferd behelfen.
Wieder reisten sie mehrere Tage, da kamen sie in eine Waldlichtung und sahen hier eine Schar wild aussehender, bis an die Zähne bewaffneter Männer um eine Grube stehen. Sie wollten zurücktreten, doch es war schon zu spät, man hatte sie bemerkt. Es trat einer aus dem Haufen hervor und fragte sehr freundlich, wohin die Reise gehe. Nachdem der Prinz ihnen gesagt hatte, was er vorhabe, lachten ihm die Räuber ins Gesicht.
»Bleib lieber bei uns«, sagten sie ihm, eben jetzt haben wir unseren Hauptmann begraben, und wenn du willst, kannst du an dessen Stelle treten.«
Wer weiß, wozu das gut ist, dachte er, nahm den Antrag an, und so wurde er von der versammelten Bande, aus neunundvierzig Männern bestehend, als Führer gewählt. Sie nahmen ihn samt seinem Diener in ihre Mitte und führten ihn durch dick und dünn, bis sie endlich in ein Wildtal kamen und vor einem Felsblock stehen blieben. Einer der Räuber drückte an eine geheime Feder; sogleich drehte sich der Stein wie in Angeln und ließ einen anfangs engen, niederen, sich aber immer mehr erweiternden Gang sehen, welcher durch viele Fackeln und Lampen erleuchtet war. Dieser Gang mündete in eine geräumige Höhle, von wo aus sich viele Gänge verzweigten. In dieser Halle war ein langer Tisch aufgestellt und mit vielen Speisen bedeckt. Sie setzten sich um den Tisch, aßen und tranken nach Herzenslust und verteilten sich dann in ihre Gemächer. Einige blieben bei dem neuen Hauptmann, um ihm ihre Reichtümer zu zeigen. Sie führten ihn herum, zeigten ihm ihre Schatzkammer, ihre Waffensäle und Stallungen, denn sie hatten auch Pferde. Dann musste er schwören, sie nie zu verlassen.
Am anderen Tag machten sich die Räuber auf, um wie gewöhnlich ihre Raubzüge zu unternehmen, ließen aber ihren Hauptmann nebst seinem Diener zurück, damit sie sich ausruhen konnten. Dem Diener war aber nicht ganz wohl dabei, darum verließ er die Höhle mit dem Versprechen, bald wieder zurückzukommen. Durch Zufall kam er an die Stelle, wo der vergiftete Gaul lag; da sah er, dass am Kopf des Tieres zwölf tote Raben lagen, welche wahrscheinlich von den vergifteten Teilen gefressen hatten. Da dachte er, vielleicht könnte er sich und seinen Herrn von der sauberen Gesellschaft befreien, wenn es ihm gelänge, die Räuber zu vergiften. Er nahm daher sein Weidmesser, schnitt die vergifteten Teile ab und steckte sie samt den Raben in seine Jagdtasche.
In der Höhle angelangt, richtete er das Mitgebrachte zu, machte aber seinen Herrn aufmerksam, ja von dem Wildbret nichts zu essen, welches er auftischen würde.
Bald darauf kamen die Räuber heim und waren lustig und guter Dinge, da sie einen guten Fang gemacht hatten; ermüdet setzten sie sich zu Tische und ließen sich's wohl schmecken. Doch bald nachdem sie gegessen, spürten sie heftige Bauchschmerzen, und nacheinander erlagen sie dem Gift. Der Hauptmann und sein Diener stellten sich, als ob sie auch heftige Schmerzen hätten. Als die Räuber alle reglos dalagen, machte sich der Prinz auf, wählte aus den Stallungen ein Paar der schönsten Pferde und streute den anderen zur Genüge Futter vor, damit sie, im Falle sie nicht bald wiederkämen, auf eine Zeitlang Nahrung hätten. Hierauf verließen sie die Höhle, nachdem sie die Leichen in den vorbei fließenden Wildbach geworfen hatten. Bald erreichten sie das Ende des Waldes und sahen jetzt das Ziel ihrer Reise, die Stadt, vor sich liegen.
Der Prinz ließ sich durch seinen Diener bei dem König melden. Er wurde von diesem sehr freundlich aufgenommen, und der König fragte nach seinem Begehren. Als ihm der Prinz sagte, dass er gekommen sei, der Prinzessin ein Rätsel aufzugeben, wurde der König sehr traurig und bat ihn, von seinem Willen abzustehen. Doch der Prinz ließ es sich nicht ausreden und wurde daher der Prinzessin gemeldet. Diese ließ sich von ihm das Rätsel vorlegen.
Er tat es, indem er sprach: »Eins schlägt zwölf, zwölf schlagen neunundvierzig; sage mir, was heißt dies?«
Die Prinzessin schien verlegen und bat ihn um eine Frist von drei Tagen, damit sie das Rätsel überdenken könne. Der Prinz gestattete es, und es wurden ihm hierauf einige Gemächer eingeräumt, während man seinem Diener eine Stube zum Aufenthalt anwies.
Die Prinzessin wusste sich weder zu raten noch zu helfen, denn ein solches Rätsel war ihr noch nicht vorgekommen. Sie bot daher alles auf, den Diener des Prinzen zu bestechen, um von ihm die Auflösung zu erfahren. Sie schickte ihren Kammerdiener, einen durchtriebenen Kopf, zu ihm, damit er alles anwende, um die Auflösung zu erfahren.
Der Kammerdiener nahm einen tüchtigen Krug voll des kräftigsten Weines mit, um dem Diener einen Rausch anzuzechen; doch das war vergeblich. Der alte Diener trank den zierlichen Kammerdiener unter den Tisch und schnitt ihm dann den Knebelbart ab, um ein Zeichen zu besitzen, mit welchem er die List der Prinzessin darlegen könne. Außerdem prügelte er ihn tüchtig durch, so dass dieser froh war, mit heiler Haut davonzukommen.
Dies schüchterte die Prinzessin zwar ein; sie schickte aber trotzdem ihren Kutscher ab. Dieser war ein riesiger Kerl, mit dem nicht zu spaßen war. Es erging ihm nicht besser; auch er bekam, nachdem er einen Rausch hatte, eine Tracht Prügel. Betäubt fiel er nieder; da band ihm der Alte die Füße, holte sein Rasiermesser hervor und schor ihm den Kopf kahl, sodann warf er ihn zur Tür hinaus.
Jetzt nahm sich die Prinzessin vor, ihr Glück selbst zu versuchen, und wollte sich deshalb zu dem Diener begeben. Dem kam es zu Ohren, und er sagte es daher seinem Herrn. Dieser nahm den Posten des Dieners ein, um die Prinzessin genauer zu sehen. Er war entzückt von der Schönheit derselben und erzählte ihr seine ganze Geschichte und somit auch die Auflösung des Rätsels. Da kam sein Diener hinzu, ergriff seine Peitsche und maß ihr ein paar auf, obwohl sein Herr abwehrte. Auch nahm er ihr den kostbaren Ring ab, den er am Finger der Prinzessin bemerkte.
Der festgesetzte Tag kam heran. Der Prinz fand sich pünktlich ein, und die Prinzessin erwartete ihn schon. Sie lud ihn ein, sich niederzusetzen; darauf nahm sie das Wort und sprach: »Du bist ein Prinz und solltest von deinem Vater vergiftet werden, schüttetest jedoch das Gift, welches er dir reichte, über dein Pferd, so dass dieses starb; von diesem Pferd fraßen zwölf Raben, und auch diese erlagen dem Gift, und mit diesen Tieren tötetest du neunundvierzig Räuber, um dich frei zu machen. Habe ich recht geraten?«
»Ja«, erwiderte er und war auf alles gefasst.
Da trat der Diener des Prinzen hervor und sagte, die Prinzessin habe nur durch List die Auflösung erfahren. Und das bewies er durch den Knebelbart, die Haare und endlich den Ring. Da musste die Prinzessin eingestehen, dass sie nur durch List die Auflösung erfahren habe, und gab dann ihre Hand dem Prinzen.
Ob er sie genommen hat, das weiß ich nicht.