In einem Dorf wurde einst eine Hochzeit gehalten, bei welcher man gut schmauste. Der Hund des Bräutigams bekam aber nicht das mindeste und litt großen Hunger. Voll Verdruss ging er in den Garten, der zu dem Haus gehörte, legte sich dort nieder und knurrte. Da kam eine wachsgelbe Ammer dahergeflogen, setzte sich auf einen Baum und blickte auf den Hund herab, der eine traurige Miene machte. Als dies die Ammer bemerkte, flog sie näher zu dem Hund, und fragte ihn, warum er so traurig sei.
Der Hund antwortete: »Warum soll ich nicht traurig sein? In unserem Haus ist eine Hochzeit, es wird viel gegessen und getrunken, und ich muss Hunger leiden.«
»Mach dir nichts draus«, sprach die Ammer, »du wirst schon etwas bekommen. Geh jetzt mit mir ins Haus, und wenn wir in das Vorhaus kommen, so werde ich mich auf die Erde niedersetzen, und diejenigen, welche Speisen aus der Küche in die Stube tragen, werden die Speisen niederstellen und mich fangen wollen; und du musst derweil sehen, wo du dich satt fressen kannst.«
Beide machten sich auf den Weg, und als sie in dem Vorhaus waren, setzte sich die Ammer auf die Erde nieder. Zu gleicher Zeit trat der Speisenträger mit dem Braten in der Hand aus der Küche und wollte ihn in die Stube der Hochzeitsgäste tragen. Als er aber den gelben Vogel erblickte, stellte er den Teller mit dem Braten auf die Erde nieder, rief die übrigen herbei und sprach: »Schaut, ein schönes und zahmes Vögelchen, es kann nicht gut fliegen, fangen wir es!«
Und das geschah; sie machten die Stubentür auf, trieben die Ammer hinein, machten die Tür wieder zu, trieben den Vogel hin und her und vergaßen ganz den Braten.
Das kam dem Hund sehr gelegen, er fraß sich unterdessen an dem Braten satt und ging wieder in den Garten. Als die Ammer in der Stube glaubte, dass der Hund genug habe, suchte sie eine Gelegenheit, um zu entwischen.
Da erinnerte sich der Speisenträger des Bratens, den er im Vorhaus niedergestellt hatte; er lief daher aus der Stube, und kaum hatte er die Tür aufgemacht, so war auch schon die Ammer wieder draußen und flog gerade nach dem Garten hin, wo sie den Hund antraf. »Nun«, sprach sie zu ihm, »nicht wahr, jetzt bist du satt?«
»Ja, satt bin ich«, antwortete der Hund, »aber Durst habe ich noch.«
»Durst?« fragte die Ammer. »Nun, da weiß ich wieder ein Mittel. Jetzt ist es Mittag«, sprach sie, »und die Mägde in der Meierei melken gerade. Geh mit mir hin, und du wirst sicher Gelegenheit finden, wo du dich recht satt trinken kannst. Wir werden uns nämlich vor die Stalltür stellen und warten, bis die Mägde die frisch gemolkene Milch aus dem Stall tragen, dann werde ich mich wieder auf die Erde niedersetzen und mich so stellen, als wenn ich nicht fliegen könnte. Die Mägde werden die Gefäße niederstellen und mir nachjagen; dadurch gewinnst du Zeit und kannst dich an der warmen Milch satt saufen.« Das taten sie auch.
Sie gingen zum Meierhof und blieben bei der Stalltür stehen. Als nun die Mägde mit der Milch kamen, da hüpfte die Ammer herbei und flog auf ihr Geschrei nicht davon. Das fiel der einen auf, und sie sprach zu den übrigen: »Das Vöglein kann ja nicht fliegen! Fangen wir es und geben es dem Schaffner, er wird damit eine große Freude haben.« Und wirklich, sie stellten die Milchtöpfe nieder und jagten dem Vogel nach, der nur immer so weit von ihnen entfernt blieb, um nicht gefangen zu werden. Nachdem der Hund mehrere Töpfe geleert hatte, flog die Ammer in die Höh, und die Mägde hatten sich umsonst geplagt; sie gingen wieder zu ihren Milchtöpfen und fluchten, als sie einige davon leer fanden.
Der gesättigte Hund schleppte sich nun fort, und die Ammer flog über ihm. Beide begaben sich zu dem nahen Wald, bei welchem eine Straße vorüber führte. Der Hund legte sich in den Schatten eines der Straße nahe stehenden Baumes auf die Erde nieder, und die Ammer setzte sich auf den Gipfel desselben Baumes, sang ihr Lied und fragte mitunter in neckischem Ton den Hund, ob er Hunger habe. Der Hund gab ihr aber keine Antwort.
Nach einer Weile führte auf dieser Straße ein schon bejahrter Mann ein Fass Bier auf einem Schubkarren. Dieses Bier gehörte zu dem Hochzeitsmahl. Als der Mann den Hund bemerkte, der, seine Füße ausstreckend, sich unter dem Baum wälzte, schlug er auf ihn los, bis er tot war.
Das schmerzte die Ammer sehr, und um sich an dem Mann zu rächen, setzte sie sich auf sein Fass und hüpfte spottend hin und her. Darüber erzürnt, wollte der Mann mit demselben Stock auch den Vogel erschlagen. Die Ammer war aber geschwinder, flog davon, und der Mann traf so stark auf sein Bierfass, dass es sogleich zersprang, und das Bier floss auf den Weg. Das hatte er für seine Grausamkeit.
Damit begnügte sich aber die Ammer nicht; denn sie drohte ihm, dass sie ihm einmal, wenn er ohne Kopfbedeckung aus seiner Stube ins Freie gehe, ein Nest in die Haare flechten wolle. Das erschreckte ihn, und er hütete sich, ohne Mütze die Stube zu verlassen.
Einmal traf es sich aber, dass er seine Mütze nicht finden konnte; und da er doch in seinen Garten gehen musste, so sagte er zu seinem Weib: »Nimm diesen Stock, geh mit mir, und wenn sich der Vogel auf meinem Kopf niedersetzen will, dann schlage ihn tot!«
Sein Weib nahm den Stock und ging mit ihm in den Garten. Und schon saß der Vogel auf dem Dach, einen Strohhalm in seinem Schnabel haltend.
Als ihn der Mann erblickte, rief er aus: »Weib, gib acht, der Vogel ist schon da.«
Auf sein Geschrei hob sein Weib den Stock in die Höhe, damit sie geschwind losschlagen könne. Im Nu flog die Ammer ihm auf den Kopf. Das Weib schlug wütend auf den Vogel los, traf aber daneben, und der Mann fiel zu Boden.